1. ANWENDUNGSBEREICH
Über die neue Ziffer 1.19 (Definition des Begriffs „Book”) wurde der territoriale Anwendungsbereich des Settlements merklich eingeschränkt. Regelungsgegenstand sind nur noch Bücher, die entweder (1) ein registriertes „United States Work” darstellen, (2) als ausländisches Werk beim US-Copyright Office registriert sind oder aber (3) in Kanada, Großbritannien oder Australien publiziert wurden. Die Auswahl gerade dieser Länder wird damit begründet, dass diese mit den Vereinigten Staaten eine gemeinsame Rechtshistorie verbinde. Zutreffend ist zwar, dass es sich bei allen genannten Ländern um sogenannte Common Law-Staaten handelt, die zudem die englische Sprache als (Haupt-)Landesprache aufweisen. Ob dies aber in der Tat der Hauptgrund gewesen ist, oder aber die Parteien schlicht in diesen Ländern mit dem geringsten Gegenwind rechnen, darüber darf sicherlich spekuliert werden.
Die vorstehend beschriebene Einschränkung in Ziffer 1.19 des Settlements hat jedoch nicht zur Folge, dass deutsche Autoren und Verlage gänzlich aus dem Anwendungsbereich des Settlements ausscheiden würden. Zum einen dürfte es eine erhebliche Zahl von deutschen Werken geben, die beim US-Copyright Office registriert sind. Bis ins Jahr 1978 konnte nach dem US-amerikanischen Urheberrecht Urheberrechtschutz nur dann erlangt werden, wenn man sein Werk registrieren ließ. Dies dürften auch deutsche Verlage insbesondere im Falle von wissenschaftlichen und sonstigen Fachpublikationen – regelmäßig getan haben. Darüber hinaus fallen auch solche Publikationen nach wie vor unter das Settlement, die nicht allein in Deutschland, sondern zusätzlich auch in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kanada oder Australien publiziert wurden. Ziffer 1.19 des Settlements stellt insofern nicht auf die „Erstveröffentlichung” ab, sondern spricht generell von Veröffentlichung in einem der genannten Länder. Hier wird man noch näher prüfen müssen, in welchem Umfang deutsche Autoren und Verlage von solchen „Mehrfachpublikationen” betroffen sind.
Insgesamt wird man daher attestieren müssen, dass durch die vorstehend beschriebene Begrenzung das Gesamtsystem nicht unbedingt vereinfacht wurde. So hat beispielsweise auch die VG Wort bereits angekündigt, dass man nun zunächst einmal im Detail prüfen werde, inwieweit auch nach dem nunmehr überarbeiteten Settlement noch eine kollektive Rechtewahrnehmung für deutsche Autoren und Verlage in Betracht komme.
2. VERTRETUNG AUSLÄNDISCHER INTERESSEN
Begrüßenswert ist, dass auch Vertreter ausländischer Interessen in das Board der Book Rights Registry gewählt werden sollen. Dies sollen Repräsentanten der Autoren und Verlage in Großbritannien, Australien und Kanada sein.
3. VERGRIFFENE WERKE
Nach wie vor kommt der Frage, ob ein Buch „commercially available”, also vergriffen oder noch erhältlich ist, eine ganz entscheidende Bedeutung zu. So genannte „Display Uses” sind nur bei vergriffenen Büchern gestattet.
Nach der Definition in Ziffer 1.31 ist ein Buch nunmehr „commercially available”, wenn es in den Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien oder Australien über die üblichen Vertriebswege erhältlich ist. Zu diesen üblichen Vertriebswegen zählen auch Angebote von weltweit agierenden Anbietern wie etwa Amazon. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass sich Google in Ziffer 3.2 (d) (i) dazu verpflichtet, bei der Überprüfung, ob ein Buch vergriffen ist oder nicht, nun auch in Datenbanken Dritter zu recherchieren. Allerdings soll nur in US-, kanadischen, britischen und australischen Datenbanken gesucht werden. Ein Rückgriff auf das Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) etwa findet somit nicht statt. Dies ist in der Logik des Settlement Agreements auch nachvollziehbar, da es danach schlicht unerheblich ist, ob ein Buch in Deutschland vergriffen ist oder nicht. Es kommt allein auf die vorstehend genannten vier Länder an.
4. VERWAISTE WERKE
Hinsichtlich der so genannten „verwaisten” Werke ist es dem Grunde nach bei der ursprünglich
vorgesehenen Regelung geblieben. Insbesondere bleibt es bei einer Opt-Out-Lösung. Google soll damit die Möglichkeit erhalten bleiben, auch verwaiste Werke, deren Rechteinhaber unauffindbar sind, der Öffentlichkeit ohne Einwilligung des (unbekannten) Rechteinhabers zugänglich zu machen.
Letzteres wird insbesondere die Fraktion begrüßen, der es vorrangig um den digitalen Zugang zu Wissen geht. Kritiker der Pläne von Google werden aber nach wie vor einwenden, dass hier fundamentale Prinzipien des Urheberrechts ausgehebelt werden. Denn eine Nutzung per se noch urheberrechtlich geschützter Werke wird ermöglicht, ohne dass der Urheber seine Einwilligung erteilt hat.
Um dieser Kritik zu begegnen, haben sich die Parteien darauf verständigt, einen Treuhänder für nicht beanspruchte Werke ("unclaimed works") einzusetzen, der der Book Rights Registry untersteht. Dieser soll in seiner Entscheidungskompetenz unabhängig sein und bei allen Belangen, die verwaiste Werke angehen, ein zentrales Entscheidungsrecht haben.
Die Ausschüttung der mit verwaisten Werken erzielten Einnahmen soll nicht mehr an die
registrierten Rechteinhaber erfolgen. Vielmehr sollen 25 Prozent der Einnahmen für das Auffinden der Autoren verwendet werden. Sind diese Bemühungen nicht erfolgreich, so kann nach Ablauf von zehn Jahren eine Ausschüttung an gemeinnützige Einrichtungen in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kanada oder Australien erfolgen.
Die in Streit stehenden Parteien gehen damit einen Weg, der im Zusammenhang mit verwaisten
Werken immer häufiger vorgeschlagen wird. Eine Verwendung dieser Werke soll möglich sein. Gleichzeitig soll aber eine adäquate Suche nach den Rechteinhabern sichergestellt werden. Schließlich soll das monetäre Interesse gewahrt werden, indem die erzielten Erlöse für einen bestimmten Zeitraum treuhänderisch verwaltet werden.
Damit verkürzt sich die Debatte um Google und verwaiste Werke mehr oder minder auf die grundsätzliche Frage, ob es einem privaten Unternehmen obliegen soll, den Weg zur Nutzung verwaister Werke freizumachen, oder ob es vorzugswürdig Aufgabe des Gesetzgebers wäre, hier eine adäquate Lösung zu schaffen. In diesem Punkt verschließt allerdings auch Google nicht die Augen, sondern verweist ausdrücklich darauf, dass es dem (US-amerikanischen) Gesetzgeber unbenommen sei, eine gesetzliche Regelung zum Umgang mit verwaisten Werken zu schaffen.
5. VERGÜTUNGSMODELLE
Dass die Parteien insbesondere den Bedenken der Antitrust Division Tribut zollen wollten, zeigen vor allem die Änderungen hinsichtlich der Vergütungsmodelle. Hier wurde Raum für mehr Flexibilität geschaffen. Ausdrücklich genannt ist etwa die Möglichkeit des Rechteinhabers, für Creative Commons-Lizenzen zu optieren. Diese können allerdings nur mit Blick auf so genannte „Consumer Purchases” vom Rechteinhaber vorgegeben werden (Ziffer 4.2 (a) (i)).
6. ZUGANG FÜR WETTBEWERBER
Ebenfalls den kartellrechtlichen Bedenken der Antitrust Division ist die Änderung in Ziffer 4.5 (b) (v) (2) geschuldet. Google gewährt der Konkurrenz Zugang zu den eingescannten Büchern, damit diese ihre eigenen Geschäftsmodelle auf Grundlage der Google-Datenbank aufbauen können. Man versucht ersichtlich, dem Vorwurf zu begegnen, Google habe ein faktisches Monopol auf die digitalisierten Bücher. Wie viel dieses Zugeständnis von Google in der Praxis wert sein wird, lässt sich derzeit kaum bewerten. Denn die Regelungen zum „Resale” in Ziffer 4.5 (b) (v) (2) sind alles andere als eindeutig und keineswegs abschließend. Letztlich handelt es sich nur um eine Vergütungsregelung. Der Reseller soll den wesentlichen Teil des eigentlich Google zustehenden Bruchteils („majority of Google's share”) erhalten. Die eigentlichen Zugriffskonditionen sind dagegen nicht einmal ansatzweise geregelt.
Derzeit erscheint es daher noch völlig offen, ob durch die jetzt vorgenommenen Änderungen die auf Grundlage des US-Kartellrechts geäußerten Bedenken der Antitrust Division vollends zerstreut werden können.
7. MEISTBEGÜNSTIGUNG
Ebenfalls der Kritik der Antitrust Division ist es wohl geschuldet, dass Ziffer 3.8 (a) gestrichen
wurde. Darin war eine Meistbegünstigungsklausel zu Gunsten von Google vorgesehen. Diese gibt es nun nicht mehr.
8. FILE DOWNLOAD
Eine weitere Neuerung liegt in Ziffer 4.7. Google und der Book Rights Registry steht es frei, sich auf weitere Vermarktungsmodelle zu einigen. Neben dem bereits bekannten "Print on Demand” wird nunmehr auch ausdrücklich auf den „File Download“ verwiesen. Die dritte Option wird als „Consumer Subscription Model” bezeichnet. Dieses Modell war allerdings auch schon im ursprünglichen Settlement enthalten.
Hier wird deutlich, dass Google mit dem ursprünglichen Settlement nicht sämtliche bereits geplanten Nutzungsmöglichkeiten auf den Tisch gelegt hat. Weitere folgen sicherlich.
9. ERGEBNIS
Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Parteien ersichtlich bemüht waren, zum einen die Kritik gerade von Seiten ausländischer Autoren und Verlage aufzugreifen. Zum anderen sollten die Bedenken der Antitrust Division ausgeräumt werden. All dies soll nach Möglichkeit im Korsett des ersten Entwurfs geschehen.
Die Beschränkung des Anwendungsbereichs soll zudem dazu dienen, die grundsätzlichen Bedenken zu zerstreuen, das Class Action Verfahren könne womöglich nicht das geeignete Verfahren sein. Diese Zweifel kann das neue Settlement aber nicht gänzlich ausräumen, da nach wie vor – wenn auch in geringerer Zahl und in geringerem Umfang – Autoren und Verlage aus allen Teilen der Welt von dem Settlement betroffen sein werden. Insbesondere der neu anzustoßende Notification Process muss daher wiederum global sein.
Für deutsche Rechteinhaber bedeutet dies, dass ihnen nicht einerlei sein kann, was nun weiter mit dem Settlement geschieht. Vielmehr müssen auch deutsche Autoren und Verleger für jedes ihrer Werke prüfen, (a) ob es in den Vereinigten Staaten registriert wurde oder einem der „Teilnehmerstaaten” (Australien, Kanada, Großbritannien) erschienen ist und (b) ob das Werk digitalisiert wurde. Nota bene: Beide Fragen sind für jedes Werk zu beantworten. Denn wenn Frage (a) für ein Werk verneint wird und Google das Buch dennoch digitalisiert hat, fällt das Buch zwar nicht in den Anwendungsbereich des Settlements – da Google aber grundsätzlich auf dem Standpunkt steht, die Digitalisierung und Verwendung solcher Bücher sei nach dem „fair use”-Prinzip zulässig, könnte der deutsche Rechteinhaber nicht umhin kommen, seine Rechte gegenüber Google in einem separaten Verfahren geltend zu machen, falls Google das Digitalisat in der Tat nutzen sollte.
Diejenigen Autoren und Verlage, die tatsächlich aus dem Anwendungsbereich des Settlements herausgefallen sind, können zudem nicht freiwillig ein Opt-in erklären. Vielmehr sind sie darauf angewiesen, individuelle Vereinbarungen mit Google zu treffen, so sie denn mit Google zusammenarbeiten wollen.
Spannend bleibt die Frage, ob das nunmehr vorgeschlagene Prozedere zur Nutzung von verwaisten Werken Anklang bei Richter Chin (und der Antitrust Division) finden wird. Gleiches gilt auch für die übrigen Änderungen, mit denen die Parteien versucht haben, den kartellrechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen. Hier wird man allerdings im Detail sehen müssen, ob die jetzt vorgesehenen Regelungen ausreichen, um eine monopolartige Stellung von Google wie auch eine kartellrechtswidrige Preisstruktur zu vermeiden.
(Hinweis der Redaktion: Der komplette Entwurf des geänderten Buchsuche-Vergleichs ist auf der Website http://www.googlebooksettlement.com zu finden.)