Interview zu Google Book Settlement

"Die Chancen für einen Prozess steigen"

26. November 2009
Redaktion Börsenblatt
Der zweite Entwurf zum Google Book Settlement erfüllt nicht alle Erwartungen. Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang über die möglichen Rechtsfolgen des Vergleichs.

Haben die europäischen Verleger mit dem veränderten Entwurf des Google Book Settlement einen Pyrrhussieg errungen?
Sprang:
Nein, das würde ich nicht sagen, aber sie haben keinen umfassenden Sieg errungen. Es sind nach wie vor Pferdefüße im Settlement, die man sich beseitigt gewünscht hätte. Durch die Ausklammerung der meisten deutschen Bücher ist aber eine andere Rechtslage eingetreten.

Hätten Sie ein anderes Ergebnis gewünscht?
Natürlich wäre uns ein Gerichts­urteil am liebsten, das Google die ungenehmigte Digitalisierung untersagt. Zumindest hätte man sich nach den Einwendungen des US-Justizministeriums vorstellen können, dass das neugefasste Settlement in diesem Punkt noch enger ist. Nun muss man erst mal abwarten, ob der Vergleich in seiner jetzigen Form überhaupt durchkommt.

Wie können deutsche Rechteinhaber feststellen, welche in Deutschland verlegten, in den USA als "United States Copyright Works" registrierten Bücher vom Settlement betroffen sind?
Nur Verlage, die in der Vergangenheit die Anmeldung ihrer Titel beim US Copyright Office dokumentiert haben, können dies aus ihren eigenen Unterlagen heraus zuverlässig feststellen. Beim Copyright Register sind Titel zwischen 1923 und 1978 derzeit nicht elektronisch durchsuchbar. Google hat inzwischen angekündigt, dieses Problem zu beheben. Immerhin gewährt das neue Settlement mehr Zeit für die Prüfung. Die Rücknahme betroffener Titel ("Removal") muss erst bis 2011 erklärt werden.

Wie können deutsche Rechteinhaber berechtigte Ansprüche gegen Google durchsetzen?
Im Alleingang wären die meisten Verlage und Autoren wohl überfordert. Denn beim US Copyright Office müssen jetzt digitale Rechte an Werken geltend gemacht werden, die in Verlagsverträgen für ältere Bücher gar nicht enthalten sein konnten. Weder Autor noch Verlag allein können diese Rechte einfordern. Deshalb spricht vieles dafür, diese Aufgabe wieder der VG Wort zu übertragen.

Was geschieht, wenn Google weiterhin digitalisierte Werke aus Deutschland nutzt und auszugsweise in den USA anzeigt?
Mehr als einen Ausriss ("snippet") darf Google nur von Werken anzeigen, die unter das Settlement fallen. Da über 90 Prozent der deutschen Bücher aber jetzt ausgenommen sind, beginge Google bei diesen Titeln eine eindeutige Urheberrechtsverletzung, die man vor amerikanischen Gerichten relativ leicht unterbinden kann. Deswegen bin ich mir ziemlich sicher, dass Google von den nicht durch das Settlement erfassten Werken auch in den USA nicht mehr als Snippets anzeigen wird.

Was ist eigentlich mit dem Anzeigen solcher Snippets in Deutschland? Kann ein Verlag nicht verhindern, dass dies ohne seine Genehmigung erfolgt?
Das ist eine berechtigte Frage. Was die Digitalisierung geschützter deutscher Bücher betrifft, beurteilt sich deren Zulässigkeit nach US-Recht, weil sie nur in US-Bibliotheken erfolgt und die entsprechen-den Dateien nur auf US-Servern gelagert werden. Diesbezüglich müsste Google in den USA verklagt werden, um ein Urteil herbeizuführen, ob Bücher dort unter Berufung auf einen "fair use" ohne Genehmigung digitalisiert werden dürfen. Möglich wäre hierzulande jedoch ein gerichtliches Vorgehen gegen die Anzeige von Snippets durch Google. In Frankreich haben Verleger und Schriftsteller Google deswegen verklagt. Das Urteil soll am 18. Dezember gesprochen werden. Seit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus diesem Sommer sind die Chancen wohl gestiegen, dass Google diesen Prozess verliert. Wenn unsere Mitgliedsverlage das wünschen, könnte man auch in Deutschland noch einmal ein entsprechendes Verfahren initialisieren, nachdem ein erster Anlauf 2006 aus rein formellen Gründen abgebrochen wurde.

Wenn Richter Chin oder sein Nachfolger das Settlement nun endgültig genehmigen sollte - hätten wir dann nicht eine paradoxe Situation, weil Großbritannien unter das Settlement fällt, der Kontinent aber nicht?
In der EU würde man dann sicher sagen: Wir haben Hunderttausende Bücher aus Großbritannien, die nur für US-Nutzer sichtbar sind, also müssen wir am Urheberrecht drehen, um diese Titel auch in Europa zugänglich zu machen. Insofern steigt der Handlungsdruck durch das geänderte Settlement. Es geht für uns deshalb jetzt primär auch darum, überzeugende Lösungen für die Digitalisierung europäischer Bibliotheksbestände zu finden, bei denen das Urheberrecht gewahrt bleibt.

Interview: Michael Roesler-Graichen