Interview mit Daniel Kampa

"Unabhängig, literarisch, gut gelaunt"

5. Juni 2018
von Börsenblatt
Mit dem Kauf der Simenon-Rechte gelang Daniel Kampa im vergangenen Jahr ein Coup. Jetzt steht der frühere HoCa-Geschäftsführer mit seinem eigenen Kampa Verlag in den Startlöchern. Cornelia Birr hat mit ihm für boersenblatt.net gesprochen.

Herr Kampa, steht das Programm für den Herbst? Mit wie vielen Titeln dürfen wir rechnen?
Drei literarische Titel, drei Krimis, 17 Mal Simenon, sieben Bände einer neuen Gesprächsreihe. Und dann haben wir nebenbei noch einen zweiten kleinen Verlag gegründet: den Gatsby Verlag mit weiteren zehn Titeln. Am Ende sind es also 40 Bücher geworden.

In einem Interview haben Sie letztes Jahr gesagt: "Jeder Verleger träumt von einem deutschsprachigen Debüt, das ihn beim Lesen umhaut." – Ist Ihr Traum bislang in Erfüllung gegangen?
Kein deutschsprachiges Debüt, aber das einer polnisch-ukrainischen Autorin: Das Licht der Frauen von Żanna Słoniowska. Ein berührender, unwiderstehlicher Roman über vier starke Frauen in Lemberg, der das ganze 20. Jahrhundert bis zu den Maidan-Aufständen umfasst. Im Mittelpunkt steht die Jüngste, die in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs auch ihren privaten Unabhängigkeitskampf führt. Für mich ist der Roman eine Art weibliche Antwort auf Milan Kunderas Die unerträgliche Leichtigkeit des Sein.

Welchen Anteil wird Spannungsliteratur perspektivisch an Ihrem Gesamtprogramm einnehmen?
Einen großen. Wir werden in jeder Saison neue Krimireihen lancieren und neben Simenon auch weitere Klassiker neu herausbringen, die meisten davon in Neuübersetzungen. Im Herbst starten wir mit einem der wohlklingendsten Titel der Krimigeschichte – Der Postbote klingelt immer zweimal von James M. Cain. Neben Chandler und Hammett gilt Cain als dritter Gründervater des American Roman noir. Alex Capus hat diesen Klassiker für uns neu übersetzt.
Unser Krimi-Spitzentitel im Herbst kommt aus Kanada. Louise Penny ist die erfolgreichste kanadische Krimiautorin. Ihre Romane um Armand Gamache, den Polizeichef von Québec, sind in den USA Nr. 1-Bestseller und werden weltweit gelesen, nur im deutschsprachigen Raum noch nicht. Das soll sich mit Hinter den drei Kiefern ändern. Weitere Gamache-Bände werden folgen.

Sie haben kürzlich ein Berliner Büro gegründet. Aus wieviel Personen besteht Ihr Unternehmen derzeit? Pressearbeit, Social Media – werden Sie das im eigenen Haus umsetzen?
Ganz vollständig ist das Team noch nicht. Zurzeit sind wir mit unseren beiden Volontärinnen zu siebt. Wir suchen noch jemanden, der uns im Bereich Vertrieb / Verkauf in Berlin unterstützt. Wir arbeiten mit externen GrafikerInnen und LektorInnen zusammen und mit dem Herstellungsbüro Herr K in Leipzig. Einen Teil der Pressearbeit wird die renommierte Agentur Politycki & Partner für uns übernehmen. Wir wollen bewusst klein und flexibel bleiben.

Sie verlegen die Maigret-Reihe, insgesamt 75 Titel. Wird es bei dem Veröffentlichungszeitrahmen von zwei Jahren bleiben, den Sie sich gesteckt haben? Worauf können sich Simenon-Fans darüber hinaus freuen?
Wir arbeiten unter Hochdruck daran, alle Maigrets in den nächsten zwei Jahren herauszubringen. Und in jedem Programm werden wir mindestens eine Überraschung haben, also etwas wirklich Neues von Simenon. Diesen Herbst sind das zum Beispiel erstmals ins Deutsche übertragene Krimi-Erzählungen um den Kommissar G7, der schon in denselben Gegenden ermittelt wie später der Pfeife rauchende Maigret. Die Maigret-Atmosphäre ist hier schon zu spüren …
Dann trommeln wir für die großen psychologischen Romane, die sogenannten Non-Maigrets: Simenons eigentliches Hauptwerk. Das wird eine gewaltige Edition, die wir zusammen mit Hoffmann und Campe stemmen. Im ersten Programm bringen wir vier große Romane, Hoffmann und Campe fünf. Wir haben zahlreiche Simenon-Fans gefunden, die Nachworte beisteuern werden: etwa Julian Barnes, John Banville oder Paul Theroux. Vor allem auf einen Roman können sich die Fans und alle anderen freuen: Der Schnee war schmutzig zählt nicht nur zu den wichtigsten Werken Simenons, sondern laut The New Yorker zu den »besten Romanen des 20. Jahrhunderts« überhaupt. Er war seit Jahrzehnten nicht lieferbar – wir haben ihn neu übersetzen lassen, und Daniel Kehlmann hat ein Nachwort dazu geschrieben.

Was macht Simenon in Ihren Augen so besonders?
Darf ich aus einem Essay von John Banville zitieren, der Simenon mit Kafka vergleicht? "Beide, Simenon und auch Kafka, zwingen uns dazu, uns die Nase am Fenster der Welt platt zu drücken und mit weit aufgerissenen Augen auf Dinge zu starren, die wir, das spüren wir, besser nicht sehen sollten, und dennoch können wir den Blick nicht abwenden."

Die NZZ schrieb, Kampa sei der „Verlag, den es noch gar nicht gibt“ – wie müssen wir uns einen typischen Arbeitstag eines Verlegers vorstellen, der noch gar keiner ist?
Da es noch keine Bücher gibt, entfällt der nervöse Blick auf die Verkaufszahlen am Morgen, was sehr wohltuend ist. Allerdings muss alles neu erfunden, entschieden werden, bis ins kleinste Detail. Das fängt beim Einrichten des Servers an und endet bei der ISBN-Vergabe. Wie soll die Verlagsnummer aussehen? Nach einem langen Hin und Her haben wir nun die schöne und kurze 311 als Verlagsnummer – und damit gleich ein Nummernkontingent für 100 000 Titel. Nach dem ersten Programm bleiben uns also noch 99 960 ISBNs. Ich weiß nicht genau, wie sich das anfühlt.

Sie kennen das Verlagsgeschäft in- und auswendig. Was hat sich in Ihren Augen als größte Herausforderung bei der Neugründung dargestellt? Gibt es Schwierigkeiten, mit denen Sie nicht gerechnet haben?
Die Schwierigkeiten kommen erst noch. Was nützt einem ein wunderbares erstes Programm? Auch das zweite Programm muss sitzen. Was nützen einem die schönsten Bücher, wenn sie sich nicht verkaufen? Die Zeiten sind nicht einfach, das wissen wir alle. Für einen neuen Verlag allemal. Zum Glück sind die Buchhändlerinnen und Buchhändler neugierig und begeisterungsfähig. Und wir wollen es ihnen mit guten und verkäuflichen Büchern danken.

Sie waren zwanzig Jahre bei Diogenes. Worin sehen Sie die Vorzüge eines kleinen Verlages?
Weniger Sitzungen, weniger reden, mehr machen. Weniger repräsentative Pflichten, dafür eine persönlichere Betreuung von AutorInnen und Buchhandlungen. Weniger Leerlauf, größere Wendigkeit. Aber auch: weniger Geld. Dafür aber vielleicht mehr Ideen. Und: mehr Zeit zum Lesen und zum Büchermachen.

Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Jahre gesteckt?
Es soll uns und den BuchhändlerInnen Spaß machen – als schwaches Hintergrundrauschen darf gern die Kasse klingeln. Letztlich hat der Buchhandel nur Spaß an Verlagen, die schöne, aber auch verkäufliche Bücher machen. Wir haben ein Buch von Winston Churchill im ersten Programm mit einem wunderbaren Zitat als Titel: „Wir sind allesamt Würmer, aber ich glaube, dass ich ein Glühwürmchen bin.“ Wir möchten gerne ein Glühwürmchen sein, klein, aber leuchtend – und das nicht nur für eine Saison.

Ihr Verlag in drei Worten?
"Stress, Stress, Stress", ruft gerade Cornelia Künne lachend aus dem Nachbarbüro. Meike Stegkemper zitiert Churchill: "Blut, Schweiß und Tränen." Sophie Bunge schickt aus Berlin einen Satz von Peter Bichsel aus dem Gesprächsband, der im Herbst bei uns erscheint: "Erzählen ist lebensnotwendig." Auch ein Besprechungsspaziergang bringt keine Einigkeit. Ich verfüge hiermit: unabhängig, literarisch, gut gelaunt.