Buchhandlungen in Ostwestfalen-Lippe

Die Mitte von allem

22. Oktober 2013
Redaktion Börsenblatt
Es gibt sie noch, die schönen Buchhandlungen. Börsenblatt-Redakteurin Sabine Schwietert hat sich in Ostwestfalen-Lippe umgesehen und stellt vier "Local Heroes" vor: In Gütersloh, Versmold, Oerlinghausen und Bielefeld.

Der Ostwestfale packt den Regenschirm ein, wenn die Sonne noch scheint. Er gilt als stur, eigenbrötlerisch und nörgelt gern, auch ohne Grund. Und das, obwohl Ostwestfalen-Lippe (OWL) zu den stärksten Wirtschaftsstandorten Deutschlands gehört. Seidensticker, Dr. Oetker, Bertelsmann und der Geflügelspezialist Gutfried sind hier zu Hause – und 169 Buchhandlungen. Markus in Gütersloh, Krüger in Versmold, Blume in Oerlinghausen und den Bielefelder Eulenspiegel haben wir besucht. Sie sind eine Reise wert.

Die Buchhandlung Markus zum Beispiel. Im Weberhaus aus dem Jahr 1649 betreibt Elke Corsmeyer (55) auf 200 Quadratmetern eine Buchhandlung, wie man sie im bodenständigen Gütersloh (100.000 Einwohner, Kaufkraftindex 104,7) nicht vermutet hätte: stilvoll bis  in den hintersten Winkel, Tradition und Moderne in schönster Harmonie, Kunst an den Wänden, uralte, knorzig-quietschende Holzböden. Warum auch nicht? "Ich habe eine gute Klientel. Zu mir kommen die Bertelsmann- und Miele-Manager", sagt Corsmeyer. Leicht vorstellbar, dass die studierte Juristin ihnen als Buchexpertin auf Augenhöhe begegnet.

2009 hat sie ihren alten Standort aufgegeben und das von den Güterslohern geliebte Weberhaus gemietet und behutsam restauriert (ihr Mann ist Architekt!). Nun gibt es in den vielen Kabinetten Kunst- und Kochbücher, Krimis und Kinderbuch und einen Lesesalon unterm Dach, der bis zu 50 Gästen Platz bietet. Markus bietet Hörbücher für die Geschäftsreisenden an und hoch Literarisches für die Gattinnen, aber auch viel Kinderbuch und Krimis für das schnelle Lesevergnügen.

Sind wir auf eine Insel glückseligen Buchhandels gestoßen? "Tante Emma"-Nostalgie während rundum die Läden sterben? "Mein Geschäft ist gut aufgestellt und gesund", sagt die Seiteneinsteigerin. Dafür "wullackt" (ostwestfälisch für schwer arbeiten) sie gemeinsam mit ihren fünf Mitarbeiterinnen an vielen Fronten. Selbstverständlich ist Corsmeyer im örtlichen Kunstverein aktiv und im Förderverein der Stadtbibliothek, sie macht Veranstaltungen für Kindergärtnerinnen ebenso wie für Kinder, mal fließt der Champagner bei exklusiven Events für geladene Gäste, mal wird gemeinsam mit einem Kollegen vor Ort der Vorlesewettbewerb organisiert. Zugute kommt ihr beim Netzwerken sicher, dass sie rheinländische Wurzeln hat, aber in Gütersloh aufgewachsen ist und dort seit 19 Jahren Buchhandel betreibt.

Markus ist lokal stark. Trotzdem soll demnächst ein Shop in den Online-Auftritt integriert werden. Auch E-Reader will sie dann im Laden anbieten. Reicht das für die buchhändlerischen Herausforderungen der Zukunft? Corsmeyer ist sich ihrer Sache sicher. "Nur wenn die Preisbindung fällt, dann mache ich am nächsten Tag dicht", sagt sie.

 

Szenenwechsel. Von der Medien­industrie und den Waschmaschinen geht es aufs Land zu Borstenvieh und Schweinespeck nach Versmold (21.000 Einwohner, Kaufkraftindex 98,6). In der "Wurstküche Westfalens" − die Stadt ist weithin für ihre fleischverarbeitende Industrie bekannt (Reinert, Gutfried, Wiltmann) − ist seit 100 Jahren die Buchhandlung Krüger zu Hause. Gesine Klack (58) hat das Geschäft 1983 von ihrem Vater übernommen. Jetzt hat sie Großes vor: Zum Jahreswechsel zieht die Buchhandlung Krüger vom Marktplatz mit dem Schweinebrunnen einige Häuser weiter in das neue Gebäude der Sparkasse. Die suchte für ihr neues Domizil einen "Frequenzbringer".

Ein wenig stolz ist Gesine Klack schon, dass die Sparkassen-Herren auf sie zukamen. Drei Eingänge zur Buchhandlung wird der neue Laden haben, einer führt durch die Sparkassen-Halle an den Geldautomaten vorbei durch ihr Geschäft wieder auf die Straße − Klack will ein Einbahnstraßenschild aufstellen, zumindest zur Eröffnung.

Mit dem Umzug wird Krüger kleiner (200 statt 250 Quadratmeter). Und schöner. Im alten Laden hätte von Grund auf renoviert werden müssen, "ein Fass ohne Boden", wie Klack sagt. Woher sie den Mut nimmt, sich noch einmal auf Jahre zu verschulden? Krüger ist aus Versmold nicht wegzudenken, ihre Umsätze sind seit Jahrzehnten stabil − und die Steigerung des Verkaufswerts ihrer Buchhandlung ist auch ein Posten. Weiterhin für Syn­ergie sorgt die Buchhandlung Lesezeichen im 20 Kilometer entfernten Werther, die Gesine Klack seit 17 Jahren paral­lel betreibt.

Zum neuen Look im Stammgeschäft verhilft Klack der örtliche Ladenbauer Volkmann, der auch die Valora-Läden eingerichtet hat. Buy local eben! Dabei kommen die alten Bücherregale in neuem Farbkonzept zum Einsatz: steingrau. Für die Schreibwaren wird neues Mobiliar angeschafft. Es wird einen Linoleumboden in Holz­optik geben, ein Büro, einen Extra-Eingang für die Anlieferung. Und einen wunderschönen, alten Gesindetisch, den sie sich für den neuen Laden geleistet hat.

Krüger wird also neu. Was bleibt, ist die Zweiteilung von Schreibwaren und Büchern, das Feuerwerk an Veranstaltungen, die Klack oft in Kooperation mit der Stadtbibliothek organisiert: "Ranzenpartys" und "Literarische Menüs" − Krüger in Versmold eben.

 

Mittwochmittag in Oerlinghausen (17.000 Einwohner, Kaufkraftindex 107,8). Ringsum sind die meisten Läden über Mittag geschlossen, in der Buchhandlung Blume herrscht schönster Trubel: Zwei Mädchen suchen die hübschen roten Pappordner, ein Vater holt für seinen Sohn das Englisch-Workbook ab, eine Dame braucht einen bestimmten Krimi, von dem sie nur noch weiß, wer das Opfer war, dann wird ein Kritzelblock verlangt, eine Geburtstagskarte und immer so weiter. Nur die Wanderer fehlen heute, die auf ihrer Tour auf dem Hermannsweg gern mal bei Blume vorbeischauen.

Die Buchhandlung Blume (80 Quadratmeter) besteht seit 150 Jahren, seit 2005 versorgt Martina Lange (54) die Oerlinghausener an zentraler Stelle in der Hauptstraße mit Büchern und Schreibwaren (25 Prozent Umsatzanteil). Ihre Umschulung zur Buchhändlerin hat die studierte Sozialarbeiterin übrigens bei Gesine Klack absolviert, mit der sie heute noch regelmäßig bei Veranstaltungen kooperiert. Zur Seite stehen der Chefin ihr Mann Jörg Czyborra, der sich mit viel Schwung und Witz ("Kann ich Ihren Besuch irgendwie unterstützen?") um die Kundenwünsche kümmert und die E-Themen vorantreibt, und zwei Aushilfen.

Das Pensum ist hoch: Ein Feld-Wald-und-Wiesen-Sortiment mit Papier und Schulbüchern, Non-Books und Grußkarten, Geschenkpapier, großer Literatur und leichter Unterhaltung will liebevoll gepflegt werden. Die Positionierung ist eindeutig: "Wir machen die Buchhandlung für Oerlinghausen, mit den Sachen, die die Leute bei uns suchen", definiert Lange. Zum Service gehört natürlich die Bestellung per Mail, Telefon und Internet, geliefert wird über den Apothekerdienst, wer sein Buch abends nach Geschäftsschluss abholen will, kann das in der benachbarten Kneipe tun. Außerdem gibt es einen Vorableseclub für Kinder, Geburtstags-Kis­ten und E-Reader zum Zeigen und Ausleihen. Und jede Menge Lesungen. Der Lohn: ein seit Jahren stabiler Umsatz. Ob sie ihren Laden weitergeben kann? Lange zweifelt. Man könne sein Geld leichter verdienen als im Buchhandel.

 

Sebastian Reeck (48) sieht das anders. Er hat von der IT-Branche in den Handel mit Büchern gewechselt und gehört seit einem Jahr zum fünfköpfigen Kollektiv der Bielefelder Buchhandlung Eulenspiegel (100 Quadratmeter). Das Geschäft habe sich in den vergangenen Jahren bestens entwickelt, sagt er. Inhabergeführter Buchhandel ist zumindest in der Innenstadt selten geworden, 2003 etwa schloss die Pfeffersche, Stute folgte 2008. Auch Thalia hat zum Jahreswechsel eine der zwei Bielefelder Filialen geschlossen. Dabei hat die Stadt knapp 330.000 Einwohner, darunter 30.000 Studierende, der Kaufkraftindex beträgt 97. Liegt es an der "Bielefeld-Verschwörung", nach der es die Stadt eigentlich gar nicht gibt?

Darüber lacht die Welt, die Bielefelder wundern sich über das anhaltende Interesse − und haben ihre Nichtexistenz ins Stadtmarketing zur 800-Jahr-Feier 2014 aufgenommen. Für einen linken Buchladen kann auch der Eulenspiegel auf eine schöne Strecke zurückblicken: 1977 wurde das Geschäft gemeinsam mit dem "Stadtblatt" gegründet. Die alternative Zeitung wurde 2001 eingestellt, der Eulenspiegel hat den Spagat geschafft: Das Politikregal ist nach wie vor gut sortiert, das allgemeine Sortiment wurde so ausgebaut, dass auch Bielefelds Bildungsbürger eine neue Heimat fanden. Hell, freundlich, strukturiert − Bücherstapel finden sich hier wenig, dafür viel Graphic Novel und ein Regal mit "Neuer Frauenliteratur", in "dem Shades of Grey" keine Rolle spielt. Einen Onlineshop gibt es nicht, dafür viele Bestellungen per Mail und Telefon. Außerdem finden pro Jahr zehn bis 15 Veranstaltungen im Laden statt, ein "wesentlicher Außendarstellungsfaktor", so Reeck. Der Neubuchhändler ist überzeugt, dass der Eulenspiegel mit diesem Geschäftsmodell überdauert: "Buy local liegt in der Luft. Der Wunsch nach besonderen Läden wächst."