Ars vivendi kämpft um den Neudruck der verbrannten Shakespeare-Edition

Sein oder Nichtsein

23. April 2013
von Börsenblatt
Das Großfeuer im LKG-Außenlager Naunhof trifft vor allem kleinere Verlage, die stark von der Backlist leben. Auch im Fall von ars vivendi zeigt sich, unabhängig von den wirtschaftlichen Verlusten, das Ausmaß des ideellen Schadens: Der fränkische Verlag verlor einen Großteil seiner fast beendeten, auf 39 Bände angelegten Shakespeare-Edition. Aufgegeben wird dennoch nicht. 
Als Norbert Treuheit die Schadens-Liste bekam, fühlte er zunächst nur „Schockstarre“. Ars vivendi, sein Verlag im fränkischen Cadolzburg, gehört zu den mehr als 90 Firmen, die vom Großfeuer im LKG-Außenlager Naunhof betroffen sind. Nach der ersten, vorläufigen Aufstellung wurden 191 der rund 500 Titel umfassenden Backlist ein Raub der Flammen, von vielen verbrannte nahezu die gesamte Auflage. Etliche der gut eingeführten Franken-Krimis sind dabei. Regelrecht geschockt ist Treuheit jedoch vom Verlust der kurz vor dem Abschluss stehenden Shakespeare-Gesamtausgabe, dem literarischen Flaggschiff seines Verlags: 22 der bislang 34 erschienen Bände, so heißt es zunächst, sollen verbrannt sein.

Das im Jahr 2000 begonnene Mammut-Werk ist so etwas wie das „Lebensprojekt“ zweier Männer - des 56jährigen Verlegers und des 1947 geborenen Theatermanns und Übersetzers Frank Günther. Ihr kühner Plan grenzt für einen kleinen Verlag an Wahnsinn: Nichts weniger als „den ganzen Shakespeare“ wollen sie neu ins Deutsche holen – mitten hinein in die Sprache und Gedankenwelt unserer Zeit. Nach Wieland, Goethe, Schlegel, Tieck, Handke, Thomas Brasch, Heiner Müller und all den anderen nun „ein Shakespeare fürs 21. Jahrhundert“. Klassikervermittlung, schwärmt Treuheit, „nicht als blasser Ahnenkult, sondern als wortgewaltige Neubelebung für Auge, Ohr und Hirn“.

Das Unternehmen ist auf 39 Bände angelegt und zielt von Anfang an auch auf zwei Groß-Jubiläen: Shakespeares 450. Geburtstag (2014) und sein 400. Todestag (2016). Der Edition wird ein Luxus-Kleid geschneidert: Jeder Band in silbergrauem Feinleinen mit Folienprägung, bedrucktes Vorsatzpapier, zwei farbige Lesebändchen, Folienumschlag. Die Presse, von „Spiegel“ bis „Neue Zürcher Zeitung“, ist begeistert; ein Großteil der in Auflagen zwischen 1.500 und 5.000 Exemplaren gedruckten zweisprachigen Bände kann durch Subskription verlauft werden. Doch um das ehrgeizige Unternehmen auch zu einem wirtschaftlichen Erfolg werden zu lassen, ruhen alle Hoffnungen auf dem anstehenden Doppel-Jubiläum.

Und nun: Der Super-GAU. Blankes Entsetzen, als der Verleger seinen Übersetzer-Freund anruft. „Inzwischen“, so Treuheit, „habe ich ihn wieder in der Spur“. Wie geht es weiter? Ars vivendi ist über LKG versichert; die Ankündigung einer raschen Schadensregulierung hat für erstes Aufatmen gesorgt; ebenso die Nachricht, dass die Zahl der vernichteten Bände offensichtlich „etwas geringer“ ausfällt, als zunächst befürchtet. Genaue Angaben gibt es noch nicht. Dafür weiß Treuheit, dass ihn allein der Nachdruck der Shakespeare-Bände in kleineren Auflagen einen sechsstelligen Betrag kosten wird. „Ich kann nur hoffen, dass die Versicherung schnell zahlt.“

Im Herbst soll der „Coriolan“ erscheinen, bis zur Buchmesse 2015 die letzten fünf Bände. „Ich habe einen sehr starken Willen“, sagt Norbert Treuheit, „ich will das schaffen.“ Sein Verlagsteam in Cadolzburg und Frank Günther, der auf einem Dorf nahe Wielands Heimatstadt Biberach wieder an die Arbeit geht, sehen das auch so. „Wir sind Kämpfer.“