Parlamentarischer Abend mit Buchmesse-Gastland

Die Erfindung des isländischen Muttersohnes

22. September 2011
Redaktion Börsenblatt
Eine Liebeserklärung an Island: Die Vorstellung des diesjährigen Buchmesse-Gastlands im Berliner Büro des Börsenvereins traf auf viel Interesse bei Politik, Kultur und Gesellschaft in der Hauptstadt. Im Zentrum des Abends stand die Literatur – die Bücher, ihre Autoren.

Selbst der Schauspieler Ulrich Matthes konnte sich irgendwann während seiner Lesung bei der Präsentation Islands, zu der das Berliner Büro Gäste aus Politik, Kultur und Gesellschaft geladen hatte, das Lachen nicht mehr verkneifen. Bereits im ersten Teil seiner Lesung hatte er die volle Aufmerksamkeit der rund 150 Gäste auf die Texte aus dem Buch „Das Glitzern der Heringsschuppe in der Stirnlocke“ von Óskar Árni Óskarsson lenken können. „Geschichten, die nicht vergessen werden sollten“, nannte der Autor seine Sammlung von skurrilen Ereignissen aus dem Leben seiner Familie – wie die Geschichte über die zwölf Finger, mit denen seine Mutter auf die Welt gekommen ist, und von denen zwei kurzerhand von seiner Oma mit Opas Rasiermesser abgetrennt wurden.

Als Ulrich Matthes später aus dem Buch „Der gute Liebhaber“ von Steinunn Sigurdardottir vorlas und zu der Textstelle über die sehr komischen Orgasmusprobleme des Protagonisten Karl kam, wurde den Zuhörern in den überfüllten Räumen deutlich, dass die Annäherung an die Vielschichtigkeit der isländischen Literatur eine sinnliche und humorvolle Erfahrung sein kann.

„Die Liebe als Thema zu nehmen ist ein nützliches Werkzeug bei meiner Arbeit“, sagte die in Berlin lebende Schriftstellerin, „denn so kann ich die Menschen nackt zeigen, sie untersuchen, ihren Gedanken und Handlungen auf den Grund gehen.“ In ihrem neuesten Roman schreibt sie erstmals aus der Perspektive eines Mannes, was ihr unendlich viel Spaß bereitet habe, denn ihrer Einbildungskraft seien dadurch sämtliche Tore geöffnet worden. So habe sie auch ein neues isländisches Wort – Muttersohn – erfunden, um ihren Protagonisten zu beschreiben, und war dann überrascht zu hören, dass dieses Wort im Deutschen schon lange existiert und den Titel von Martin Walsers neuestem Roman prägt.

Trotz des Papst-Besuches am darauffolgenden Tag waren etliche Abgeordnete aus dem Bundestag zu der Veranstaltung gekommen, um sich über die literarische Welt Islands zu informieren. Halldór Gudmundsson, der Direktor des Projektbüros für den Gastlandauftritt, sprach von über 200 Buchtiteln, die mittlerweile in Deutschland erhältlich sind: „Ohne die Übersetzer wären wir mit dem Gastlandauftritt sicherlich noch nicht so weit.“ Ein Eindruck, den auch Alexander Skipis und Juergen Boos bestätigten. „Die Resonanz auf Island ist beeindruckend“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins in seiner Begrüßung, und der Direktor der Frankfurter Buchmesse fügte hinzu, dass die drei Dimensionen, die bei der Entscheidung über ein Gastland wichtig seien – Literatur, Wirtschaft und Politik – in diesem Jahr ihre Erfüllung fänden.

Rainer Nitsche, gerade zurück von einer Literaturreise durch Island, zeigte sich von der dortigen Literaturszene beeindruckt: „Kaum einer der isländischen Schriftsteller kann allein durch den Verkauf seiner Bücher leben.“ Sein Autor Óskar Árni Óskarsson muss halbtags in der Bibliothek von Reykjavik arbeiten. Dort, und das zeige die Professionalität dieser Szene, gibt er jungen Autoren Tipps und Hinweise mit auf den Weg, wie sie als Schriftsteller überleben können. „Kein anderes Volk nutzt die vielen Stipendien, die es weltweit für Schriftsteller gibt, so konsequent aus wie die Isländer.“

Und kein anderes Volk scheint es so gut verstehen, wie man Arbeit mit Vergnügen verbinden kann. Denn während die Überraschung über den Erfolg der Piratenpartei bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus zum Gesprächsthema beim anschließenden Buffet wurde, eroberten die isländischen Gäste wie Freibeuter mit ihrem mitgebrachten „schwarzen Tod“ – einem nach Kümmel schmeckenden Getränk aus der Heimat – die Herzen der anwesenden Gäste.

Martin Schult