Gibt es ein System? "Ja", schmunzelt Dan Fenton, "aber es braucht einige Erfahrung, um es zu knacken". Fenton, der eigentlich Banker war, bevor er 1993, mit 26, der Welt der Boni entsagte und bei John Sandoe seine Buchhändlerlaufbahn begann, ist seit 1999 einer der Inhaber dieses Bibliophilen-Paradieses. Wie alle, die hier arbeiten, konnte er sich schon bald nicht mehr vorstellen, irgendwo anders zu sein. Wie andere unabhängige Buchläden lebt auch John Sandoe von und mit seinen Stammkunden. Nicht wenige Berühmtheiten sind darunter, beileibe nicht nur Autoren und Verlagsleute. Von dem Paparazzo, dem es gelang, Gwyneth Paltrow beim Verlassen der Buchhandlung mit einem sündhaft teuren Kochbuch in ihrer Einkaufstüte abzuschießen, spricht man in Chelsea noch heute.
John Sandoe, der von einem Foto im Schaufenster herunterlächelt, eröffnete das Geschäft 1957; zuvor boten in den Räumlichkeiten Wand an Wand ein Hundesalon und eine kleine Secondhand-Buchhandlung, die Taschenbücher schon mal nach Gewicht verkaufte, ihre Dienste an. Sandoe, der den Laden 1989 aus gesundheitlichen Gründen an einige seiner Mitarbeiter verkaufte, verglich den Beruf des Buchhändlers gern mit dem eines Allgemeinmediziners: Schließlich sind die speziellen Lesevorlieben von Bücherwürmern ein sehr intimer Teil ihres Lebens; ein Labyrinth von Leidenschaften und Abgründen. Sandoes Vision: Eine eigene Auswahl der besten Titel vorlegen, dazu möglichst jeden, auch den ausgefallensten Kundenwunsch erfüllen. Im Grunde genau das, was Fenton und die kleine Crew noch heute tun.
Als sich John Sandoe zurückzog, stand Waterstones in voller Blüte, viele Indie-Buchläden kümmerten vor sich hin. Damals wurden Bestellungen noch per Postkarte abgegeben, oder man buchstabierte sie mühsam ins Telefon. Die Frage, die man Fenton inmitten seines anachronistisch anmutenden Buchgehäuses stellt, ist zwingend: Wie geht es Ihnen mit Amazon & Co.? Ist es nicht ein mittleres Wunder, dass Sie noch existieren? Fenton lächelt: "Einige Indie-Buchhandlungen, die die 90er überlebt haben, florieren. Bei den Rabattschlachten können wir mit den Großen nicht mithalten. Aber wir wählen unsere Bücher individuell aus, bemühen uns um perfekten Service. Und das Internet ist für uns keine Bedrohung, sondern ein Geschenk − wir haben Kunden rund um den Globus." Und was für welche: Für die seit 1995 erscheinenden Jahresgaben der Buchhandlung griffen unter anderem William Boyd, Javier Marias oder Michael Krüger in die Tasten. Im Büchlein, das zum 50. Geburtstag herauskam, sieht man strahlende Stammkunden mit John-Sandoe-Einkaufstüte im Himalaya, auf dem Kilimandscharo oder in Marrakesh. Mit ihnen sollten auch die nächsten 50 Jahre zu schaffen sein.
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10 Blacklands Terrace, Chelsea, London SW3 2 SR
(U-Bahn: Sloane Square)