Interview mit Jens Seipenbusch

Piratenpartei: "Wir haben eine Gegenposition formuliert"

29. Oktober 2009
Redaktion Börsenblatt
Bürgerrechte im digitalen Zeitalter: Das ist für Jens Seipenbusch das Thema der Zukunft – und zugleich sein eigenes. Der Vorsitzende der Piratenpartei sprach mit boersenblatt.net über Politik, geistiges Eigentum und die Rolle der Verlage.

Werden Sie von den etablierten Parteien ernst genommen?
Seipenbusch: Inzwischen schon. Doch es ist noch einige Aufklärungsarbeit notwendig: Manche stolpern über den Begriff Piratenpartei oder meinen, unser einziger Politikpunkt wäre Freiheit im Internet.

Um das Internet dreht sich tatsächlich alles bei Ihnen. Gleichzeitig nennen Sie sich Bürgerrechtspartei. Ist das nicht Hochstapelei?
Seipenbusch: Andersherum wird ein Schuh daraus. Wer unsere Entwicklung verfolgt hat von der Gründung im September 2006 bis heute, der kann sehen, dass unser Programm rund um den Kampf gegen die Überwachungsgesellschaft aufgebaut ist – und rund um Neue Medien, was mit dem Internet keineswegs gleichzusetzen ist. Eingemischt haben wir uns beispielsweise in die Diskussion zur Vorratsdatenspeicherung, zur Gesundheitskarte, zu den E-Pässen mit gespeicherten Fingerabdrücken.

Auch diese Beispiele sind technikfokussiert.
Seipenbusch: Nein, es geht immer um informa-tionelle Selbstbestimmung, das wird das Thema der Zukunft sein. Unser Feld sind Bürgerrechte im digitalen Zeitalter.

Dennoch gibt es mehr Themen für eine Partei als allein die Informationstechnologien.
Seipenbusch: Ja, wir konzentrieren uns, das bekennen wir offen.

Die Medienrevolution wirft viele Fragen auf. Sie geben vor, als einzige die richtigen Antworten zu kennen. Haben die Kritiker Ihrer oft extremen Positionen schlichtweg nichts begriffen?
Seipenbusch: Sicherlich haben wir nicht den Heiligen Gral. Und es lässt sich gewiss nicht alles umsetzen, was wir uns wünschen. Aber wir sehen verschiedene Dinge als unabdingbar an. Die Vervielfältigung und Verbreitung von Daten und Dateien jeglicher Art, ob sie urheberrechtlich geschützt sind oder nicht, wird man nicht so eindämmen können, wie das vor dem Filesharing möglich war. Deshalb sollte man nicht die Tatsache an sich bekämpfen. Das ist der technische Fortschritt und der hat auch ganz viele Vorteile. Dass das einigen nicht gefällt, ist eine andere Frage. Es ist Aufgabe der Politik, den Übergang zu gestalten, für alle Beteiligten. Das ist ein Wettstreit der Ideen.

Haben Urheber einfach Pech gehabt?
Seipenbusch: Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass Urheber davon leben, dass sie Kopien von Daten verkaufen. Davon leben sie schon jetzt nicht mehr. Es ist eine Dienstleistung, die bezahlt wird. Ein Artikel ohne eine Zeitung ist eben kein Zeitungsartikel, und die Dienstleistung besteht darin, dass die Leute das Ganze am Frühstückstisch lesen können. Es gibt Vorteile, die im Format liegen, jenseits dessen, was da steht. So ist es bei Büchern und so ähnlich auch bei Musik-dateien. Warum zahlen die Leute bei iTunes für Musik und laden sich die Sachen nicht nur von illegalen Tauschbörsen herunter? Weil Preis und Convenience stimmen, also die Gesamtdienstleistung angenommen wird. Das reine Kopieren kostet auch den Dienstleister nichts, also kann er dafür auch nichts verlangen.

Ich kann einen Autor verstehen, der einen Text verfasst hat und nicht möchte, dass er unentgeltlich über das Internet verbreitet wird.
Seipenbusch: Den kann ich auch verstehen. Das ist eben das Problem. Man muss das Urheberrecht an Inhalten auf der einen Seite und deren Vermarktung auf der anderen trennen. Wir müssen die Einzelaspekte auch einzeln betrachten. Es ist natürlich nicht in Ordnung, wenn ich den Text eines anderen ungefragt veröffentliche, indem ich ihn auf meine Website stelle. Trotzdem geschieht es, weil es leicht möglich ist. Wenn ich aber umgekehrt das ganze Internet kontrollieren will, um zu verhindern, dass Texte illegal verbreitet werden – dann schießt das übers Ziel hinaus. Wir müssen uns darauf beschränken, was machbar ist, und schauen, wo das Verwertungsmodell überleben kann.

Das klingt, als wären Sie auf der Suche nach einem Kompromiss. Das ist neu.
Seipenbusch: Die Definition des geistigen Eigentums wird von Urhebern weltweit so stark zugespitzt, dass sie sich an Grundrechten vergehen. Vor diesem Hintergrund haben wir eine Gegenposition formuliert. Aber man darf auch nicht vergessen: Freier Zugang zu Wissen und Information bedeutet nicht kostenlosen Konsum. Wir wollen, dass der Gemeincontent steigt, also Seiten wie Wikipedia stärken. Dort, wo es um kommerzielle Dinge geht, muss man klug vorgehen, um Geschäftsmodelle zu etablieren, die in Zukunft tragen. Es ist notwendig, Kompromisse zu finden, wie früher auch schon, nur müssen diese jetzt neu ausgehandelt werden, weil sich die Umstände geändert haben.

Zuweilen wird Autoren von den Anhängern kostenloser Selbstbedienung im Internet auch gern beschieden: Von Kunst kann man nun mal nicht leben.
Seipenbusch: Das ist nicht meine Haltung. Aber es geht nicht, dass uns der Gesamtkomplex der Schuld in die Schuhe geschoben wird. Die meisten Leute, die Filesharing betreiben, sind nicht in der Piratenpartei; zudem werden oft Stellvertreterkriege geführt. Die Gegenseite sieht immer gleich die Kultur des Abendlandes untergehen, auch wenn es konkret nur um einige Urheber geht. Wir müssen genauer sein. Es gibt Leute, die verdienen mit Musik oder mit Büchern ein bisschen Geld, andere gar nichts und wieder andere werden wohlhabend. Die Kultur wird davon überhaupt nicht beeinträchtigt. Kulturleistungen gibt es, weil Menschen Dinge machen wollen, nicht weil sie damit Geld verdienen.

Verlieren Buchverlage und Plattenfirmen an Bedeutung?
Seipenbusch: Ja. Der Prozess des Veröffent-lichens ist durch das Internet demokratisiert worden. Man braucht keinen Verlag mehr, um etwas zu verbreiten. Das setzt die Unternehmen, die bislang Herren der Vertriebskanäle waren, enorm unter Druck. Die Frage ist, wie sie damit umgehen. Ich denke, dass sich die Monopolstellungen auflösen werden, weil es Konkurrenzangebote gibt. Das heißt nicht, dass die Unternehmen untergehen,  man kann auch mit Rechtehandel Geld verdienen.

Erbringen die Firmen nicht Leistungen, die ihre Existenz weiterhin wünschenswert sein lassen?
Seipenbusch: Ja, das ist der Punkt. Wenn Dinge, wie Redaktion oder Lektorat, notwendig und erwünscht sind, werden sie überleben.

Ist es Ihnen persönlich egal, ob Sie ein Buch oder einen Haufen Zettel in der Hand halten?
Seipenbusch: Nein. Das Buch wird auch nicht verschwinden. Kein Mensch will immer auf einen Monitor gucken, ich halte wenig von diesen E-Books. Ich lese viele Bücher. Ich habe sogar eine Tageszeitung abonniert, die »Münstersche Zeitung«, aber ich schaue mir auch viele Blogs an. So einfach ist die Welt nicht. 

Werden Sie irgendwann aus Ihrer Partei geworfen, weil Sie zu wertkonservativ sind?
Seipenbusch: Ich versuche, die Positionen zu vermitteln. Oft sprechen die Leute aus unterschiedlichen Lagern auch verschiedene Sprachen.  Sie sehen vieles sehr stark aus dem eigenen Alltag. In unserer Partei wird manches formuliert, was heute noch gar nicht aktuell ist. Ich bin da sicher pragmatischer, auch ein bisschen realistischer und überlege, was sich wie umzusetzen lässt.

Sie arbeiten an der Uni. Der Parteivorsitz ist ein Ehrenamt. Wie ist Ihre Perspektive?
Seipenbusch: Ich bin für ein Jahr als Vorsitzender gewählt, in diesem Zeitraum denke ich. So lange werde ich das neben meinem Beruf ehrenamtlich weitermachen können.


Interview: Holger Heimann

 

Hintergrund

Jens Seipenbusch (41) ist Vorsitzender der Piratenpartei. Er studierte Physik an der Universität Münster, wo er heute als IT-Dienstleister angestellt ist. Seipenbusch ist verheiratet und lebt in Münster.

Die Piratenpartei
ist 2006 in Berlin gegründet worden und gliedert sich heute in 16 Landesverbände. Die Zahl der Mitglieder hat sich seit der Europawahl im Juni etwa verachtfacht – von rund 1 400 auf 11 400. Bei der Bundestagswahl im September 2009 erreichte die Partei 2,0 Prozent der Stimmen; mitregiert wird im Stadtrat Münster.

Die Kostenlos-Kultur in Zahlen
(Quellen: Bitkom, Bundesverband der Musikindustrie / Brenner-Studie 2009, Europäische Kommission)

  • E-Books / Hörbücher: 39 Prozent aller E-Book-Downloads erfolgen illegal, bei den Hörbuchdownloads sind es 49 Prozent (geschätzt)
  • Musik: Auf einen legal aus dem Internet heruntergeladenen Song kommen etwa acht illegale Downloads.
  • Software: 27 Prozent aller Computerprogramme werden illegal genutzt – als Raubkopie oder ohne gültige Lizenz.
  • Paid Content: 33 Prozent der 16- bis 
24-Jährigen in Europa wollen für Online-Services kein Geld ausgeben – doppelt so viele wie im EU-Durchschnitt. Die Kehrseite: Zehn Prozent von ihnen haben schon einmal für einen Dienst oder Download bezahlt; über alle Altersgruppen hinweg liegt die Quote bei fünf Prozent.