Jugendbuch

"Jetzt macht mal!"

10. Oktober 2012
von Börsenblatt
Mütter mit unwilligen Jungs, Lesealterempfehlungen, inflationär verwendete All-Age-Etiketten und die Suche nach Trends: Ist das klassische Jugendbuch in der Klemme? lautete der Titel der Podiumsdiskussion, zu der die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen heute Nachmittag ins Forum Kinder- und Jugendbuch auf der Buchmesse einlud.

Bestsellerautorin Nina Blazon kreiste die Definition erst einmal ein: "Was ist denn das klassische Jugendbuch? Ich versuche so zu schreiben, dass ein Elfjähriger keinen Schock kriegt, wenn er mein Buch liest, das ich für 14-Jährige angelegt habe." Während das Kinderbuch mit dem Leser behutsamer umgehe, das Ende hoffnungsvoll sei und zeige: "Es kann gelingen", sei es beim Jugendbuch anders, da gehe es oft schlechter aus, wie im richtigen Leben eben, meinte Roswitha Budeus-Budde, Redakteurin bei der "Süddeutschen Zeitung". Das von den Verlagen gern als Empfehlung angegebene Alter sei nicht entscheidend; man müsse das jeweilige Kind individuell berücksichtigen: "Da lesen die einen noch Pferdebücher und die anderen schon Romane, die sie im Bücherschrank ihrer Eltern aufstöbern."

Budeus-Budde diagnostizierte ein "Pädagogik-Gen",  das bei Erwachsenen erwache, sobald sie Eltern würden. Ab dann setzten sie bei der Auswahl der Lektüre für den Nachwuchs Barrieren: "Sie wollen nichts über Drogen und Gewalt lesen, nichts über fehlgesteuerte Eltern und gescheiterte Schüler, die das Abitur nicht packen."

Dem pflichtete Sandra Rudel, Buchhändlerin bei Schmitz junior in Essen, zu: "Wenn Kinder selbst entscheiden, suchen sie sich ganz andere Titel aus als die Eltern oder wir, auch wenn wir ja bestimmte Bücher mit Herzblut empfehlen." Anstrengend werde es, wenn Mütter mit Jugns in die Buchhandlung kämen ... Aber es sei richtig, das Kinder selbst auswählten: "Oft ist die Auswahl der Erwachsenen zu schwer, zu komplex, vom Thema uninteressant - gerade leseschwächere Kinder steigen da aus." Ein Treiber sei das Internet: "Da werden Titel von begeisterten Lesern unheimlich gepusht - wenn jemand was gelesen hat, von dem er begeistert ist, gibt er schnell Empfehlungen im Netz."

Diskutiert wurde auch über die berüchtigte All-Age-Schublade, in die Verlage Bücher gerne mal stecken. "Was macht denn ein Jugendbuch zum Jugendbuch?", fragte Moderator Torsten Casimir, Chefredakteur des Börsenblatts: "Ist John Greens Roman 'Das Schicksal ist ein mieser Verräter' ein Jugendbuch oder nicht vielmehr ein Roman für Erwachsene?" Auch wenn die Grenzen zwischen Jugend- und Erwachsenenbuch zunehmend fließend verliefen und klare Grenzen verwischten, meinte Loewe-Lektorin Sarah Haag, seien die Protagonisten jugendlich, die großen Fragen des Lebens würden aus jugendlich neugierigem Blickwinkel betrachtet. "Im Jugendbuch geht es immer um Anfänge, um die ersten Male, Erfahrungen."

Konstatiert wurde in der Podiumsdsikussion auch mehr Gewalt, die in Jugendbüchern thematisiert wird. Verschiebt sich hier die Altersgrenze nach unten? Etwas schon, meinte Haag, und Blazon erzählte, dass  Lektorinnen heute auch bei Büchern für die jüngere Ziekgruppe das Fehlen eines "Love-Interests" bemängelten. "Kommen denn Reklamationen, wenn die Bücher zu 'hart' sind?", fragte Torsten Casimir. "Die Leser gehen recht differenziert damit um", sagte Haag, "die Jugendlichen unterscheiden sehr wohl zwischen Buch und Realität, die verbinden die Gewalt dort nicht mit ihrem Leben", berichtete Rudel.

Nun interessiert alle die Frage, ob es einen aktuellen Trend gibt - allein, die Antwort ist wie in den vergangenen beiden Jahren auch: Nichts zu sehen am Horizont "Vielleicht werden die realistischen Titel inzwischen wieder mehr wahrgenommebn", stellte Haag fest, " da haben mehr Titel wieder eine Chance. Und es kommen ja immer wieder neue Generationen von jungen Lesern nach. Generell sei man offen auch gegenüber einem Genremix. "Ich würde mich freuen, wenn es mal wieder was anderes gibt als die vielen Dystopien und Fantasytitel, die oft um eine Spirale aus Macht und Gewalt kreisen", sagte Buchhändlerin Sandra Rudel.

Und die Schere zwischen Vielleser und Nichtleser - "wird sie größer?", fragte Torsten Casimir. "Es haben niemals alle Menschen in Deutschland gelesen, auch vor 100 Jahren nicht", sagte Budeus-Budde, "das ist eine pädagogische Forderung." "Es wird nicht zu erreichen sein, dass alle lesen", sagte Haag, "aber wir probieren immer wieder, möglichst viele anzusprechen." Es gebe viele Mütter, die mit Jungs in die Buchhandlung kämen, und dann sollten es Sortimenter richten, meinte Rudel: "Jetzt macht mal!" Unverändert sei die Coverästhetik und ein rascher Einstieg ins Buch entscheidend. Das optimistische Schlusswort kam dann von einem Mädchen aus dem Publikum: "Mir ist zuhause vermittelt worden, das Lesen Spaß macht - und das ist bei mir bis heute so geblieben."