Mein Dilemma − es gibt viele schöne Neuerscheinungen jedes Jahr, aber eigentlich wird nur eine Perspektive bedient, die sogenannte authentische Küche, inszeniert als Tourismus-Klischee − provokant formuliert.
Ein Beispiel? Gern. In Büchern zur türkischen Küche sieht man Frauen eigentlich fast nur mit bäuerlich schlichtem Kopftuch, meist ist ein Maulesel nicht weit und eine archaisch anmutende Küche auch nicht. Es gibt sogar ein griechisches Kochbuch-Cover, auf dem die Autorin ein Kopftuch trägt. Ganz ehrlich: Ich war schon ein Dutzend Mal in Griechenland, aber ich habe noch nie eine junge Frau mit dieser traditionellen Kopfbedeckung gesehen, höchstens auf Postkarten im Touristen-Shop.
Ich möchte auf diese Art Kochbücher nicht verzichten. Sie sind hübsch und präsentieren meist die kulinarischen Klassiker eines Landes. Ich stimme völlig zu, dass dieses kulinarische Wissen unverzichtbar ist; nur wer die Wurzeln kennt, hat einen klaren Blick für die Gegenwart. Aber an der Moderne möchte ich auch teilnehmen − optisch und mit dem Gaumen.
Klischees wirken wie eine Dauerwerbesendung − sie sind eintönig und die Gegenwart mit ihren Entwicklungen ist so spannend. So ist es auch in der Türkei. Klappen wir das Kochbuch mit Kopftüchern und Mauleseln zu, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Werfen wir einen Blick in die Wirtschaftspresse und schon müssen wir den Eindruck über das Land revidieren. Da lesen wir, dass in der Türkei Frauen zwölf Prozent der Führungskräfte stellen und das Land damit mit Norwegen den zweiten Platz weltweit belegt (Corporate Gender Gap Report). Deutschland rangiert dagegen unter "ferner liefen".
Setzen wir das Kontrastprogramm aus der Ferne fort. Meine Lieblings-Travel-Website "unlike.net" präsentiert Tipps weltweit, auch für Istanbul. Wir sehen Fotos von schicken, schönen und witzigen Restaurants und Cafés − nicht anders als in Berlin. Es ergibt sich ein Bild von einem Land im Wandel und jeder, der gern isst, weiß, dass dort, wo sich eine Gesellschaft verändert, sich auch die Küche ändert. In unseren Kochbüchern spiegelt sich das nicht wider.
Natürlich, Kochbücher sind Kulturvermittler, aber es gibt keinen öffentlichen Auftrag zur realitätsnahen Darstellung, denn der Kunde entscheidet. Der beweist allerdings gerade, dass er Interesse an Länderküchen hat, die den Zeitgeist kulinarisch interpretieren und bei der Inszenierung auf eingefrorene Klischees verzichten. Yotam Ottolenghi ist das beispielsweise mit seinem Kochbuch "Jerusalem" (Dorling Kindersley) gelungen. Es verkauft sich wie warme Semmeln. Bitte mehr davon!
Katharina Höhnk ist Online-Redakteurin und Bloggerin (www.valentinas-kochbuch.de)
Mehr zum Thema Kochen lesen Sie in unserem Börsenblatt Essen & Trinken (Heft 14), das heute erschienen ist.