Die großen Trends entstehen heute in Technologieunternehmen – Verlage und Buchhandlungen hetzen hinterher. Stimmt diese These überhaupt?
Mir ist ein anderes Bild lieber: ein Mobile. Daran lässt sich recht gut zeigen, wie sich Medien verändern – und vielleicht auch, warum sich manche so gehetzt fühlen, oder auch bedrängt.
Können Sie das Bild erklären?
Ein Mobile ist ein System aus einzelnen frei hängenden Elementen, die aber dennoch zusammenhängen. Wenn Sie aus diesem System ein Element wegnehmen oder mehrere neue, vielleicht sogar sehr gewichtige Elemente dazuhängen, gerät das Gleichgewicht erst einmal durcheinander. Ruhe kann da erst wieder einkehren, wenn jedes Element seine neue Position gefunden hat.
Und wie ist der Status quo mit Blick auf die Buchwelt?
Mit den digitalen Medien und Kul- turtechniken sind sicher gewichtige Elemente dazugekommen. Das Mobile schwingt heftiger denn je, kaum etwas läuft noch wie vorher. Das neue Gleichgewicht ist noch nicht wieder hergestellt. Wir bewegen uns in einer Phase des Suchens – und damit des Fragens. Beim Buch geht es zum Beispiel um die Frage nach den Eigenschaften: Darum, welche das Medium abgeben muss und welche sich mehr in den Vordergrund holen lassen. Generell denke ich, dass sich das Buch mehr auf sich selbst besinnen muss. Oder anders gesagt: dass das Buch mehr zum Buch werden muss.
Dreht sich das Buch denn überhaupt noch im Zentrum dieses Medien-Mobiles?
Es ist noch zu früh, das zu sagen. In puncto Geschwindigkeit, also immer dann, wenn es nur um schnellen Informationskonsum geht, wird das Buch künftig nicht mehr mithalten können – was aber nicht heißt, dass es deshalb gleich abgehängt wird. Das Buch hat Zukunft, wenn Produzenten und Händler sich stärker auf das Besondere des Mediums fokussieren – auf das Einzigartige, das nicht durch das Digitale ersetzbar ist.
Worin besteht dieses Einzigartige?
Es ist die Aufgabe, auch selbstverständliche Eigenschaften des Buchs wiederzuentdecken. Die Materialität zum Beispiel. Aber ich will da gar nicht vorgreifen. Das ist ein Prozess.
Darüber denkt die Buchbranche seit Jahren nach. Läuft etwas falsch?
Warum denn falsch? Alle stehen mittendrin in einem Wandel. Es ist nicht die Zeit der fertigen Konzepte, sondern eine, in der jeder nach neuen Strukturen sucht. Wichtig ist dabei nur eines: dass man nicht übers Ziel hinausschießt und möglichst konstruktiv und unideologisch nach neuen Konzepten sucht.
Sie raten der Buchbranche zu Geduld?
Unbedingt. Und auch dazu, nicht weiter auf den Frontenkampf zwischen digitalen Medien und Printmedien einzugehen. Erfahrungsgemäß sind solche Debatten ziemlich unfruchtbar. In welchem Kontext ist welches Medium sinnvoll, das ist doch die Frage.
Haben Sie deshalb vor zwei Jahren Ihr Slow-Media-Manifest verfasst?
Ja. Die Situation war damals so: Auf der einen Seite gab es Leute, die sagten, das Internet sei die Lösung für alles, und die Zeit der Holzmedien ein für allemal vorbei – während die andere Seite meinte, Qualität gebe es nur auf Papier. Aus unserer Sicht stimmt weder das eine noch das andere: Qualität hängt nicht von der Darreichungsform ab. Es gibt genauso gut Schrott auf Papier wie es qualitativ hochwertige und vertiefende Information im Internet gibt. Diese Erkenntnis brachte uns schließlich zu der Frage: Wenn Qualität nicht davon abhängt, ob Inhalte auf Papier oder als Pixel daherkommen – wovon dann? Die Antwort haben wir später in 14 Thesen niedergeschrieben.
Mit welchem Ziel?
Einen dritten Weg aufzuzeigen. Slow Media ist kein Medienformat, sondern eine Art, Medien zu produzieren und zu nutzen. Damit sind Medien gemeint, die auf eine langfristige Bindung zielen, die Gespräche anregen, diskursiv und dialogisch sind. Und die gern empfohlen werden.
Wie slow ist die Welt seit der Veröffentlichung des Manifests geworden?
Sie hat sich zwar nicht total verändert, aber es ist schon viel in Bewegung gekommen. Über das Manifest wird weltweit und in vielen Zusammenhängen diskutiert – das zeigt, dass wir damit einen Nerv getroffen haben. Die Menschen spüren, dass die alten Strukturen nicht mehr funktionieren, wissen jedoch noch nicht, welche neuen Strukturen sich für ihre Zwecke eignen. Diese Übergangsphase dauert möglicherweise noch fünf bis zehn Jahre. Der Slow-Media-Ansatz kann da praktikable Lösungen und Orientierung bieten, weil er gerade über diese Transformation spricht und den Wandel strukturell einbezieht.
In Ihren Thesen ist von fokussierter Wachheit die Rede, von Nachhaltigkeit, Monotasking, Qualität: Ist das Konzept nicht zu abstrakt, um praktikabel zu sein?
Abstrakt ist es allenfalls auf den ersten Blick. Uns geht es um die Haltung, mit der man etwas produziert – und mit der man als Medienhaus seinen Lesern gegenübertritt. Konkreter Fall: die Rubrik »Ein Blick in die Zeit« von Giovanni di Lorenzo unter zeit.de. Einmal pro Woche berichtet der Chefredakteur über die Entstehung der aktuellen Printausgabe – das Video dient als Appetizer, regt Gespräche an, nimmt die Leser mit, bindet sie. Das ist vom Grundgedanken her sehr slow und könnte sich als Idee auch bei Buchverlagen durchsetzen. Diskursivität halte ich für ein sehr zentrales Thema: Sie ermöglicht verlässliche Bindungen und Loyalität bei Kunden.
Einige Buchhandelsfilialisten bauen derzeit ihre Läden um. In den Regalen stehen jetzt weniger Bücher, dafür gibt es mehr Spielwaren, Büromaterial und Deko-Artikel. Wie slow ist das?
In einer solchen Convenience-Atmosphäre geht es eher um den schnellen Konsum – als um Slow Media. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich hier loyale, langfristige Bindungen einstellen.
Im Sinne von Slow Media: Wie ließe sich das ändern?
Indem das Buch, das Lesen kultiviert wird, das Sprechen über Bücher, der Austausch. Buchhändler müssen ihren Kunden einen guten Grund geben, warum sie zu ihnen kommen sollen – und nicht via Internet bestellen.
Das klingt nach einem Nischenkonzept. Sind Slow Media eventuell nur etwas für eine kulturbeflissene und zahlungskräftige Elite?
Reflektiertheit ist nie ein Massenphänomen. Es gibt immer ein Nebeneinander von Nische und Masse, Leute, die gern im Supermarkt, andere, die lieber auf dem Wochenmarkt einkaufen. Oder Tage, an denen man lieber dies oder das andere tut. Das schließt sich nicht aus. »Slowe«, nachhaltige Konzepte werden aber immer wichtiger. Man kann die Dinge nicht mehr nur kurzfristig sehen und nur auf einen schnellen Return on Investment hinarbeiten. Das gilt nicht nur für Medien.
Und wenn das Geld knapp wird?
Slow zu handeln muss nicht viel kosten, es hat eher mit einem strategischen Blick nach vorn zu tun. Buchhandlungen und Verlage sollten nachhaltiger denken – in Konzepten, die länger tragen als nur bis morgen. Loyalität und Bindung aufzubauen, rentiert sich nun mal nicht am nächsten Tag.
Trauen Sie der Buchbranche zu, dass sie das schafft?
Ja, weil sie experimentierfreudig genug ist. Die Verwirrung, die gerade herrscht, ist doch nicht ungewöhnlich. Und sie wird auch nicht von Dauer sein. Neue Strukturen werden sich in den nächsten Jahren herauskristallisieren und bewähren.
Hier lesen Sie die Slow-Media-Thesen.
Zur Person:
Sabria David studierte Germanistik und Linguistik. 2000 gründete sie die Kommunikations-Agentur Text-Raum. Gemeinsam mit dem Soziologen Benedikt Köhler und dem Marktforscher Jörg Blumtritt verfasste sie 2010 das "Slow-Media-Manifest". Im Frühjahr 2011 entstand aus dieser Zusammenarbeit das Slow-Media-Institut, das aus interdisziplinärer Perspektive zum Medienwandel und seinen Auswirkungen forscht und berät.