„Wandel im Handel – Disintermediation in der Buchbranche“

12. November 2009
Redaktion Börsenblatt
„Cut out the middle men" - dieser Grundsatz der Disintermediation bereitet vielen Akteuren der Bruchbranche Bauchschmerzen. Grund genug für die Organisatoren der Vortragsreihe "Alles Buch" an der Uni Erlangen, diesem Thema ein Semester lang in Vorträgen nachzuspüren.
Vielen steht auch heute noch ein klischeebehaftetes Bild vor Augen, wenn sie an eine Buchhandlung und an die Menschen, die darin arbeiten, denken: die Assoziation von einem kleinen, gemütlichen Laden sowie von Buchhändlern, die sich in aller Ruhe ihren Bücher widmen – sie ins Regal sortieren oder über Neuerscheinungen sinnieren und dabei erfüllt von tiefer Skepsis einen riesigen Bogen um technische Geräte wie Computer machen – ist in vielen Köpfen noch verankert.

Der Realität entspricht dieses Bild jedoch schon lange nicht mehr. Gerade die in den letzten Jahren rasant voranschreitenden Prozesse der Digitalisierung und Vernetzung haben die Buchbranche wie kaum einen anderen Handelszweig beeinflusst. Angesichts der technologischen Entwicklungen und den damit einhergehenden Veränderungen in Konsum- und Rezeptionsgewohnheiten konnten sich der Einzelhandel, aber auch beispielsweise das Verlagswesen, der digitalen Welt und deren Medien nicht mehr entziehen.

In der am 2. November 2009 in Erlangen gestarteten Vortragsreihe „Alles Buch“  soll nun der Wandel in der Struktur der Buchbranche, der durch die Möglichkeiten des E-Commerce und des E-Publishing hervorgerufen wurde, genauer betrachtet werden:

Die klassische Wertschöpfungskette der Buchbranche – gekennzeichnet durch die Abfolge von Autor, Verlag, Zwischenbuchhandel, Bucheinzelhandel – wurde im Verlauf der letzten Jahre zunehmend aufgebrochen. Als Ausgangspunkt der theoretischen Diskussion über den strukturellen Wandel wird in der Fachliteratur häufig die aus den Wirtschaftswissenschaften stammende These der Disintermediation herangezogen.

Demnach führe der Handel über das Internet aufgrund der möglichen Transaktionskostenersparnisse zu einer Zunahme des Direktvertriebs vom Hersteller zum Endverbraucher – die herkömmlichen Stufen in der Wertschöpfungskette werden damit umgangen. Bezogen auf die Buchbranche würde das nun bedeuten, dass infolge der voranschreitenden Digitalisierungs- und Vernetzungsprozesse nicht nur der konventionelle, verbreitende, sondern auch der herstellende Buchhandel in seiner Existenz bedroht wird. So wäre sowohl ein deutlicher Anstieg des Direktvertriebs von Seiten der Verlage als auch von Seiten der Autoren selbst zu erwarten. Im letzteren Fall sind vor allem der Vertrieb über das Internet, zum Beispiel über Onlineshops, oder Publikationen in Form von Blogs von Bedeutung.

In welchem Umfang ist nun eine Disintermediation im Sinne der Ausschaltung einzelner Handelsstufen für die Buchbranche realistisch? Formen des Direktvertriebs haben in den vergangenen Jahren zwar zweifellos zugenommen, aber es sind auch Gegentendenzen zu beobachten: Zum einen hat das Internet neue, „innovationsfreudige“ virtuelle Intermediäre – sogenannte Cybermediäre – hervorgebracht, die Funktionen herkömmlicher Marktteilnehmer übernehmen und somit in Konkurrenz zu diesen treten. Beispiele hierfür sind unter anderem Portale für Fachliteratur wie PaperC, die als Konkurrenz zu traditionellen Institutionen wie Bibliotheken  auftreten. Zum anderen ist es aber auch herkömmlichen Intermediären gelungen, sich den neuen Bedingungen nicht nur anzupassen, sondern durch Multi-Channel-Strategien sogar Wettbewerbsvorteile aufzubauen. So sind beispielsweise beinahe alle großen stationären Buchhandelsketten auch mit einer Verkaufsplattform im Internet präsent. Auch bei Verlagen werden immer mehr Multi-Channel-Strategien angewendet, und um die Inhalte möglichst vielfältig nutzen zu können, setzen einige auf Single Source Publishing. Hierbei kommt ein Dienstleister ins Spiel, der Content medienunabhängig, also meist in XML-Datenbanken, speichert. Der Verlag kann den Inhalt folglich in verschiedenen Produkten auswerten.

Ziel der Vortragsreihe „Alles Buch 13“ ist es nun, den Studierenden ein grundlegendes Verständnis der skizzierten Prozesse zu vermitteln und die Möglichkeit zur realistischen Einschätzung des gegenwärtigen Zustandes sowie der zukünftigen Entwicklung zu eröffnen. Hierfür sind folgende Vorträge geplant:

 

  • 02. November 2009: Disintermediation: Was ist das? – Einführung in die strukturellen Entwicklungen der Buchbranche im 21. Jahrhundert
    Prof. Dr. Christoph Bläsi vom Institut für Buchwissenschaft an der Universität Mainz

 

  • 16. November 2009: Single Source Publishing – Die medienneutrale Mehrfachnutzung von Inhalten
    Hans Anschütz von Acolada GmbH

 

  • 07. Dezember 2009: „Buch 2.0“ – Die Zukunft des Buches in der digitalen Welt
    Leander Wattig, Consultant für content-press

 

  • 14. Dezember 2009: Die Fachbibliothek im Internet – Wie CopyPaste den Kopierer ablöst
    Martin Fröhlich und Felix Hofmann von PaperC

 

  • 11. Januar 2010: Das Geschäft mit dem Buch – Multi-Channel-Strategien des stationären Bucheinzelhandels
    Hans Schmidt und Florian Haas von Thalia Buchhaus Campe

 

  • 18. Januar 2010: Im multimedialen Kinderzimmer – Verlage vor der Herausforderung eines veränderten Mediennutzungsverhaltens
    Linda Ising, Leitung Marketing & Online vom TESSLOFF Verlag

 

  • 25. Januar 2010: Publizieren: aber wo? Kicker online – Sportberichterstattung in allen Medienkanälen
    Alexander Wagner, Redaktionsleiter von kicker online