"Lieber Herr Fürtjes,
Gratulation zu Ihrer schnörkellosen Analyse des Buchmarkts in den ersten und in den letzten Zeilen Ihres sonntäglichen BuchMarkt-Interviews. Ich zitiere Sie fast wortwörtlich:
• Man kann nicht einfach weiter machen wie bisher, wenn sich Marktverhältnisse grundlegend ändern.
• Kleine, mittlere, größere Buchhandlungen haben eine Zukunft, wenn sie es schaffen, in aller Konsequenz die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kunden zu erfüllen.
• Es geht heute um Atmosphäre, Gestaltung, Präsentation, um Überraschung und Unverwechselbarkeit, um Kommunikation.
Aber bitte nicht jetzt! Nicht hier! Nicht bei mir! Der larmoyante Verbandsfunktionär Fürtjes fällt dem Analytiker Fürtjes erbarmungslos in den Rücken. Die Alltagsrealität widerspricht den schönen Thesen, die auf Zukunftstagen verbreitet werden sollen. Hier und heute zeigen Sie auf den bösen Wettbewerb(er), um nur nicht diejenigen Kollegen aufrütteln zu müssen, die sich aus Bequemlichkeit und aus Angst vor der Zukunft weiter auf dem durchgelegenen Ruhekissen vermeintlicher Traditionen ausruhen wollen und dankbar für jede Ausrede sind, die ihnen unternehmerisches Denken und Handeln abzunehmen verspricht.
Schon vor zehn Jahren war klar, dass sich auf dem Buchmarkt die Marktverhältnisse grundlegend ändern. Wir haben damals wie Sie heute die Situation analysiert, sind zu den gleichen Schlüssen gekommen und haben in den letzten zehn Jahren genau das getan (und noch ein bisschen mehr), was Sie heute Ihren Kollegen für morgen auf den Zukunftstagen ankündigen. Aber, pfui Osiander: „Verdrängt wird eben nicht nur durch aggressiven Preiskampf, sondern etwa auch durch Ladengröße und ein dementsprechend umfangreiches Warenangebot und durch die bessere Lage.“ Ein umfangreicheres Warenangebot, ein guter Standort, ein komfortabler Webshop und professionelles Marketing: gut für Zukunftstage, schlecht für den alltäglichen Wettbewerb? Lieber Herr Fürtjes, wenn ich Ihren Gedanken logisch weiterdenke, dann soll sich der Kunde, den Sie durch Atmosphäre, Gestaltung, Präsentation und Unverwechselbarkeit gewinnen wollen, in Balingen und den anderen Städten, wo es das alles nicht oder schlechter gibt, bitteschön mit kleinen Läden, geringem Angebot, schlechter Lage und kürzeren Öffnungszeiten zufrieden geben?
Nein, Herr Fürtjes, es ist nicht „unredlich und zynisch“, auf geänderte Marktbedingungen genau mit den Instrumenten zu antworten, die Sie sonntags anpreisen. Was Sie machen, ist meiner Meinung nach viel gefährlicher. Sie suggerieren ihrer Klientel mit Ihren Sonntagssprüchen, dass es ihr besser gehen würde, wenn es den Osiander (oder früher Thalia oder, quasi das Böse per se, Amazon) nicht geben würde – das ist eine Verdrängungsstrategie, die erst das produziert, vor dem sie warnt.
Jede Buchhandlung muss sich, wie jedes andere Unternehmen auch, ständig neu die Frage stellen, ob sie in der Lage ist, die Bedürfnisse des Marktes zu erfüllen. Jeder Unternehmer, der diese Frage ernsthaft stellt und ehrliche Antworten gibt, muss daraus auch die Konsequenzen ziehen und sein Unternehmen den Anforderungen des Marktes anpassen oder rechtzeitig aufgeben. Unredlich und zynisch ist, wer wider besseres Wissen diese Zusammenhänge leugnet.
Mit herzlichen Grüßen
Osiandersche Buchhandlung GmbH
Hermann-Arndt Riethmüller
P.S.:
1. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen öffentlich über diese Themen zu diskutieren. Sagen Sie uns nur, wann und wo: Wir kommen.
2. Von meiner im Juni diesen Jahres verstorbenen Mutter habe ich die schöne Verpflichtung übernommen, die Geschichte unseres Unternehmens weiter zu führen. Aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit habe ich bisher eines gelernt: Der Buchhandel von heute jammert auf einem sehr hohen Niveau."