Meinung: Ungeliebte Auszeichnung

Wenn es die rohe Leber nicht mehr tut

10. Dezember 2009
Redaktion Börsenblatt
Schriftsteller und schlechter Sex – Rainer Moritz über einen wichtigen Literaturpreis.
Da klage niemand mehr dar­über, dass es zu viele Literaturpreise und Stipendien gebe! Gewiss, man mag zweifeln, ob es sinnvoll ist, finanzschwache Autoren zu Dorfschreibern hinter Hannover zu machen, doch manche der Auszeichnungen leisten wertvolle pädagogische Arbeit und setzen es sich zum Ziel, die Qualität der Gegenwartsprosa zu heben. So wie der vor Kurzem zum 17. Mal verliehene »Bad Sex in ­Fiction Award« der englischen Zeitschrift »Literary Review«. Das Ziel der Ausrichter ist es, in durchaus ehrenwerten Werken auf krude oder geschmacklose Beschreibungen sexuellen Verkehrs hinzuweisen und somit künftige Irrwege zu verhindern.
Niemand, der sein Augenmerk auf »Stellen« in der Literatur richtet, kann leugnen, dass das sexuell Explizite markant zugenommen hat und ein blowjobloser Roman heute so altertümlich wie Stifters Naturbeschreibungen wirkt. Vorbei die Zeiten, da Autoren ein erstes Beilager ihrer Helden nur vage andeuteten und uns im Ahnungslosen darüber ließen, was Major Crampas mit der armen Effi Briest in den Dünen alles angestellt hat. Heute breiten sich Feuchtgebiete, Pornokinos und Swingerclubs allenthalben aus, und weil die meisten Autoren wissen, dass die Darstellung geschlechtlichen Austauschs zu den heikelsten Aufgaben ihres Metiers zählt, geben sie sich immer mehr Mühe, Liebesspiele symbolisch aufzuladen. Mit einer banalen Rein-raus-Metaphorik, mit ausgebeulten Hosen oder feuchten Slips, mit Sätzen wie: »Sie stöhnte auf, als ich tief in sie eindrang« ist es nicht mehr getan.
»Bad Sex«-Gewinner 2009 wurde verdientermaßen Jonathan Littell mit einer Stelle aus den »Wohlgesinnten«, die das weib­liche Geschlecht mit einem Gorgonenhaupt und einem bewegungslosen Zyklopen vergleicht. Damit reiht sich Littell in die illustre Reihe seiner Vorgänger ein, zu denen Philip Kerr, Tom Wolfe oder Norman Mailer zählen. Beischlaf symbolisch zu überhöhen gehört inzwischen zu den literarischen Pflichtübungen. Aniruddha Bahal, Gewinnerin von 2003, machte aufgeschlossene Leser mit einer »Designer-Pussi« bekannt, deren Schamhaare als Hakenkreuz drapiert waren, wohingegen der drei Jahre zuvor siegreiche Sean Thomas eine männliche Figur darüber nachdenken ließ, den Körper seiner Geliebten mit einem Walkman zu vergleichen, da er so »klein und kompakt« sei und alle notwendigen »Funktio­nen« aufweise.
Dergleichen meist unfreiwillig komische Überfrachtungen sind kein Spezialgebiet der angloamerikanischen Literatur. Auch hierzulande stoßen wir regelmäßig auf Sexualpartner, die bei ihrem lustvollen Treiben an Richard Wagner, niederländische Malerei, den Ätna oder den Grand Canyon denken. Schöne Zeiten waren das, als Philip Roth 1969 die Welt mit »Portnoys Beschwerden« schockierte und rohe Leber als Masturbationshilfe einsetzte.
Immerhin scheint sich am Horizont ein legitimer Roth-Erbe zu zeigen: Patrick Hofmann, der in seinem Debüt »Die letzte Sau« nicht nur einen handfesten Schlachttag auf dem sächsischen Land beschreibt, sondern auch die nicht minder handfeste erotische Annäherung zweier Frauen. Ohne dies hier ausführen zu können: Frische Blutwürste spielen in dieser mythologiefreien Szene eine wichtige Rolle ...