EUPL-Festakt im Schloss Belvedere

Wien feiert die europäische Literatur

8. November 2018
von Börsenblatt
"Wir müssen die wichtige Aufgabe des Erinnerns übernehmen": Mit diesem eindringlichen Appell des Schriftstellers Daniel Kehlmann begann der Festakt zum zehnjährigen Jubiläum des Europäischen Literaturpreises. Ein Bericht aus Wien.

In Anwesenheit des österreichischen Bundesministers Gernot Blümel und des EU-Kommissars Tibor Navracsics wurde am Dienstag, 6. November, der Europäische Literaturpreis (EUPL) in Wien verliehen. Auf Einladung des Bundeskanzleramtes und des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels kamen etwa 300 Gäste im Schloss Belvedere zusammen, um die europäische Literatur zu feiern. Der besondere Festakt wurde im Rahmen des kulturellen Programms des derzeitigen EU-Ratsvorsitzes Österreichs begangen.

Preise wie der Europäische Literaturpreis unterstützen Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihrem Schaffen, fördern Übersetzungen in andere europäische Sprachen und helfen dabei, nicht nur Sprach- sondern auch Kulturbarrieren zu überwinden. "Heutzutage ist es scheinbar am einfachsten, andere Menschen misszuverstehen. Wir sollten aber alles dafür tun, Mehrsprachigkeit und das Verständnis für den anderen zu stärken", schloss Tibor Navracsics sein Eingangsstatement ab und unterstrich dabei die Rolle von Literatur- und Übersetzungsförderung für die Zukunft der europäischen Idee.

Die Rolle der Zeitzeugen: Daniel Kehlmann und seine Begegnung mit Imre Kertész

Daniel Kehlmann, der die Festrede hielt, appellierte an alle  Schriftstellerinnen und Schrifsteller in Europa, die Verantwortung derjenigen Kolleginnen und Kollegen wahrzunehmen, die die Schrecken des vergangenen Jahrhunderts noch als Zeitzeugen erlebt haben. "Wir müssen die wichtige Aufgabe des Erinnerns übernehmen", so Kehlmann  - gerade in den Zeiten, in denen verstörende politische Strömungen in den europäischen Mitgliedstaaten immer stärker würden.

Kehlmann bettete seinen eindringlichen Appell ein in die sehr persönliche Erinnerung an seine letzte Begegnung mit dem ungarischen Schriftsteller Imre Kertész, Literaturnobelpreisträger und Auschwitz- und Buchenwaldüberlebender. Im Angesicht des von Demenz gezeichneten, auf eine besondere Weise aber hellwachen und in Zeitsprüngen denkenden Kertész wurde ihm bewusst, welch tiefes und schmerzhaftes Loch das Ableben der letzten Zeitzeugen hinterlassen würde. Es mache unsere Gesellschaften anfälliger dafür, die Deutungshoheit über die Vergangenheit an unverantwortlich agierende Regierungsparteien wie nicht zuletzt in Ungarn und Österreich abzugeben, mahnte Kehlmann.

Europäischer Kurzgeschichtenwettbewerb mit 36 EUPL-Preisträgern

Der Verleihung des EUPL ging in diesem Festjahr ein europäischer Kurzgeschichten-Wettbewerb unter dem Motto "European Story: EUPL Winners Write Europe" voraus, an dem 36 EUPL-Preisträger aus 26 Ländern teilgenommen hatten. Vier davon wurden in Wien prämiert (mehr dazu auch hier):

  • Der Preis der Jury ging an Ioana Pârvulescu aus Rumänien für "A Voice". Sie widmete den Preis der Ich-Erzählerin ihrer Kurzgeschichte, der 2008 verstorbenen rumänischen Journalistin Monica Lovinescu.

Die Jury setzte sich aus Journalisten, Buchhändlern und Schriftstellern zusammen: Maria-Joao Costa (Portugal), Nina George (Deutschland), Juancho Pons (Spanien), Cathy Rentzenbrink (Großbritannien), Liana Sakelliou (Griechenland) und Marnix Verplancke (Belgien).

"Für mich persönlich repräsentierte diese Juryarbeit durch und durch das, was Europa im positivstem Sinne ausmacht: Kunst, Kultur, Kulinarik, Freundschaft, Intellektualität, Wahrhaftigkeit, Neugier, Debattenfähigkeit, Wachheit und den Willen, nicht mit Angst in die Zukunft zu gehen", so Nina George.

  • Die beiden Luxemburger Autoren Jean Back und Gast Groeber teilten sich aufgrund von Stimmengleichheit den Preis des Europäischen Parlaments für die Kurzgeschichten "European Clouds“ und „Current weather warning: preominantly heavy fog". 
  • Mit dem Publikumspreis kürten Leser aus ganz Europa die serbische Schriftstellerin Jelena Lengold für die Kurzgeschichte "Jasmine and death".
  • Der anlässlich des Europäischen Kulturerbejahres verliehene Sonderpreis der Jury ging an die mazedonische Schriftstellerin Lidija Dimkovska für "When I left Karl Liebknecht".

Reading in the dark - eine neue Erfahrung

Dank der Unterstützung der Stiftung LIA (Libri Italiani Accessibili) konnten die Gäste im Schloss Belvedere am Dienstagabend auch eine "reading in the dark"-Erfahrung machen. Dabei handelt es sich um ein in Italien entwickeltes Format, bei dem in fast vollständiger Dunkelheit sehbehinderte Personen dem Publikum Texte vorlesen, ihre besonderen Lesetechniken einsetzen und Themen wie Barrierefreiheit und Inklusion in das Bewusstsein der Anwesenden rufen.

In dieser Woche geht eine Tour d’Europe zu Ende, die den EUPL in seinem Jubiläumsjahr von Riga nach Lissabon, von Bukarest über Frankfurt nach Brüssel und zu einem fulminanten Schlussakt nach Wien gebracht hat. Dabei zeigte sich, wie sehr sich der Preis in den vergangenen Jahren auch in den Europäischen Mitgliedstaaten etablieren konnte. Der EUPL wurde im Rahmen des Programms "Kreatives Europa" durch die Europäische Kommission geschaffen und wird seit der ersten Stunde von der European and International Booksellers Federation (EIBF), der Federation of European Publishers (FEP) und dem European Writers Council (EWC) veranstaltet.

Leser sind eingeladen, die literarische Reise durch Europa mit der Anthologie "European Stories" fortzuführen. Die Texte, die im Rahmen des Kurzgeschichten-Wettbewerbs entstanden sind, können hier heruntergeladen werden.