Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne: "Die Vorleser" im ZDF

10. November 2009
Redaktion Börsenblatt
Für das ZDF darf eine Literatursendung im eigenen Programm nicht fehlen. Ab März 1988 diskutierte Marcel Reich-Ranicki im ‚Literarischen Quartett‘ in einer Viererrunde die Qualität von Neuerscheinungen – man stritt, kämpfte, lobte, zerriss. So lange, bis ein Schlag unter die Gürtellinie die Gruppe entzweite und langsam das Ende einläutete. 2003 kam Elke Heidenreich, gestandene Literaturfrau und Autorin, mit ‚Lesen!‘. Nach einem Eklat mit dem Sender zog sie sich ins Internet zurück. Seit Juli diesen Jahres sind ihre Nachfolger Amelie Fried und Ijoma Mangold als ‚Die Vorleser‘ auf Sendung.
Heidenreichs Stil war es, den Zuschauern ‚ihre‘ Titel nicht nur ans Herz zu legen, sondern zu „tackern“. Sie wollte denen Leuchtturm sein, die im Meer der Neuerscheinungen zu ertrinken drohten: immer authentisch und glaubwürdig, aber auch davon überzeugt, die einzig Richtige für diesen Job zu sein. Dabei rief sie nicht nur „Lesen!“, sondern auch „Kaufen!“, was sie in die Kritik brachte, aber zu einer wichtigen Partnerin des Buchhandels machte. Was sie empfahl, wurde verkauft, nachgedruckt, verkauft... So werden ihre Nachfolger im ZDF von Publikum und Kritik sicher an Heidenreichs Stil, von der Buchbranche auch und vielleicht vor allem am Kaufanschub gemessen.

In der dritten Ausgabe ihrer Sendung am 23.10. schienen Fried und Mangold noch nicht im Konzept und im Duett angekommen zu sein. Mangold, Literaturkritiker und im Moment stellvertretender Feuilletonchef der ‚ZEIT‘, der noch in der zweiten Sendung unorientiert und gehemmt wirkte, hatte zwar seinen etwas roboterhaften Moderationsstil noch nicht ablegen können, agierte im Ganzen aber freier. Dadurch wirkte auch Fried entkrampfter, die als erfahrene Moderatorin Mangold in der zweiten Sendung noch durch den Ablauf schieben musste.

Am Anfang der Sendung wurden zwei Romane vorgestellt, die jeweils unter der ‚Obhut‘

von Fried oder Mangold standen. Beide hatten das jeweils andere empfohlene Werk gelesen und führten darüber einen Dialog – ‚diskutiert‘ kann hier leider nicht verwendet werden, denn das Zwiegespräch schien vorher geplant gewesen zu sein und wirkte daher sehr bemüht. Zwar glaubte man sowohl Fried, als sie sich vom Protagonisten genervt outete und einem Titel das Prädikat ‚langweilig‘ verlieh, als auch Mangold, der seine Begeisterung ausdrückte, aber die Gegenargumente und das Sich-ins-Wort-Fallen schienen so getimt zu sein, dass der Ablauf nicht ins Wanken geriet und der Gast rechtzeitig begrüßt werden konnte. Sebastian Koch, Schauspieler und Verkörperer des Kapitäns Wolf Larsen in der Neuverfilmung von Jack Londons ‚Der Seewolf‘, stellte besagten Klassiker als das wiederentdeckte Lieblingsbuch seiner Jugend vor. Hier hatten die Medienstrategen des ZDF ganze Arbeit geleistet, denn die gezeigte Ausgabe war ‚Das Buch zum Film‘ mit Koch auf dem Cover. Auch hier nahm man nicht nur Koch ab, dass er den Stoff wirklich mag, auch Amelie Fried schien ehrlich begeistert an das Werk herangeführt worden zu sein. Ein schaler Beigeschmack ob der konstruierten Empfehlung aber blieb.

Wieviel sind aller guten Dinge?

Literaturkritisch hoch kompetent, aber in der Kompaktheit der feuilletonistischen Sprache doch etwas zu volksfern waren Mangolds Empfehlungen in der Rubrik ‚Drei Bücher in drei Minuten‘, deren Konzept wohl der Sendungsdauer von nur 30 Minuten geschuldet ist. Schon Heidenreich klagte über die kurze Sendezeit, und auch bei den Vorlesern bestimmt eine gewisse Hektik den Ablauf. Dabei hätte das Konzept mit einem Moderatoren-Duo im Gegensatz zu den imperativischen Lobeshymnen Heidenreichs die Chance, verschiedene Perspektiven nicht nur im kontrollierten Dialog darzulegen, sondern kontrovers zu diskutieren. Dazu kommt, dass die beiden in der Kulisse etwas deplaziert wirkten. Heidenreichs ‚Lesen!‘ wurde in den wechselnden Kulissen der Kölner Kinderoper aufgezeichnet. Das passte zu ihr, denn man wusste: sie lebt in Köln und liebt die Oper. Aber was hat das ‚Ehemalige Hauptzollamt Hamburg‘ mit Ijoma Mangold oder Amelie Fried zu tun? Hier versucht die Produktion zwar, die unter Kulturszenegängern so beliebte loftige Industrieatmosphäre zu schaffen, aber auch hier steht das ‚B‘ für ‚Bemühung‘ wieder vor dem ‚A‘ für ‚Authentizität‘.

Kompetenz und Wille sind vorhanden, aber noch will das Konzept nicht ganz zu den Akteuren und die Akteure nicht ganz zueinander passen. Erst wenn der genuin gemeinsame Stil gefunden ist, kann die Sendung zur Instanz und zur Marke werden. Spätestens dann ist auch der Buchhandel wieder Mitprofitierender. Dafür bedarf es aber der Zeit. Schon eine Viertelstunde mehr Sendezeit könnte den Ablauf entzerren und mehr stilistischen Freiraum schaffen. Und die Zeit wird auch zeigen, ob Konzept und Moderatoren nach der dritten Ausgabe noch zusammenwachsen werden – dann sind aller guten Dinge vielleicht vier, oder fünf (?).