Buchmesse in Algier 2017

Im Zeichen der Wirtschaftskrise

16. November 2017
von Börsenblatt
Die Buchmesse in Algier lud vom 27. Oktober bis 5. November ein: Im vergangenen Jahr folgten nach offiziellen Angaben 1,5 Millionen Besucher dem Auftritt der schreibenden Zunft, diesmal wurden zwei Millionen Besucher angestrebt. Aber dieses Jahr war nicht wie jedes andere Jahr. Ein persönlicher Bericht der Mainzer Verlegerin Donata Kinzelbach.

Offensichtlich war der Rotstift beim 22. SILA (Salon international du livre d’Algier) angesetzt worden, um die Kosten drastisch zu minimieren. Riesige Podiumsdiskussionen, die vor ein paar Jahren noch auf dem Messegelände selbst, aber auch im nahegelegenen Hilton-Hotel stattfanden – einschließlich Shuttle-Service dorthin –, gab es nicht mehr. Statt dessen low-budget-Veranstaltungen an den jeweiligen Ständen: Lesungen und endlos viele Signierstunden, bei denen hinter dem meist lieblosen Schild mit dem Autorennamen der jeweilige Schriftsteller auf Leser wartete – nur allzu oft vergeblich, unbemerkt von der sich vorbeischiebenden Menge.

Auch die generösen Einladungen seitens algerischer Verleger in ein Nobelrestaurant − oberhalb der Stadt gelegen − bleiben aus. Schade, denn bei einem Glas und ausgesuchtem Fingerfood fand sonst immer ein reger Austausch statt zwischen Intellektuellen jedweder Richtung. Hier wurden gesellschaftspolitische Themen behandelt, der letzte Tratsch ausgetauscht − und über Bücher gesprochen und Lizenzen verhandelt. Und erstmalig fiel die traditionelle Freifahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln am 1. November, dem algerischen Nationalfeiertag, aus.

Und die großen Namen?

Rachid Boudjedra, das enfant terrible der algerischen Literaturszene, seit Jahrzehnten auf der offiziellen Nobelpreisanwärterliste, sah sich bei seiner Signierstunde von Leserinnen und Lesern umringt. Der weltberühmte Autor, mittlerweile 77 Jahre alt, gab sich erfreulich publikumsnah. Zur Messe erschien gerade sein jüngstes Roman mit dem Titel "La dépossession" (Die Enteignung).

Eine weitere Diva machte ihre Aufwartung: Ahlem Mostaghanemi. Sie gilt als eine der meistgelesenen Schriftstellerinnen in der arabischen Welt – mit Finanzkraft im Rücken und eigener Fernsehsendung im Libanon nicht ganz verwunderlich. Unter Applaus wurde die Algerierin mit einem riesigen Blumenstrauß begrüßt. Sie zeigte sich gerührt, betonte dann aber, dass sie nicht nur wegen der Buchmesse nach Algerien gekommen sei, sondern dass sie stets im November das Grab ihres verstorbenen Vaters in Algier besuche. "Ich bin nicht gekommen, um Bäume zu pflanzen, sondern um Hoffnung in die Herzen der Algerier zu säen. Algerien ist ein Land reich an menschlichen und materiellen Ressourcen. Wir müssen das Land verteidigen." Große Worte.

Zu dieser Autorin kann ich eine Anekdote beisteuern: Vor mehreren Jahren wollte ich die Rechte an einem ihrer Bücher erwerben und rief, nachdem ich über etliche Umwege endlich ihre Telefonnummer ergattert hatte, bei ihr an. Und, was erwiderte die Diva auf mein Begehren? Nein, sie wolle ganz bestimmt nicht von einer Frau verlegt werden! Sie warte auf einen großen Verleger, einen Mann! – Bisher fand sich jedoch keiner ... und wir beide, wir hätten auch nicht zusammen gepasst. Der Weg der algerischen Frauenemanzipation ist noch ein weiter, solange Frauen ihre Söhne wie Paschas erziehen, sie Cafébesuche als Privileg der Männer akzeptieren, und solange Frauen die ärgsten Feinde ihrer Geschlechtsgenossinnen sind, stricken sie selbst an der weiblichen Unterdrückung in ihrem Land.

Erfrischend ist es dann, aufgeschlossene Autorinnen zu treffen, die es glücklicherweise auch gibt: etwa Nadia Sebkhi, Maïssa Bey und Aïcha Bouabaci. Unverschleiert. Sie sind es, die Algerien zu einem demokratischen Land für alle zu machen versuchen, auch für Frauen. Maïssa Bey formuliert das in ihrem Roman "Ausgeblendet" so: "In einem jeden Land leben Menschen, die daraus ein Vaterland machen. Die daraus eine Hölle machen. Oder ein Land, in dem es sich gut leben lässt."

Besucheransturm

Da die Buchmesse keinen Eintritt kostet, ist sie ein Publikumsmagnet, ein willkommenes kostenfreies Event, das auch gerne zum Familientreffen auf der riesigen Freifläche rund um die Messehallen genutzt wird. Da sitzt man dann stundenlang bei sehr preisgünstigem Essen (leider mittlerweile meist Fastfood) und Trinken in der Sonne – und manch einer dieser in die Statistik eingehenden "Messe-Besucher" wird keinen Fuß in die Messehallen gesetzt haben, wenn er abends heimwärts zieht.

Aber natürlich kommen auch die Lesehungrigen, die sich meist für das ganze Jahr eindecken. Da es in Algerien kein funktionierendes Distributionsnetz für Bücher gibt und man lediglich auf in Buchhandlungen vorhandene Titel Zugriff hat, bietet die Buchmesse die einmalige Chance, die Büchervielfalt zu entdecken, zu stöbern und zum vielerorts reduzierten Messe-Preis einzukaufen.

Und wie steht es um die Zensur?

Im Vorfeld der Messe stand die staatliche Zensur im Fokus der Medien. Immerhin knapp 70 Bücher standen auf dem Index – angeblich wegen fundamentalistischer Tendenzen. Ansonsten geben sich die Autoren selbstbewusst und optimistisch – eine Situation wie in der Türkei kann sich hier niemand vorstellen.

Koran als Bestseller

Religiöse Bücher nehmen immer wieder einen beachtlichen Raum auf dem SILA ein: Korane als Prachtbände mit Goldlettern auf dem Cover werden verkauft wie geschnittenes Brot. Zuweilen gleich aus den Pappkartons, die eilfertige Helfer aufzureißen kaum nachkommen. Daneben gibt es Korane für Kinder, kleinformatige für die Tasche, sozusagen ein Koran für jede Lebenslage.

Das Publikum in dieser Halle ist gemischt, vielfach eindeutig religiös, erkennbar schon an der Kleidung. Als westliche Frau schiebe ich mich stets zielsicher durch diese Gänge in Richtung der literarischen Verlage. Es hinterlässt ein ungutes Gefühl zu sehen, dass Kopftücher eindeutig zunehmen und nackte Arme komplett aus dem Erscheinungsbild verschwunden sind. Das war vor einigen Jahren noch anders, ich erinnere mich an junge Mädchen in gewagten Minikleidern – mittlerweile undenkbar. Nicht, dass jemand einschritte, aber die allgemeine Stimmung sorgt dafür, dass heute niemand mehr so herumläuft – und auch ich kramte trotz hochsommerlicher Temperaturen ein Jäckchen aus der Tasche.

China war erstmals als Aussteller vertreten – oder doch nicht?

So wurde es in den Medien vollmundig beworben, entpuppt sich dann aber doch als Mogelpackung. Es handelt sich nämlich lediglich um eine Auslieferung, nicht um einen Verlag. Der Stand zog dennoch viele Neugierige an. Allerdings traf man hier lediglich einheimische Hilfskräfte an, die unter den chinesischen Lampions etwas verloren wirkten und die nur als Verkäufer fungierten, nicht als Berater mit Fachkompetenz.

Donata Kinzelbach