Covertrends

Der Scholle endlich wieder näher

11. August 2011
Redaktion Börsenblatt
Warum mehr Braun den Büchern gut stünde. Meinung von Rainer Moritz, Literaturhaus Hamburg.
Die Zeiten, da sich die Farbe Braun in Deutschland großer Beliebtheit erfreute, liegen eine Weile zurück und rufen keine angenehmen Erinnerungen hervor. Vermutlich auch deshalb bevorzugten die Deutschen lange andere, freundlichere Farben und überließen das Braun dem Schokoladenmarkt. Nur wer auf Kultstatus pochen durfte – wie etwa die Fußballer des FC St. Pauli –, zeigte keinerlei Berührungsängste und trug kühnerweise erdige Trikots, die, höflich gesagt, ein unkonventionelles Design aufwiesen. Den neuerlichen Abstieg in die Zweite Liga konnten freilich auch sie nicht verhindern.

Die braune Unbeliebtheit spiegelte sich nicht nur in der Welt der Haute Couture, sondern auch in der der Automobile. In den 1970er Jahren, als man mit dem autofreien Sonntag und dem Terrorismus genug um die Ohren hatte, schenkte der gemeine Deutsche der Farbe seines geliebten PKWs keine übergroße Aufmerksamkeit. Mein Vater zum Beispiel verspürte keine Hemmungen, seinen die Käfer-Ära überwindendenden VW 1500, einen scheckheftgepflegten Jahreswagen, in einem hellen Nesquick-Ton zu bestellen. Danach in der bunten Helmut-Kohl-Zeit ging damit nichts mehr – oder in den Worten des Lackherstellers Michael Golek: »Das klassische Braun war früher ein No-go.«

Erst seit ein paar Jahren tut sich etwas, kehrt die einst verpönte Farbe sogar ins Sortiment der oberen Mittelklasse und der Limousinen zurück. Wer die Ferienzeit dazu nutzt, mit neidischem Blick im Stau die Gefährte seiner Mitmenschen zu studieren, reibt sich die Augen: Ein kräftiges Zartbitter- oder Teakholzbraun, das offiziell vermutlich »Marron« oder »Cappuccino« heißt, wird inzwischen von BMW- und Mercedes-Fahrern stolz zur Schau gestellt.

Zurückgeführt wird diese Trendwende auf den durch­schlagenden Erfolg der ökologischen Bewegung. Wo in der Küche eine Anmutung von Grünkernbratlingen und Vollkornnudeln waltet, die Grünen
Ministerpräsidenten stellen und die ausgelaugten Städter danach gieren, Landlust und Landliebe zu empfinden, darf man sich offen zu seiner Erdverbundenheit bekennen. Wir wollen – nicht nur im sich epidemieartig ausbreitenden Regionalkrimi – der Heimatscholle wieder nahe sein und unsere Autofarbe vom Ton des frisch gepflügten Ackers und des Maulwurfs nicht unterschieden wissen. Irgendwann wird das Braun sogar die auf den Spitzenplätzen rangierenden Farben Silbergrau und Schwarz attackieren.
Nur der Buchmarkt hinkt mal wieder hinterher. Wer seine Buchregale abschreitet und nach braunen Schutzumschlägen fahndet, wird vielfach enttäuscht. Gewiss, die alten Leineneinbände der »Zeitschrift für Deutsche Philologie« und meine Lenau- und Uhland-Ausgaben aus dem

19. Jahrhundert sind in mutiges Schollenbraun geschlagen, doch was die Gegenwartsliteratur betrifft, liegt diese Farbnuance weit im Hintertreffen. Mehr als ein Rostrot wagen die meisten Verlage nicht. Da gibt es für die Buchgestalter viel zu tun, und wieder einmal scheint uns Martin Walser unerschrocken den Weg zu weisen. Sein neuer Roman »Muttersohn« zeigt konsequenten Mut zum – noch etwas blassen – Braun. Ich werde diesem Beispiel alsbald folgen und meinen paranussbraunen Pyjama aus der hintersten Kleiderschrankecke befreien. Der ist noch so gut wie neu.