Interview mit Christine Härle

"Es muss auch ein Leben nach Eichborn geben"

1. Dezember 2011
Redaktion Börsenblatt
13 Jahre hat sie bei Eichborn Hörbücher konzipiert und vertrieben, nun wechselt sie die Seiten und übernimmt  im Januar die Buchhandlung Tatzelwurm in Frankfurt am Main: Ein Interview mit Christine Härle.

Christine Härle und Hörbuch – die beiden Begriffe gelten ja schon fast als Synonym. Sieben Jahre waren sie im Sprechergremium des AK Hörbuch im Börsenverein, haben das Hörbuch bei Eichborn vertrieben und dann das Programm geleitet. Wie schwer fällt da der Abschied?
Seit klar war, dass Eichborn in die Insolvenz geht, habe ich natürlich überlegt, was ich machen könnte. Seit Juli bin ich freigestellt gewesen und nicht mehr im Verlag, und ich habe gemerkt, dass ich die vergangenen Monate auch gebraucht habe, um meine Zeit bei Eichborn emotional "verdauen" zu können. Denn es war eine sehr intensive Zeit, besonders.

Was war das Besondere?
Eichborn war bunt, schillernd, das ist schwer zu beschreiben. Ich bin ja  gelernte Sortimentsbuchhändlerin und 1998 bei einer Vertreterbörse vom damaligen Eichborn-Verkaufsleiter Norbert Rojan gefragt worden, ob ich nicht ein Volontariat dort machen wolle. Ich war völlig begeistert, Eichborn hatte mit Günther Domnick einen legendären Vertreter, der gehörte zu meinen "Sternchen-Terminen". Und bei diesem Verlag sollte ich anfangen! Es hat sich dann auch alles so aufregend weiterentwickelt, erst Vertrieb, dann habe ich die Programmleitung für das Hörbuch übernommen, habe mit Studioarbeit begonnen, na, ich bin immer weiter ins Hörbuch reingerutscht. Anfang des Jahres bin ich in die Jury des Deutschen Hörbuchpreises gewählt worden, da bleibe ich auch drin, und in der neuen Buchhandlung werde ich gewiss Hörbücher verkaufen.

Was hat sie daran gereizt, die Seiten zu wechseln?
Es muss auch ein Leben nach Eichborn geben, und das Sortiment ist für mich ja nichts Unbekanntes, ich habe von 1995 bis 1997 bei der Buchhandlung Greuter in Tuttlingen gelernt und anschließend auch dort gearbeitet. Insofern gehe ich zurück zu meinen Wurzeln. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch kleinere mittelständische Buchhandlung eine Zukunft haben, wenn sie sich gut auf ihre Kunden einstellen, das Stadtviertel eine kaufkräftige Klientel hat und die Lauflage gut ist. All das ist beim Tatzelwurm der Fall, die jetzige Inhaberin, Claudia Vogel-Bichmann hat es geschafft, dass der Buchladen einen sehr guten Ruf hat.

Nun ist der Tatzelwurm eine Kinder- und Jugendbuchhandlung  – hatten Sie mit diesem Genre bislang Berührungen?
Von Verlagsseite her nicht, aber ich bin ein Fantasy-Fan und lese, was das Zeug hält. Viele meiner Freunde gehen in den Tatzelwurm, und da weiß ich mittlerweile schon sehr gut, welche Bücher deren Kinder interessieren. Seit anderthalb Jahren wohne ich in diesem Viertel, da bin ich nah dran.

War die Finanzierung bei den Banken problematisch?
Nein, die Banken hatten glücklicherweise keine großen Hürden aufgestellt, da der Tatzelwurm einen festen Kundenstamm und eine gute Lage hat. Ich habe die Buchhandlung mit meinem Lebensgefährten Wolfgang Koch gekauft, der stiller Teilhaber ist und sonst weiter als Medienforscher beim Hessischen Rundfunk arbeitet.

Das dürfte bei den veränderten Mediennutzungsgewohnheiten der Kinder von Vorteil sein – welche "Neuerungen" sind bei Ihnen zu erwarten? Gibt es Apps für iPads, E-Books?
Ja, ich möchte auch in Sachen E-Books aktiv werden und im Laufe des Frühjahrs den Kunden den Kauf von digitalem Content anbieten, u.a. soll es einen E-Book-Reader zum Ausprobieren im Laden geben. Für mich wird es eine Herausforderung sein, die über 14-Jährigen an der Stange zu halten, eben weil es so große mediale Konkurrenz gibt. Die will ich durch Aktionen ansprechen. Generell will ich versuchen, das Angebot in Richtung Familienbuchhandlung auszudehnen, also Belletristik, Sachbücher, politische Bücher für Erwachsene hinzuzunehmen. Schließlich lesen die Käufer der Kinderbücher ja auch selbst.

Und in Richtung Hörbuch?
Frau Vogel-Bichmann hat schon viele Veranstaltungen gemacht, die will ich fortsetzen, Aber ich könnte mir so etwas wie Hörbuch-Karaoke vorstellen, da hoffe ich, meine alten Kontakte nutzen zu können, mit Sprechern wie Matthias Keller oder Autoren wie Jochen Till. Überhaupt möchte ich mit Frankfurter Künstlern Projekte machen, zum Beispiel könnten Illustratoren ein Schaufenster gestalten, vielleicht könnte ich kleine Ausstellungen machen.

Wann geht's genau los?
Am 2. Januar mache ich mit Claudia Vogel-Bichmann Inventur, dann geht sie in den wohlverdienten Ruhestand und ich werde sofort ins kalte Wasser geworfen. Eine Mitarbeiterin übernehme ich als Halbtagskraft, das ermöglicht schon mal ein bisschen Kontinuität. Wenn's dann wärmer wird, plane ich für das Frühjahr, die Räume zu renovieren - das ist schon eine ganze Menge, oder?