Neu im Regal - Lesetipp der Woche

"Schaamvolle Geschäfte und gemeinste Klatschereyen"

20. März 2015
von Stefan Hauck
Mit Briefen in die Geschichte eintauchen – das gelingt Albrecht Schöne auf so elegante und unterhaltsame Weise, dass man gar nicht mehr auftauchen möchte. Hunderte von Geschichten zu Goethe und seiner Zeit vermittelt er uns: Der passende Lektüretipp zum heutigen Todestag Goethes.

Nach einer Einführung in die europäische Briefkultur befasst sich der Goethe-Kenner exemplarisch mit neun Briefen, die er fallstudienartig erklärt. Die Zeitspanne reicht vom ersten Schreiben des 14-jährigen Frankfurter Ratssohnes bis zum letzten Brief des 82-jährigen Geheimrats an Wilhelm von Humboldt. Schöne seziert die einzelnen Briefstellen, erklärt dem heutigen Leser einige nicht mehr sofort verständliche Wörter und setzt die unterschiedlichen Beziehungen zwischen den Zeilen auseinander. So werden fast wie in einem Detektivroman Motive und Hintergründe der handelnden respektive in den Briefen erwähnten Personen sichtbar, mehr und mehr die dahinterliegenden Geschichten entschlüsselt.

Und es sind Hunderte von Geschichten, die der geneigte Leser nach und nach erfährt. Selbst in den Fußnoten werden Seite für Seite hochinteressante Fakten vermittelt: Hätten Sie beispielsweise gewusst, dass Goethe mit Hilfe seines Sekretärs Philipp Seidel eine Spinn- und Strickschule eingerichtet hat insbesondere für arme und verwaiste Soldatenkinder oder die durch aufklärerische, reformpädagogische Garnison-Schule gefördert und ausgebaut hat? Eine solche Fußnote findet sich zu einem Brief Goethes von 1779 an seinen Herzog Carl August, in dem es um „ein unangenehmes verhasstes und schaamvolles Geschäft“ geht, nämlich die Bereitstellung von Weimarer Landessöhnen für die Unterstützung der Preußischen Armee: Wie geht Goethe mit dieser harsch formulierten Forderung des preußischen Königs an Carl August  um? Goethe war in seinen Ministerämtern auch Leiter der Kriegskommission, die er vor allem übernommen hatte, um den Wehretat in wenigen Jahren zu halbieren; so konnte er die desolate Finanzsituation des Herzogtums stabilisieren. Was man hier alles über die anzuwerbenden jungen Weimarer Rekruten und um „das durchaus scheisige dieser zeitlichen Herrlichkeit“ erfährt, ist glänzend recherchiert und spannend formuliert.

Das gilt für die übrigen Briefe ebenso wie für die Exkurse zu den unterschiedlichen Anredeformen, den diktierten Briefen und den Postverhältnissen der damaligen Zeit. Am Ende der Lektüre hat man sich wie bei einem Ausflug in ferne Zeiten en passant mit Wissen vollgesogen und staunt, wie er das wieder gemacht hat, der Schöne.  Für die Buchhändler und Verleger sei noch auf das fünfte Briefbeispiel hingewiesen, einen Brief an den Verleger Johann Friedrich Cotta vom 24. Dezember 1806, in dem sich Goethe hocherregt über „die gemeinsten Klatschereyen“ in einer von Cottas Zeitungen beschwert: In Artikeln wurde über seine rasch geschlossene Ehe mit Christiane Vulpius ebenso wie über seinen Schwager hergezogen. Wie sich hier Goethe Luft macht, wie er sich – aber nein, das lesen Sie besser selbst.

Albrecht Schöne: „Der Briefschreiber Goethe“. C. H. Beck, 542 S., 29,95 Euro