Grünewald: Die Zielgruppe sind Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. Sie sammeln leidenschaftlich gerne, es gehört zu ihren liebsten Freizeitbeschäftigungen. Denn das Sammeln passt genau in diese Entwicklungsphase hinein: Die Kinder erleben sich selbst als noch unvollständig und hier bietet sich ihnen die Gelegenheit, etwas zu komplettieren. Sammelalben sind besonders beliebt, weil sie eine Systematik vorgeben. Sie sind gegliedert in Landschaften, Mannschaften, Tierarten, Charaktere… Und sie funktionieren nach dem Vollständigkeitsideal, was die Kinder besonders reizt.
Der Einzelhandel setzt in seinen Sammelaktionen auf die ganze Familie - so wie auch das geplante Stickeralbum des Börsenvereins. Ist das sinnvoll?
Grünewald: Ja, das "Sammeln" hat eben auch eine Nähe zur "Versammlung", zum Beispiel innerhalb der Familie, in der idealerweise alle Mitglieder gemeinsam an einem Strang ziehen. Ein weiter Kreis von Personen wird ins Sammeln einbezogen, von den Eltern und Großeltern bis hin zu Freunden und Nachbarn. Sie bringen dem Kind Aufkleber vom Einkauf mit, wollen ihm damit eine Freude machen, und gleichzeitig beteiligen sie sich an der Vervollständigung der Sammlung. Auf diese Art und Weise schafft die Beschäftigung mit dem Album, wozu auch das gemeinsame Angucken, Blättern und Lesen gehört, Nähe und Verbundenheit. Ich selbst erinnere mich heute noch daran, wie mir mein Vater vor 44 Jahren Sammelbilder von Esso aus der Reihe "Entdecker und Eroberer" abends ans Bett gebracht hat. Es zeigte, dass er an meine Wünsche gedacht hatte.
Auch die Interaktion unter den Kindern selbst spielt ja beim Sammeln eine große Rolle. Man denke an die eifrigen Tauschgeschäfte auf dem Schulhof...
Grünewald: Über das Gemeinschaftsgefühl hinaus, das entsteht, wenn sich alle mit dem gleichen Sammelheft befassen, erlernen Kinder weitere soziale Fähigkeiten. Sie entwickeln Ehrgeiz, lernen, bei der Sache zu bleiben und sie ersinnen Strategien, um beim Tauschen ihren Wunsch durchzusetzen – alles Dinge, die eine echte Leistung sind und die man auch später im Leben braucht. Das Tolle ist auch, dass so ein Sammelalbum ja nicht fertig unterm Christbaum liegt, sondern dass es das Ergebnis eines längeren Prozesses ist, an dem sich das Kind intensiv beteiligt hat. Dadurch entwickelt das Kind einen großen Bezug dazu und es wird besonders wertgeschätzt und gehütet.
Kritiker äußern, dass Sammelalben die Sammelleidenschaft von Kindern instrumentalisieren würden. Wie stehen Sie dazu?
Grünewald: Erst einmal sind Kinder in einer gesunden Selbstregelungssituation. Sie sind nur an Themen interessiert, die mit ihrer Entwicklung kompatibel sind. Als Kundenbindungsmaßnahme kann eine Stickeralbum durchaus ein probates Mittel sein: Es ist doch viel charmanter, dort einzukaufen, wo man noch etwas dazu geschenkt bekommt, das den täglichen Konsum überdauert. Meine Esso-Sammelalben bewahre ich heute noch auf.