Daniel Keel gründete den Diogenes Verlag 1952 und prägte bis zu seinem Tod im Herbst 2011 das Verlagsprogramm. 1954 kam bis zu seinem Tod im März 2015 sein Schulfreund Rudolf C. Bettsachart als Mitinhaber dazu. Beide wählten Tilman Solleder 1980 als Verlagsvertreter aus, und man kann für die folgenden fast vier Jahrzehnte von einer gegenseitigen Lebensleistung sprechen, in der es die beiden Verleger verstanden haben, Tilman Solleder an sich zu binden, so wie auch er sich an seinen Verlag gebunden fühlte. So wurde er zum Diogenes-Gesicht für den gesamten norddeutschen Raum: Von Flensburg über Hamburg und Hannover bis hin ins Münsterland erstreckte sich sein Reisegebiet.
Figur in einem Irving-Roman
Zu seiner Vertretertätigkeit gehörte auch die Autorenbegleitung auf Lesereisen, aus der ihm viele Freundschaften erwuchsen, wie z. B. zu Tomi Ungerer, Ingrid Noll, Martin Walker, Martin Suter, Joey Goebel, Anthony McCarten, Connie Palmen und Urs Widmer, um nur einige zu nennen. John Irving hat ihn sogar in seinem Roman "Witwe für ein Jahr" auf S. 454 verewigt, dort ist er der Verlagsvertreter, der ihn nach Kiel chauffiert:
"Mein Fahrer ist Buchhandelsvertreter meines deutschen Verlages. Ich lerne immer etwas von Vertretern. Dieser erklärt mir, meine deutschen Leser hätten mich gern 'politischer', als ich nun einmal bin. Er meint, meine Romane seien in dem Maß politisch, in dem alle Äußerungen über die Gesellschaft politisch sind. Er sagt: 'Ihre Bücher sind politisch, aber Sie nicht!'
Ich bin nicht sicher, ob er das als Kritik meint oder lediglich eine Tatsache konstatiert, aber ich glaube ihm." (John Irving, Witwe für ein Jahr)
Verlässliche Empfehlungen
Für die Vertreterbesuche von Tilman Solleder war es unerlässlich, etwas mehr Zeit einzuplanen, denn er verstand es, Begeisterung zu wecken, ohne jedoch das jeweilige Sortiment aus dem Blick zu verlieren. Da konnte es passieren, dass er manchmal auch abriet: "Das braucht ihr nicht, aber diesen Autor müsst ihr verstärkt einkaufen" – und dann folgte eine kenntnisreiche, ausführliche Empfehlung, auf die man sich stets verlassen konnte.
Der Diogenes Verlag würdigte Tilman Solleders unermüdlichen Einsatz, indem er ihm zu seinen runden Dienstjubiläen große Feste ausrichtete. Als weiteres Zeichen der gewachsenen Verbundenheit mag auch gelten, dass Rudolf C. Bettschart Trauzeuge bei der Hochzeit 1991 mit seiner Frau Beate war, die ihn bei seiner Arbeit im Hintergrund stets unermüdlich unterstützte. Zum 20-jährigen Jubiläum erschienen als Gäste u. a. Donna Leon, Connie Palmen und Urs Widmer.
Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums am 30. Juni 2010 wurde in Hamburg das Museum für Arbeit angemietet, welches platzmäßig kaum ausreichte, um die vielen Gratulanten zu beherbergen. Wir Buchhändler erlebten ein rauschendes, unvergängliches Jahrhundertfest mit opulenten Speisen und Getränken, angereichert durch viele köstliche und amüsante Beiträge, u. a. von Friedrich Dönhoff, Antony McCarten, Ingrid Noll, Martin Walker und den verlesenen Glückwünschen derer, die aus alters- oder gesundheitsbedingten Gründen nicht anreisen konnten.
Eine Ära endet
Im Zuge der allgemeinen Verjüngung hat Tilman Solleder nun seine letzte Dienstreise beendet – und damit geht eine Ära zu Ende, die es so wohl künftig nicht mehr geben wird. Daher ist es an uns – und ich schreibe auch im Namen vieler Kollegen aus dem Sortiment –, einen großen Dank an Tilman Solleder für die jahrzehntelange gute Betreuung und Beratung auszusprechen.