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Buchhändler, erhebt euch!

23. Juli 2015
Redaktion Börsenblatt
E-Books im stationären Buchhandel verkaufen? Aber sicher, meint GRIN-Programmleiter Peter Schmid-Meil. Und zwar schleunigst.
Natürlich gehören E-Books in den Buchhandel, online wie offline, diese Frage sollte sich eigentlich gar nicht stellen. Warum? Weil Buchhändler Geschichten und Wissen verkaufen und nicht nur Papier zwischen Pappdeckeln. Und weil das zum kompetenten Verkauf nötige Know-how um all die Autoren, Verlage, Genres und Stories völlig unabhängig vom Medium funktioniert.

Dass die in unserer geliebten Branche vorhandenen Marktgegebenheiten und Systeme das aktuell nicht leisten können, ist auf schmerzhafte Weise offensichtlich, aber ganz ehrlich – ich kann’s nicht mehr hören. Wenn da nicht ganz schnell alle zusammenarbeiten und den vermeintlichen gordischen Knoten durchschlagen, der einen effektiven Verkauf elektronischer Medien auf der Fläche verhindert, dann heißt es bald bye-bye für so manche Kette und so manchen Buchladen. Das Erstaunliche dabei ist, dass es eigentlich alle wissen, aber trotzdem nur wenig passiert.

Warum ist das eigentlich alles so schwierig und warum bekommen wir unseren Allerwertesten trotz offensichtlicher Existenzbedrohung nicht in die Höhe? Ich vermute, weil die Branche so sehr mit sich selbst beschäftigt ist, dass sie vergessen hat, wer eigentlich bei unserem Geschäft im Mittelpunkt allen Handelns stehen sollte. Hier also eine kleine Erinnerung.

Ein Wesen namens Kunde
Woher kam doch gleich nochmal das Geld für unsere Gehälter, die Miete und den nächsten Big Mac? Von einem Wesen namens Kunde. Der Kunde ist von Natur aus gemein und kompromisslos. Er schert sich nicht um unsere Branchen-Wehwehchen, er interessiert sich nicht für Debatten um schwindende Printauflagen und EPUB3, er will sein Buch. Und zwar in dem Medienformat, in dem er es gerne hätte, am besten sofort und zu einem vernünftigen Preis. Jedes Buch, das er gerne kaufen würde – er hat den Geldschein also schon in der Hand und will ihn uns geben – und nicht bekommt, löst Frustration bei ihm aus. Ob er dabei in einer Buchhandlung oder online einkauft, spielt keine Rolle.

Uns Branchenleuten sollte es jedes Mal die Schamesröte ins Gesicht treiben, wenn so etwas passiert. Da will uns jemand sein Geld geben und wir schicken ihn weg. Ja, sind wir denn noch ganz bei Trost? Liebe Verlagskollegen, das Wort “vergriffen” ist im digitalen Zeitalter ein Widerspruch in sich – zumindest bei allen Titeln, zu denen digitale Produktionsdaten vorliegen. Ein E-Book lässt sich immer erstellen, es muss ja nicht gleich ein EPUB3 mit fixed Layout ein, ein gut aufbereitetes PDF tut’s auch. Selbst viele Printwerke lassen sich über Print-on-Demand-Verfahren ohne Auflageninvest nachproduzieren.

PoD-Titel schauen furchtbar aus? Fordern Sie bei BoD, amazon, KNV und den anderen Anbietern mal wieder ein aktuelles Muster an. Die sind mittlerweile richtig gut geworden – auch wenn ein preisgünstiger PoD-Bildband-Hardcover noch Zukunftsmusik ist. Die Erfahrung zeigt, dass viele Leser durchaus Qualitätskompromisse eingehen, wenn ein dringend gesuchter Content nur wieder verfügbar ist.

Doch zurück zum Kunden: Was macht ein frustrierter Kunde, falls er sein heiß begehrtes Buch nicht bekommt? Er geht in den nächsten Laden und hofft, dort fündig zu werden. Er fragt bei Antiquariaten, stöbert bei eBay oder landet gar bei piratebay – was aus meiner Sicht völlig verständlich ist, schließlich wollte man ja im Geschäft sein Geld nicht haben.

Um genau das zu vermeiden, sollten alle Kanäle E-Books verkaufen, der stationäre Buchhandel gehört hier selbstverständlich und unbedingt dazu. Er verfügt sogar über spezifische Stärken, die er im Vergleich zu allen Onlinehändlern hat bzw. zumindest haben könnte. Dazu gehört das Fach- und Kundenwissen der Buchhändler genauso wie die physische Präsenz der Bücher, die stets einen direkteren Eindruck eines Inhalts vermittelt als ein E-Book.

Eine Traum-Buchhandlung
Mein persönlicher Traum als Buchkunde ist eine Showcase-Buchhandlung, bei der ich eine große Auswahl physischer Bücher vorfinde und den Rest über ein benutzerfreundliches Terminal selbst oder mithilfe eines kompetenten Buchhändlers recherchieren kann. Welche Medienform ich kaufen möchte, bleibt dabei bitteschön mir überlassen, also ob Print, E-Book oder sogar ein Bundle aus beiden. Habe ich meinen Reader dabei, lade ich das Buch per WLAN oder Terminal sofort auf das Gerät, ansonsten bekomme ich entweder eine Mail samt Download-Link geschickt oder einen entsprechenden QR-Code auf dem Kassenzettel.

Ach ja, die Lieferzeit von nicht im Laden vorhandenen Printausgaben ist mit einem Tag ja im Moment schon klasse – nur bitte, liebe Buchhändler, zwingt den Kunden nicht ein zweites Mal in eure Buchhandlung, lasst ihm das Buch doch gleich nach Hause schicken. Arbeitende Menschen haben bei den Öffnungszeiten so mancher gerade kleineren Buchhandlung sonst keine Chance, die ersehnte Lektüre unter der Woche abzuholen.

Apropos Print/E-Book-Bundle. Ein solches Angebot ergäbe für den Buchhändler übrigens eine schöne Möglichkeit zum Zusatzverkauf, so wie Ketchup zu den Pommes bei McDonalds: Möchte der Kunde z. B. eine Printausgabe kaufen, könnte der Händler ihm an der Kasse sofort für ein paar Euro mehr das Bundle samt E-Book anbieten – oder umgekehrt. Das verstößt übrigens NICHT gegen die Preisbindung – vorausgesetzt, jedes Bundle bekommt eine eigene ISBN.

Die Realität ist bitter
Dass diese Idealvorstellung mit den aktuellen Gegebenheiten nicht realisierbar ist, ist mir schon klar. Das interessiert den Kunden aber nicht und es ist für ihn auch weder verständlich noch nachvollziehbar. Solange nicht ALLE Verlage ihre Titel als E-Books anbieten, solange die großen Ketten und die großen Zwischenhändler jeder ihr eigenes Süppchen kochen und hoffen, ihren Konkurrenten Marktanteile abzuknapsen, solange hat der stationäre Buchhandel keine Chance wirtschaftlich sinnvoll am elektronischen Geschäft zu partizipieren und dem Kunden das zu verkaufen, was er gerne hätte.

Klar können wir alle einfach so weitermachen und uns über kleine und kurzfristige Erfolge freuen. Aber wenn hier nicht schleunigst alle über ihren Schatten springen und eine gemeinsame Infrastruktur schaffen, dann verlieren nicht nur einige ihren Arbeitsplatz, sondern verdammt viele. Die Verteilung des digitalen Kuchens läuft bereits auf Hochtouren und im Moment haben einige Großanbieter die Nase ziemlich weit vorn, denn sie haben ihre Hausaufgaben früher gemacht und binden die Kunden erfolgreich an ihre teils geschlossenen Systeme. Auch wenn das E-Book-Umsatzvolumen des Gesamtmarkt erst 1-2% beträgt, die Menge der verkauften eReader steigt rasant und mit all den Tablets und Smartphones ist die Basis an potenziellen Lesegeräten für E-Books bereits jetzt riesig. Der Trend zum E-Book existiert, Augen zumachen hilft da nicht und dummerweise geht es auch nicht wieder vorbei.

Buchhändler, erhebt euch!
Also liebe Buchhändler, begehrt auf, anstatt euch vor E-Books zu fürchten, sie zu ignorieren oder abzulehnen! Nervt die Verlage, eure Zulieferer und den Börsenverein, bombardiert sie mit Mails, Anrufen und Briefen damit alle Titel als E-Books verfügbar sind und endlich eine Struktur geschaffen wird, die euch erlaubt, Geschichten und Wissen zu verkaufen und den Geldschein anzunehmen, den der Kunde euch geben will.

Der Beitrag ist zuerst im Blog Quo Vadis Buch? erschienen.