Ausbildungszahlen für den Buchhandel

Weniger Jungbuchhändlerinnen in Deutschland

30. März 2017
von Börsenblatt
Auzubildende zu finden – das ist gerade für Buchhändler schwer geworden. Denn die meisten Abiturienten streben an die Hochschulen. Ein Bericht zur Lage, der die aktuellen Ausbildungszahlen einordnet.

301.753 neue Ausbildungsverträge wurden 2016 nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) abgeschlossen – das klingt zunächst einmal viel. Aber: Es sind 2.512 weniger als im Vorjahr und die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen sinkt in Deutschland seit einigen Jahren kontinuierlich. In diesen Trend fügt sich auch der Ausbildungsberuf Buchhändler/in ein: 389 neue Ausbildungsverhältnisse zählte der DIHK am Stichtag 31. Dezember 2016, 31 weniger als im Vorjahr. An laufenden Ausbildungsverträgen listet er 1.114 auf, das sind 29 weniger als 2015 (1.143). Die Zahlen vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), das unter der Aufsicht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung steht, weisen zum Stichtag 31. September 2016 noch 396 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge auf, gegenüber 450 im Vorjahr. Soweit die Zahlen – wie stimmig sind sie?

Zunächst einmal: BIBB und DIHK haben die Daten zu unterschiedlichen Stichtagen erhoben, sodass auch die Zahlen unterschiedlich ausfallen. Doch auch die Termine in der Branche verschieben sich: War es vor 20 Jahren noch mehrheitlich so, dass die Ausbildung meist im August und September begonnen hat (weil nach den Sommerferien die Berufsschule anfing), so stellen gerade größere Buchhandlungen inzwischen ganzjährig ein. "Bei uns haben allein in diesem Jahr schon sechs Auszubildende begonnen, wir besetzen nach Bedarf", sagt etwa Max Riethmüller, der bei den 39 Filialen der Osianderschen für die Aus- und Weiterbildung zuständig ist.

Mehr verkürzte Ausbildungen

Osiander und weitere Filialisten wie Hugendubel, Thalia und die Mayersche, aber auch viele unabhängige Sortimente lassen beim mediacampus ausbilden, rund zwei Drittel der knapp 400 Buchhandelsauszubildenden sind es inzwischen. Und auf dem Campus in Seckbach spielt der übliche Berufsschulbeginn keine Rolle, weshalb auch der Ausbildungsbeginn zum 1. September nicht mehr so entscheidend ist, wie Monika Kolb, Geschäftsführerin des mediacampus und Bildungsdirektorin im Börsenverein, anmerkt.

Auch der Stichtag der Prüfungen macht Abweichungen möglich: Manche Azubis lassen sich schon nach zwei oder zweieinhalb Jahren prüfen, andere erst nach der regulären Ausbildungszeit von drei Jahren. Was Max Riethmüller dabei auffällt: "Die Zahl der verkürzten Ausbildungen steigt, was vielleicht ein Symptom unserer schnelllebigen Zeit ist." Er ist gegen eine verkürzte Ausbildung, weil es so viele Warengruppen kennenzulernen und so viel Stoff zu bewältigen gelte. "Das ist gefühlt G8, und ich frage mich, ob die jungen Sortimenter dann noch gut gerüstet sind, wenn die verkürzten Ausbildungen weiter zunehmen."

Alternativen zur Ausbildung

Bildungsdirektorin Kolb macht derzeit zwei große Trends aus: Erstens gibt es demografisch bedingt immer weniger junge Menschen und damit potenzielle Auszubildende, zweitens streben 60 Prozent der Abiturienten zunächst einen Bachelor-Abschluss an, Tendenz steigend. "Aus ihrer Sicht ist ein Studienabschluss mehr wert als eine duale Ausbildung", konstatiert Kolb, "dabei bildet die Ausbildung genauso wie der Bachelor erst die Basis für den Berufseinstieg – nur auch noch praxisbezogen." Und die Zahl der Studienanfänger steigt kontinuierlich: Meldeten sich 1995/96 noch 262.407 junge Menschen an einer Hochschule an, verdoppelte sich die Zahl bis 2016/17 laut Statistischem Bundesamt auf 505.910 Studienanfänger. Damit stehen die Unternehmen vor der Frage, welche neuen Wege sie gehen können, um potenzielle Nachwuchskräfte weiterhin für eine Ausbildung begeistern zu können. 

Eine Möglichkeit: das Abiturientenmodell, bei dem Nachwuchskräfte mit Abitur in eineinhalb Jahren die Ausbildung berufsbegleitend komprimiert durchführen und sich anschließend zum Handelsfachwirt weiterqualifizieren, um später als Führungskraft zu arbeiten. "Mit diesem Modell steigern die Buchhandlungen ihre Attraktivität für junge Menschen, die mit dem Handelsfachwirt breiter aufgestellt sind", meint Kolb. Im vergangenen Jahr haben Buchhandlungen 19 Abiturienten für diese Ausbildung zum mediacampus geschickt. Zudem starteten 40 Einzelhandelskaufleute ihre Ausbildung im Buchhandel, die ebenso für die Branche ausgebildet werden, diese Zahlen fließen nicht in die Buchhändlerstatistik ein.

Work-Life-Balance gefragt

Mittlerweile bewerben sich fast nur noch Abiturienten auf die freien Ausbildungsplätze im Buchhandel. Das hat auch Michael Sutmöller von Bücher & mehr in Melle bemerkt. Von Gesamtschulen kämen gar keine Bewerber mehr, allerdings sei zugleich das Lernniveau gesunken. "Ein Realschüler ist mit 16 Jahren auch einfach noch zu jung, er hat noch keine Leserbiografie, zu wenig Lebenserfahrung – und die braucht man im Umgang mit Kunden aus allen Altersstufen täglich ganz dringend", konstatiert Max Riethmüller. Dem stimmt Carola Markwa, im Börsenverein Geschäftsführerin des Landesverbands Nord, uneingeschränkt zu: "Es gibt heute unter den Jugendlichen weniger Vielleser und nur bei wenigen geht das Leseinteresse in die Breite", das sei vor 30 Jahren anders gewesen. "Ein 16-Jähriger war damals auch weit mehr in häusliche Arbeitsprozesse integriert und selbstständiger." Das Cocooning spiele zunehmend eine Rolle, die heimische Komfortzone werde geschätzt. Auch Max Riethmüller beobachtet: "Die räumliche Flexibilität hat deutlich abgenommen." Für einen Studiengang den Ort zu wechseln, sei okay, "aber einer, der sich für einen Ausbildungsplatz in Heilbronn bewirbt, lehnt einen freien Platz in Lörrach ab, weil er sein Umfeld und den Freundeskreis nicht verlassen möchte". "Eine" müsste es hier eigentlich heißen, denn ein Fakt hat sich über all die Jahre nicht verändert: Rund 80 Prozent der vom DIHK gezählten 1.114 Auszubildenden (29 weniger als 2015) sind Frauen. Der Buchhandel bleibt weiblich. Was sich hingegen verändert hat: "Work-Life-Balance und Soft Skills liegen in der Werteskala weit oben, und bei den Arbeitszeiten, da beißt sich's dann", beschreibt Monika Kolb den Fakt, dass der Nachwuchs andere Lebensentwürfe und Werte hat.

Erfahrungen mit Quereinsteigern

Osiander verzeichnet einen größeren Bewerberschwung direkt nach dem Abitur, manchmal mit einem zeitlichen Puffer durch ein freiwilliges soziales Jahr oder einen Auslandsaufenthalt. Die zweite Bewerbergruppe ist schon gegen 30 und hat, überspitzt formuliert, zwei Studiengänge abgebrochen; eine Gruppe, die auch Sutmöller kennt, ebenso wie seine Kollegin Christine Kiesecker von Buch & Spiel in Geesthacht. "Bisher haben wir noch immer jemand gefunden, aber es ist schon so: Es wird schwieriger", resümiert Sutmöller. "Bei uns treffen nur noch sehr wenige Initiativbewerbungen ein." Sutmöller macht Aushänge im Gymnasium, nutzt Facebook und die eigene Website: "Man muss aktiv werden, um heute Auszubildende zu finden."

Christine Kiesecker wirbt dafür, nicht nur auf Schulnoten und Abschlüsse zu achten, sondern sich die Bewerber unter dem Aspekt anzusehen, ob sie in den Betrieb passen. Auch bei einem kurzen Probearbeiten zeige sich, ob es ein gedeihliches Miteinander geben könne. Sie hat wiederholt gute Erfahrungen mit Quereinsteigern gemacht, zum Beispiel mit einer Master-Politologin, die sich zuvor von Minivertrag zu Minivertrag gehangelt habe und froh über ein festes Arbeitsverhältnis mit sinnvollen Inhalten gewesen sei. 

Kolb, Kiesecker und Riethmüller berichten noch von einem anderen Phänomen, das bundesweit zu beobachten ist: Auszubildende treten ihre Ausbildung gar nicht an. Bei Osiander etwa hatten 2015 und 2016 je zwei Azubis Verträge unterschrieben, kamen dann aber doch nicht. "Sie haben dann etwas in ihren Augen Attraktiveres gefunden", berichtet Riethmüller. Ein Trend, den Monika Kolb zur Genüge auch aus anderen Sortimenten kennt. Ebenso erleben Buchhändler immer wieder, dass Ausbildungsverhältnisse nach wenigen Monaten abgebrochen werden, geschätzt etwa acht Prozent.

Die Macht des Inhalts

Was aber bewegt den Nachwuchs, der bei der Stange bleibt? Was bringt junge Menschen dazu, eine Ausbildung im Buchhandel zu machen? "Die Liebe zum Buch ist unglaublich stark, das ist für die meisten das schönste Medium der Welt", weiß Kolb aus vielen Gesprächen. "Und sie schätzen die Vielseitigkeit des Berufs, die von der Kundenpsychologie bis zum Projektmanagement reicht." Oft werde vergessen, was für eine hochsolide kaufmännische Ausbildung das sei, mit der man auch in anderen Bereichen etwas anfangen könne, meint auch Carola Markwa. Ihr Landesverband unterstützt die reinen Buchhändlerfachklassen in Osnabrück, Hannover und Bad Malente; ähnliches gilt für die anderen Landesverbände. "Wenn wir die Fachklassen nicht mehr halten, dann brechen uns die Ausbildungen gerade in kleinen Buchhandlungen weg", fürchtet Markwa.

Was die Abbrecherquoten betrifft, sieht es bei den Medienkaufleuten übrigens ähnlich aus. Allerdings haben die Verlage es einfacher, Nachwuchs zu finden, weil Tätigkeitsfelder, Gleitzeit und Bezahlung vielen attraktiver erscheinen. Die Einstellungszahlen sind stabil, so Kolb.

Laut DIHK haben im Jahr 2016 723 Nachwuchskräfte ihre Ausbildung als Medienkaufmann oder Medienkauffrau gestartet, 16 mehr als im Vorjahr. Auch hier dominieren die Frauen: 1.337 der insgesamt 1.909 angehenden Medienkaufleute sind laut DIHK weiblich.

Lesen Sie dazu einen Kommentar des Börsenblatt-Redakteurs Kai Mühleck: Holschuld oder Bringschuld?