Kommentar von Torsten Casimir

Für alle Lebensleselagen

10. August 2011
Redaktion Börsenblatt
Thalia erwirbt textunes. Diese Nachricht hat es in sich. Der Buchhandelsriese und die junge Technikbude machen einen großen Schritt in Richtung eines Marktes für das digitale Lesen.
Vielleicht auch bloß ein Schrittchen – das weiß man nie so genau. Die gegen­wärtige Lage garantiert nur die Unsicher­heit von Einschätzungen.

Der Merger löst jedenfalls ein Problem, das vielen Technologie-Start-ups Sorgen macht: ihr hoher Investitionsbedarf bei fehlenden Investitionsmitteln. Die Mittel sind jetzt da. Sie dürften derzeit zwar nicht komplett aus Erträgen des Buchhandels erwirtschaftet werden. Aber die Douglas-Holding glaubt an den neuen Markt. Also nimmt sie Geld in die Hand.

Thalia tritt an zu einer zweiten Expansion. Die erste, getragen vom Glauben an 1-a-Flächen, ist (nicht nur in Hagen) ins Stocken geraten. Im Fokus des Mehrkanalhändlers stand lange die Inszenierung der Bücher. Nun rücken die Produkte selbst in den Blick, inhaltlich wie technisch gut gemachte. Ihnen bereitet man neue Wege zum Leser­. Die zweite Expansion strebt nach Vorsprung durch Technik.

Mit dem Zukauf von textunes verschiebt sich die Ordnung der Handelsstufen auf interessante Weise. Thalia wird von Berlin aus auch als Dienstleister für seine eigenen Lieferanten tätig: als ein Produzentenproduzent quasi. Er wolle nicht derjenige sein, der die Letzten aus dem Bahnhof winkt, hat Thalia-Chef Michael Busch dem Börsenblatt vor Jahresfrist gesagt – mit ungeduldigem Blick auf die zu langsam anlaufende Produktion der Verlage für den E-Markt. Jetzt ist er Lokführer und macht das E-Zug-Tempo selbst.

Man mag eine Hilfestellung darin sehen, eine branchenpolitische Großtat sogar. Denn mit einem E-Book-Angebot, das für alle Lebensleselagen brauchbar ist, kann sich der Buchhandel gegen Amazon, Apple und Google aussichtsreicher positionieren. Busch hat ein "starkes Rückgrat" der Branche immer gefordert.
Zu vermuten ist andererseits, dass in dem emotional störungs­anfälligen Verhältnis zwischen Händlern und Lieferanten die Asymmetrien nun nicht geringer werden. Womit darf ein Verlag in Zukunft rechnen, der sich seine Bücher nicht textunen lassen will? Möglich, dass die Jahresgespräche in Hagen noch reizvoller werden. Vor allem für die Gäste.

Mit dem Erwerb der textunes GmbH ist Thalia aber nicht alle digi­talen Sorgen los. Die Berliner haben sich als Vertriebsspezialist via Apps ihren guten Ruf verdient. Die Masse der E-Books, die den Markt ausmachen wird, dürfte jedoch anders ausgeliefert werden. Standard haben sich die Hagener mit ihrer Akquisition nicht hinzugekauft. Sondern Kreativität und Kompetenz für schöne E-Books.

Vorerst offen bleibt auch die Hardware-Baustelle. Nutzer haben auf die erste Generation des Oyo durchwachsen reagiert. Vorbehalte in Sachen Bedienbarkeit, Enttäuschung über die Ausdauer des Akkus­, ein ärgerliches Update: Bis zum puren Lesevergnügen scheint noch Luft. Oyo II soll im Herbst kommen. Was man Thalia nie vorwerfen kann, ist Selbstzufriedenheit mit dem Stand der Dinge.