Die Sonntagsfrage

Wie viel Mut braucht man, um eine Buchhandlung einen Tag an Schüler zu übergeben?

15. April 2012
Redaktion Börsenblatt
Annaluise Erler hat gute Ideen – und traut sich was: Am Welttag des Buches überlässt sie ihre Buchhandlung in Tharandt sechs Gymnasiasten, die von der Warenannahme über die Kundenberatung bis zum Kassieren und Geschenkeverpacken alle anfallenden Arbeiten übernehmen. Und ein Schaufenster gestalten sie nebenbei auch noch.

Wie leicht wird es Ihnen fallen, den Schülern den Laden zu überlassen?

"Ohne Vertrauen geht es nicht, schließlich kenne ich die Schüler außer einem Mädchen, das vor drei Jahren ein Praktikum bei mir gemacht hat, ja noch nicht. Und die zwei Elftklässler, zwei Zehntklässler und zwei Siebtklässler werden am 23. April viele anspruchsvolle Tätigkeiten bewältigen müssen: Das geht morgens mit der Warenannahme und Regalbestückung los, die Schüler werden Titel recherchieren, beraten und kassieren, ein Schaufenster gestalten. Und dann wird es am Vormittag sogar noch einen Vorlesewettbewerb der vierten Tharandter Grundschulklassen in der Buchhandlung geben. Dafür müssen sie vorher die Jurykriterien des Börsenvereins aus dem Internet ziehen und später den Zuhörern noch einmal erläutern, Stühle aufstellen, aus zehn von mir vorausgewählten Büchern das Buch für den Fremdtext aussuchen usw.

Das mag sich vielleicht nach ganz schön viel Arbeit anhören, aber nur Rumstehen ist erfahrungsgemäß zu langweilig, und die Schüler brennen darauf, etwas zu tun. Ich hatte zunächst an eine Art Schichtdienst gedacht, aber die Schüler haben gesagt: Nö! Wir wollen den ganzen Tag in der Buchhandlung arbeiten. Durch eine Anstecknadel der Buchhandlung mit ihren Namen sind sie für die Kunden als die Gesichter der Buchhandlung erkennbar. Ich glaube, meine Kunden hier in Tharandt finden das erstmal außergewöhnlich, sind aber bestimmt neugierig und lassen sich darauf ein. Es passt ja auch gut zum Welttag des Buches. Die Jugendlichen bekommen einen kleinen Ablaufplan und ein Mini-Handout für das Bedienen der Kasse und sind erst mal auf sich gestellt – für den Notfall und bei kniffligen Fragen können sie eine Mitarbeiterin und mich fragen, aber sonst halten wir uns komplett im Hintergrund.

Auf die Idee bin ich erst vor wenigen Wochen gekommen. Da ich mit zwei Gymnasien eng zusammenarbeite, habe ich drei Deutschlehrer gefragt, die regelmäßige Kunden unserer Buchhandlung sind. Die haben wiederum ihre Schüler gefragt, wer Lust hätte, und spontan haben sich einige gemeldet. Ich denke, das wird eine gute Erfahrung für die Jugendlichen, sie werden nachher bestimmt stolz sein, dass sie einen Tag lang den Laden geschmissen haben. Wo kriegt man schon mal einen solchen Einblick ins Berufsleben?"