Meinung: Buchhandel

Ein Albtraum

22. September 2011
Redaktion Börsenblatt
Die Klage einer Buchhändlerin. Aufgeschrieben von Jochen Jung.

Es war nur ein Traum. Aber es hatte was von einem Albtraum. Ich sah mich in einer deutschen Mittelstadt, die ich nicht kannte, eine halbwegs belebte Einkaufsstraße entlanggehen, geradewegs auf eine Buchhandlung zu, nicht klein, nicht groß, und die Buchhändlerin, nicht jung, nicht alt, stand vor der Tür, als habe sie auf mich gewartet.

»Das habe ich auch«, sagte sie mir, noch bevor ich sie begrüßen konnte, »denn es wird Zeit, dass wir mit unseren Illusionen aufräumen, und Sie kommen mir da gerade recht.« Und damit hieß sie mich auf einem der Boulevard-Sessel Platz nehmen, die sie zwischen ihren Ramschkästen aufgestellt hatte, setzte sich auf den zweiten daneben, und während das potenzielle Kauf- und Lese­publikum an uns vor­überging, hielt sie mir folgende Rede:

»Schauen Sie sich die an. Das Problem ist ja nicht, dass die meisten von denen ein Leben ohne Bücher leben. Das Problem ist, dass sie gar nicht mehr wissen wollen, worauf sie da verzichten, und je jünger sie sind, desto mehr ist das so. Bücher sind ja schon lange nichts mehr für den Bücherschrank, nur noch etwas für das Reisegepäck. Gelesen wird Juli / August am Strand, und kaum ein Buch je bis zum Ende. Sind übrigens fast alles Taschenbücher – Hardcover ist nicht nur zu teuer, es sieht auch zu sehr nach Buch aus.
Aber glauben Sie bloß nicht, dass das nur für die Prolls gilt – auch die Zeit des Tea-Table-Books ist vorüber. Mit Büchern protzt man nicht mehr, nicht einmal mit den angesagten Neuerscheinungen. Wer lässt denn schon eine Charlotte Roche einfach bei sich rumliegen? Nein, nein, es ist vorbei mit dem sogenannten bürgerlichen Kulturpublikum. Alles Krimileser geworden, und alle beim Filialisten zwei Ecken weiter anzutreffen. Ich will doch die Leute nicht nur bedienen.

Ja, lieber Herr, es wird mich nicht mehr lange geben oder, besser gesagt, auch mich nicht. Bin ja nicht die Erste, die verschwindet, wirklich nicht. Ich weiche vor einer Konkurrenz, die ihr Heil in Non-Books versucht. Was ist denn von dem Selbstvertrauen einer Branche zu halten, die ihr Heil in dem sucht, wofür sie nicht zuständig ist?

Hat uns in letzter Zeit irgendwer sagen können, warum wir unersetzlich sein sollen? Ist nicht der ewige Hinweis darauf, wie gut sich die neuen Medien mit dem Buch vertragen, in Wahrheit nur die Bestätigung unseres Rückzugs? All die Liebeserklärungen an das Buch, das Papier, die Druckerschwärze, klingt das nicht so wie die Erinnerung an die erste Liebe? Ich habe es ja nicht mal geschafft, meinen Angestellten spürbar das Gefühl zu vermitteln, dass sie mehr sind als schlecht bezahlte Verkäuferinnen, die grad mal wissen, wo der Computer steht.

Es ist übrigens noch nicht so lange her, dass ich in den Feuilletons gelesen habe, die wahre Romankunst unserer Zeit, das seien die großen Hollywoodserien à la ›Mad Men‹ oder ›Six Feet under‹. So leicht gibt sich die Literatur auf? War sie es denn nicht, die einst unserem ganzen Gewerbe Sinn und Verstand gegeben hat?

Der feste Ladenpreis, der verminderte Mehrwertsteuersatz, die Postgebühren – wehe, da ändert sich mal was. Kafkaesk ist dann gar kein Ausdruck mehr. Apropos, haben Sie das Kafka-Buch von Kumpfmüller gelesen? ›Kafkas letzte Liebe‹ – ein tolles Buch.«