Frankfurter Buchmesse

"Gut für die Umwelt, gut für die Bilanz"

9. Oktober 2012
Redaktion Börsenblatt
Green Publishing? Ja, bitte. Ein vom Bundesumweltministerium gefördertes Projekt legt einen Kriterienkatalog für Nachhaltiges Publizieren vor – und sichtet die gängigen Standards. Anke Oxenfarth vom oekom verlag und Achim Schorb vom ifeu-Institut ziehen zur Messe Bilanz.

Müssen die deutschen Verlage ihr Umweltbewusstsein dringend schärfen?

Oxenfarth: Das Interesse am nachhaltigen Publizieren ist da, aber natürlich gibt es Verlage, die sich hier mehr engagieren und welche, die weniger dafür tun. Oekom ist ja ein Verlag mit ökologischer Programmausrichtung  – für uns ist umweltbewusste Unternehmensführung seit Jahren eine Selbstverständlichkeit. Die Informationen dazu mussten wir uns allerdings mühsam zusammensuchen. Es gibt kein Umwelt-Handbuch speziell für Verlage. 2010 kam dann die Frankfurter Buchmesse mit der Frage auf uns zu, welche Umweltstandards wir für eine nachhaltige Buchproduktion empfehlen könnten. So entstand die Idee, die vorhandenen Standards zusammenzutragen und der Branche gebündelt zur Verfügung zu stellen.

Der Startschuss für das Projekt fiel bei der Frankfurter Buchmesse 2011. Sind Sie zufrieden mit dem, was sich seitdem in der Branche bewegt hat?

Oxenfarth: Ja, ein Anfang ist gemacht. Bei unserem Expertenworkshop im März hatten wir ein volles Haus, außerdem haben wir das Projekt auf den Fachmessen MediaMundo, der drupa 2012 und der Arbeitstagung der Herstellungsleiter im Kloster Irsee präsentieren und die erarbeiteten Empfehlungen diskutieren können. Unser erster Arbeitsauftrag ist mittlerweile erfüllt – nämlich Anforderungen zur Nachhaltigkeit bei Druckpapieren und Druckprozessen vorzuschlagen und gewissermaßen eine „Roadmap to Green Publishing“ zu erstellen. Die ausführliche Analyse ist online abrufbar und wird in diesen Tagen auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt und erneut mit Experten aus der Praxis diskutiert. Außerdem haben wir beim Umweltministerium für 2013 eine Verlängerung des Projekts  beantragt – uns fehlen schließlich noch wichtige Glieder in der Kette, etwa Vertrieb und Logistik. Durchaus neuralgische Punkte.

Wie sieht sie denn aus – Ihre „Roadmap to Green Publishing“?

Schorb: Es macht wenig Sinn, zu den 400 Verbraucherstandards und -Labels, die es bereits gibt, noch neue hinzuzufügen. Darin waren wir uns alle einig. Unser Ziel war es deshalb, die bestehenden zu verbessern. Nehmen Sie den Blauen Engel: Das Gütesiegel geht relativ weit, offenbart lediglich beim Druckprozess einige Schwächen. Aber das lässt sich ändern – indem es bei der nächsten Revision entsprechend ergänzt wird. Nicht so zufriedenstellend schneidet aus unserer Sicht dagegen das EU-Eco-Label ab, dass es seit diesem Jahr gibt. Hier wäre auf EU-Ebene noch einiges nachzuarbeiten.

Ist ein Verlag, der sich für Produkte mit dem Blauen Engel entscheidet, also ökologisch gesehen auf der sicheren Seite?

Schorb: Zu 80 Prozent ja. Gentechnische Aspekte werden bei diesem Gütesiegel zwar nicht berücksichtigt – aber wer den Blauen Engel einsetzt, geht ein gutes Stück in Richtung Nachhaltigkeit. Denn Papier gehört neben dem Druckprozess zu den wichtigsten Faktoren für umweltfreundliches Publizieren.

Gibt es eigentlich Zahlen darüber, wie viele Bücher in Deutschland umweltbewusst produziert werden?

Schorb: Leider nein, der Zahlenunterbau ist schwierig. Zu den Verlagen, die ich schon lange berate, gehört zum Beispiel Random House. Die Verlagsgruppe hat schon sehr frühzeitig auf FSC- und Recyclingpapier umgestellt. Auch viele andere Verlage drucken inzwischen zumindest ihre Taschenbücher auf Recyclingpapier. Aber Daten dazu fehlen.

Sind es denn eher fünf oder 5o Prozent?

Schorb: Eher fünf Prozent.

Warum sind es nicht mehr – wenn es mit dem Blauen Engel doch ein verlässliches Gütesiegel gibt? Spielen da immer noch Qualitätsbedenken eine Rolle?

Schorb: Bei den Standards, die wir für die Branche entwickeln, gilt das Grundprinzip: Die Produktqualität muss garantiert sein. Da machen wir keinerlei Abstriche. Und das müssen wir beim Papier auch gar nicht, denn dreckiges, graues, unansehnliches Recyclingpapier gehört schon lange der Vergangenheit an. Und das feinste und beste Papier überhaupt ist ohnehin ein reines Recyclingpapier: Bütten.

Oxenfarth: Trotzdem hält sich das Vorurteil, Recyclingpapier sei minderwertig, in der Tat hartnäckig. Viel größer als beim Thema Papier sind die Widerstände im Moment allerdings im Druckbereich. Der Druckindustrie geht es schlecht, die Auftragslage ist schwierig. Fordert man da ökologisches Umdenken ein, kommt schnell die Antwort: „Wie sollen wir das denn leisten – wir kämpfen doch ohnehin schon ums Überleben“. Dabei liegt in der umweltbewussten Produktion eine Zukunftschance der deutschen Druckindustrie.

Können die Verlage hier einen gewissen Nachfragedruck aufbauen?

Oxenfarth: Auf jeden Fall!

Schorb: Wir sehen ja bei unseren Workshops und Präsentationen, dass wir bei den Verlagen offene Türen einrennen. Verlage müssen bei ihren Druckern und Lieferanten umweltgerechte Produkte und Prozesse einfordern – dann bewegt sich auch etwas.

Die Druckindustrie zeigt sich doch durchaus beweglich. Beispielsweise bietet der Bundesverband Druck und Medien seinen Mitgliedern einen CO2-Rechner für klimaneutrale Produktion an. Geht das nicht weit genug?

Schorb: Ein CO2-Rechner ist kein Persilschein! Genau darin liegt die Gefahr. Wem nützt ein klimaneutraler Druckprozess, wenn gleichzeitig das mieseste Papier mit 100 Prozent Frischfaser zum Einsatz kommt? Um nur ein Beispiel zu nennen.

Oxenfarth: Viele Unternehmen – auch viele Verlage – gehen einen Schritt in die richtige Richtung, etwa in dem sie Recyclingpapier im Büro einsetzen, ihre CO2-Emissionen kompensieren. Aber an diesem Punkt bleiben sie dann oft stehen. Doch ein Verlag, der ökologisch produzieren will, muss seine gesamten Abläufe hinterfragen. Am Ende, davon bin ich überzeugt, profitiert er davon auch in ökonomischer Hinsicht. Gut für die Umwelt, gut für die Bilanz: Das ist kein Widerspruch, sondern geht unserer Erfahrung nach Hand in Hand. Mit höheren Kosten für Recyclingprodukte kann sich heute so ohne weiteres keiner mehr herausreden.

Verlage produzieren immer mehr Bücher in Fernost. In ökonomischer Hinsicht tut ihnen das gut – ökologisch ist es ein Tiefschlag, oder?

Oxenfarth: Ob es sich angesichts absehbar steigender Öl- und Ressourcenpreise wirklich noch lange rechnen wird, in Fernost zu produzieren und Bücher um die halbe Welt zu schicken, sei einmal dahingestellt. Denn auch Logistikprozesse kosten Geld. Und Regionalität ist schon heute bei Lebensmitteln ein großes Thema – und wird in allen Lebensfeldern immer wichtiger werden. Da bin ich mir sicher. Aber Sie haben natürlich recht: Bei der Buchproduktion in Fernost gibt es noch dicke Bretter zu bohren – hoffentlich auf der Buchmesse 2013, wenn wir in der zweiten Projektstufe auch diese Umweltfragen genauer analysiert haben.

Schorb: Allerdings muss man auch sagen, dass es derzeit nicht für alle Verlage einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt. Ein Pappbilderbuch mit vielen Klappen und aufwendigen Details wäre hierzulande zu vertretbaren Kosten nicht zu produzieren und müsste für 30 bis 40 Euro auf den Markt kommen. Dieser Preis ist beim Kunden nicht durchsetzbar. Doch auch in Fernost kann man sich umweltbewusste, faire Partner suchen. Negativschlagzeilen über schlechte Produktions- und Arbeitsbedingungen bei ihren Lieferanten können sich vor allem große Häuser nicht leisten.

Der Buchmarkt wird seit einigen Jahren von einer Veredelungwelle überrollt. Unökologisch?

Schorb: Nicht unbedingt. Man kann auch durch Prägungen statt durch Lackierungen tolle Effekte erzielen. Und natürlich lassen sich heute keine Taschenbücher mehr verkaufen, die so aussehen wie ein Reclam-Heft in den 70er Jahren. Auch bei der Veredelung gibt es ökologische Alternativen. Schwieriger ist der boomende Digitaldruck, weil die gängigen De-Inking-Verfahren beim Papierrecycling nicht greifen. Auf der Drupa 2012 sind zwar neue, umweltfreundliche Farben für den Digitaldruck vorgestellt worden, aber noch sind die Produkte nicht auf dem Markt. Die schlimmste Umweltsünde überhaupt sind die so genannten Fotobücher, weil die Maschinen für den nächsten Druckvorgang immer mit einer frischen Lage Papier gereinigt werden. Vor dem Hintergrund, dass die Produkte zugleich schwer recycelbar sind, ist das eine echte Umweltsünde.

Also Hände weg vom Digitaldruck – auch bei der Auflagenkalkulation via Print on Demand?

Oxenfarth: So pauschal lässt sich das nicht sagen. Print on Demand kann durchaus sinnvoll sein, wenn es um kleine Auflagen geht. Denn eine Überproduktion im Offsetdruck, die man einstampfen muss, ist ja auch nicht gerade ökologisch. Im oekom verlag überlegen wir jedenfalls sehr genau, wie viele Exemplare wir wirklich von einem Titel brauchen. Drucker und Autoren neigen dazu, lieber etwas mehr zu produzieren. Über die Schattenseiten einer höheren Auflage muss man mit ihnen offen reden. Gerade bei der absatzgesteuerten Printproduktion schließt sich der Kreis – sie macht nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch Sinn.

Der oekom verlag hat eine eigene Stabsstelle für Nachhaltigkeit eingerichtet. Kommt man ohne solche festen Verantwortlichkeiten aus?

Oxenfarth: Feste Strukturen erleichtern zumindest vieles. Denn der Umstellungsprozess macht Arbeit, erfordert einen langen Atem. Die Technik ist dabei das geringste Problem – es geht um die eigene Haltung, beim Verleger, beim Hersteller, im gesamten Team. Jemanden zu haben, der an dem Thema dranbleibt, der den Prozess managt, ist da natürlich sehr hilfreich. Aber vor allem muss die Geschäftsführung von der Sache überzeugt sein – oder überzeugt werden.

Schorb: Das notwendige Knowhow aufzubauen ist wichtig – das ist übrigens ganz unabhängig von der Größe des Verlags. Bei der Herstellertagung im Kloster Irsee war ich erstaunt darüber, wie groß das ökologische Fachwissen gerade bei den kleineren Verlagen ist.

Noch ein Wort zum E-Book. Wagen Sie sich an eine vergleichende Ökobilanz zwischen gedrucktem und digitalen Buch?

Oxenfarth: Das wird sicher ein Thema der nächsten Jahre. Ich kann mir gut vorstellen, dass unser Projekt in einer dritten Ausbaustufe auch diesen Aspekt noch genauer untersucht. Die Frage ist, wo man in der Prozesskette ansetzt – und ob man nicht letztlich immer Äpfel mit Birnen vergleicht.

Schorb: Die Vergleichbarkeit ist selbst für altgediente Ökobilanzierer wie mich ein Problem. Wird ein ein iPad nach drei Jahren weggeworfen, weil ein neues Modell auf den Markt kommt? Wie viele E-Books sind dann darauf gelesen worden? Und wie oft wird ein Taschenbuch zur Hand genommen? Bei einer Öko-Bilanz von P- und E-Book gibt es viele offene Fragen – anders als beim klassischen Druckprozess. Wenn die Standards für Printprodukte, die wir jetzt gemeinsam entwickelt haben, in der Branche Schule machen, ist für die Umwelt schon viel gewonnen.

Oxenfarth: Wir freuen uns übrigens, dass unser Projekt für das Bundesumweltministerium Pilotcharakter hat – weil der Branche keine Standards übergestülpt werden, sondern weil sie selbst bei der Entwicklung beteiligt ist. Diese konsequente Verzahnung von Theorie und Praxis ist nötig.

 

Nachhaltig Publizieren – Neue Umweltstandards für die Verlagsbranche

 

  • Das vom Oekom Verlag initiierte und vom Bundesumweltministerium geförderte Projekt hat das Ziel, branchenspezifische Standards für nachhaltiges Publizieren zusammenzutragen, zu dokumentieren und der gesamten Branche zugänglich zu machen. Außerdem sollen neue, anwendungsbereite Standards entwickelt werden.
  • Empfehlungen zu Druckpapieren und Druckprozessen liegen mittlerweile vor. Die Ergebnisse werden auf der Frankfurter Buchmesse 2012 vorgestellt – bei der Veranstaltungsreihe „Green Hour“ im Forum Verlagsherstellung und auf der Ausstellungsfläche „Green Publishing“ (Auftakt-Panel: Mittwoch, 10. Oktober, 16 Uhr, Halle 4.0, Stand A 1320).
  • Weitere Partner: Institut für ökologische Wirtschaftforschung (IÖW), ifeu-Institut für Energie und Umweltforschung, Umweltbundesamt und Frankfurter Buchmesse. Eine Fortsetzung ist für 2013 beantragt und soll Vertrieb und Logistik ökologisch durchleuchten.

 

Ein erstes Fazit

 

  • Druckpapiere: Der Blaue Engel weist aus Sicht des Projektteams bereits heute die größte Übereinstimmung mit den Anforderungen an eine nachhaltige Papierbeschaffung auf, muss aber in einigen Punkten ergänzt werden. Ist für ein Produkt derzeit noch kein Recyclingpapier mit dem Blauen Engel verfügbar, kommt als Alternative eine Kombination aus FSC-Label und „Nordic Ecolabel“ den Standards des Blauen Engel am nächsten. Einige wenige Sorten dänischer und französischer Hersteller bieten diese Doppelzertifizierung heute bereits an.
  • Druckprozess: Hier schneiden das „Nordic Ecolabel“ und das „Österreichische Umweltzeichen RL 24 – Druckerzeugnisse“ am besten ab. Diese Umweltzeichen könnten bei der nächsten fälligen Revision um die anspruchsvolleren Papier-Anforderungen aus dem Blauen Engel und dem FSC-Zertifikat ergänzt werden. Umgekehrt könnte der Blaue Engel für nachhaltige Druckerzeugnisse um die Anforderungen erweitert werden, die sich für Druckerzeugnishersteller aus dem „Nordic Ecolabel“ oder dem „österreichischen Umweltzeichen“ ergeben.