Interview mit den Thalia-Geschäftsführern

Persönlich werden

28. Februar 2017
von Börsenblatt
Mehr Zeit für Kunden gewinnen, die digitale Transformation vorantreiben: Für die Thalia-Geschäftsführer Michael Busch und Ingo Kretzschmar "hört die Suche nach besserer Produktivität nie auf".    

Sie legen bei Thalia seit einiger Zeit besonderes Augenmerk auf die buchhändlerische Beratung. Mit welchem Ziel?
Ingo Kretzschmar: Wir haben uns die Frage gestellt: Welche Prozesse innerhalb einer Buchhandlung, die nicht direkt wertstiftend sind, können wir optimieren? Auf diese Weise versuchen wir kontinuierlich, Verschwendung zu reduzieren, sodass die Mitarbeiter mehr Zeit für den Kunden verwenden können.

Haben Sie ein Beispiel für eine solche Verschwendung?
Kretzschmar: Verschwendung lauert in vielen Bereichen. Es gibt nicht das eine Beispiel, sondern viele Details entlang der gesamten Prozesskette, die in der Summe erhebliche Effekte bringen.

Prozessthemen können anstrengend sein. Wie reagieren denn Ihre Mit­arbeiter in den Buchhandlungen?
Kretzschmar: Äußerst positiv und konstruktiv, was uns anhaltend beeindruckt. Die Mitarbeiter sind offensichtlich froh darüber, das zu tun, was ihnen erstens am meisten Spaß macht und zweitens auch langfristig den Standort absichert: nämlich durch mehr Zeit für das Beraten und Verkaufen am Ende des Tages mehr Geld in der Kasse zu haben.

Wie messen Sie die Wirkung Ihrer Optimierungen?
Kretzschmar: Wir messen die Effekte auf verschiedenen Ebenen. Zum einen bezogen auf das einzelne Thema, etwa bei Wareneingang oder Remissionen. Zum anderen schauen wir aber auch von oben drauf. Und da zeigt sich, dass wir es geschafft haben, die buchhändlerische Arbeitszeit, mit der wir direkt beim Kunden sind, in unseren Buchhandlungen um bis zu 15 Prozent zu steigern. Da sind wir noch nicht am Ende. Das Gute an der KVP-Denkweise, also an kontinuierlichen Verbesserungsprozessen ist ja, dass ein Prozess des Lernens und Selbstlernens, des Weiterentwickelns von Themen aus eigener Initiative ins Rollen gebracht wird. Die Suche nach besserer Produktivität hört auch nie auf.
Michael Busch: Wir schauen uns in diesem Zusammenhang natürlich auch die Umsatzentwicklung an, und die steigt. Das ist einer der Gründe dafür, weshalb wir uns bei Thalia in den vergangenen zwei Jahren von der Umsatzentwicklung im Buchhandel positiv abgekoppelt haben.

Steigt auch die Bonsumme?
Busch: Ja. Sowohl bei den Teilen pro Bon als auch beim Durchschnittspreis geht die Tendenz nach oben.
Kretzschmar: Auch die Konversionsrate ist eine wichtige Kennzahl. Aktuell haben wir je nach Standort drei bis fünf Prozentpunkte in der Konversionsrate zugelegt.
2016 war für Buchhandelsfilialisten kein einfaches Jahr – durchwachsenes Weihnachtsgeschäft, rückläufige Passantenzahl. Wie lief es für Thalia?
Busch: Mit einem Umsatzwachstum von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr konnten wir das letzte Geschäftsjahr sehr zufriedenstellend abschließen und sind mit einem guten ersten Quartal ins neue Geschäftsjahr gestartet. Thalia steht auf wirtschaftlich stabilen Füßen, doch dürfen wir nicht nachlassen. Wir befinden uns, wie der gesamte Einzelhandel, nach wie vor in einer Umbruchsituation, in der es gilt, den sich verändernden Kundenansprüchen gerecht zu werden und das Geschäft optimal aufzustellen, um Kunden langfristig zu begeistern. Daran werden wir weiter konsequent arbeiten. Das Weihnachtsgeschäft hat uns nochmals in unserer Omni­channel-Ausrichtung bestätigt, denn wir sehen, dass unsere Kunden sich immer fließender zwischen den Kanälen bewegen. Das heißt für uns, Services auszuweiten, die unsere Kunden erwarten oder die ihnen einen Mehrwert bieten und dabei die persönlichen Ansprüche des einzelnen Kunden zu erfüllen.

Wo bauen Sie Services aus?
Kretzschmar: Die Erfolgsfaktoren von morgen werden digitale Services sein. Nehmen wir das Beispiel E-Book auf der Fläche: Es war für Kunden noch nie einleuchtend, warum sie in einer Buchhandlung den Titel ihrer Wahl nur haptisch kaufen können, nicht aber digital. Deshalb beginnen wir gerade damit, dass Kunden flächendeckend künftig auch E-Books in jeder Buchhandlung kaufen können. Filialabholung ist ein zweites Beispiel: Den Kunden reicht oft nicht mehr die Möglichkeit, ein Buch zur Abholung in ein bis drei Tagen in die Buchhandlung zu bestellen. Mit unserem neuen Reservierungstool schaffen wir es deutschlandweit, dass 40 Prozent aller Bestellungen binnen 60 Minuten zur Verfügung stehen, sofern das Buch vor Ort verfügbar ist. Ein drittes Thema ist "Thalia next", unsere Buchempfehlungen nach dem Kriterium Ähnlichkeit: Da haben wir mittlerweile ein Netzwerk von rund 1.000 teilnehmenden Buchhändlern. Ein Service, der nicht nur für Kunden, sondern auch für die Kollegen hilfreich ist. Jeder Buchhändler kann dort schauen, wie die Kollegen ein bestimmtes Buch bewerten und welche Ähnlichkeits­verknüpfungen sie vornehmen.
Busch: Wir arbeiten also in summa daran, dass wir alles, was wir an Content aufbereiten, über alle Kanäle ausspielen können. Das gilt nicht nur für den E-Commerce, sondern ebenso für die Frage, wie wir unseren Content in jeder Buchhandlung für jeden Mitarbeiter und jedes Kundengespräch verfügbar halten. Systemseitig bedeutet das einen erheblichen Aufwand, doch der wird sich lohnen. Das Schöne dabei ist, dass nicht nur unsere Kunden, sondern auch unsere Buchhändler einen Mehrwert darin sehen.

Stichwort "persönliche Ansprache": Spricht nicht viel dafür, die gesamte Kommunikation und Kundenansprache lokal statt zentral zu denken?
Kretzschmar: Ja, und das tun wir auch. Noch gestern galt: Wir schicken an alle einen Newsletter über den neuen Bestseller von Autor XY. Die Zukunft geht aber so: Ihr Buchhändler vor Ort schickt Ihnen einen auf Ihre individuellen Bedürfnisse und Interessen abgestimmten Newsletter. Der berücksichtigt dann etwa auch lokale Veranstaltungen.

Verfügen Sie schon über die dafür erforderlichen Kundendaten?
Kretzschmar: Wir sind auf gutem Weg und haben mit Payback ein starkes Instrument, das uns bereits einiges ermöglicht. Gute, auch regionale Informationen haben wir von denjenigen Kunden, die uns auch online für ihre Einkäufe nutzen. Im nächsten Schritt müssen wir das Thema angehen: Was passiert mit dem anonymen Kunden, der zu mir in die Buchhandlung zum Beispiel nach Frankfurt kommt?
Busch: Es macht ja einen entscheidenden Unterschied, ob Sie einen Newsletter aus der Zentrale bekommen, oder einen an Sie persönlich adressierten, aus Frankfurt gesendeten, mit dem Foto der Buchhändlerin, die Sie kennt – und die Sie kennen. Nicht nur der Adressat wird individuell angesprochen, sondern bereits der Absender ist personalisiert.
Kretzschmar: Dahinter steht auch die Idee des Lieblingsbuchhändlers. Viele unserer Stammkunden haben ja so eine Person, die ihnen, wenn sie in die Buchhandlung kommen, immer das richtige Buch empfiehlt. Über die App werden wir es in Kürze möglich machen, dass der Kunde seinen Lieblingsbuchhändler sozusagen mitnehmen kann. Das ist Omnichannel at its best: von der Fläche über die App direkt zum Kunden.

Planen Sie, buchhändlerische Glaubwürdigkeit den Verlagen zu verkaufen?
Busch: Eine Empfehlung wird von unseren Buchhändlern nicht gegeben, weil sie gekauft wurde; sondern der Buchhändler empfiehlt etwas, weil er es für gut hält. Gerade in der persönlichen Echtheit unterscheiden wir uns ja von Pure-online-Playern. Da mag es Formate geben, die wir dann auch mit Verlagen besprechen. Aber am Ende muss die Entscheidung für eine Empfehlung beim Buchhändler persönlich liegen und darf nicht aus Werbegründen stattfinden.

Damit steigt auch die Attraktivität des buchhändlerischen Arbeitsplatzes – ein Vorteil im Wettbewerb um Nachwuchs?
Kretzschmar: Sicherlich. Der Markt wird schwieriger, der Wettbewerb stärker. Das gilt für den gesamten Einzelhandel. Aus diesem Grund setzen wir ja darauf, in Kooperation mit dem mediacampus frankfurt selbst auszubilden. Die Thalia-Ausbildungsquote liegt bei 20 Prozent. Gute junge Leute, die wir dringend brauchen, bekommen wir extern nicht mehr so wie früher. Hinzu kommt, dass sich in der digitalen Transformation auch das Berufsbild tiefgreifend ändert. Buchhändler haben sich heute mit neuen Medien auseinanderzusetzen, sie müssen verstehen, wie eine App funktioniert, müssen affin dafür sein. Nur dann kann ich den Omnichannel-Gedanken bis an den Kunden bringen. 46 Prozent der Buchkäufer, sagt eine aktuelle Studie, informieren sich vor ihrem stationären Kauf über das Buch im Internet.

Und in der analogen Welt – planen Sie eine Expansion Ihres Filialnetzes?
Kretzschmar: Unser Ansatz hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Verdrängung ist nicht mehr der richtige Weg. Wir eröffnen neue Standorte mit Augenmaß. Man muss nicht, koste es, was es wolle, einen Standort mit einer weiteren Buchhandlung besetzen, der bereits gut besetzt ist. Wenn ein solcher Standort interessant ist, gehe ich auf die Buchhandlung dort zu und spreche mit dem Inhaber, ob er Spaß an einer Zusammenarbeit hat – um eine Win-win-Situation zu erzeugen. Die besteht darin, eine lokal verwurzelte Buchhandlung mit den Omni­channel-Stärken von Thalia zusammenzubringen, um die Buchhandlung noch besser aufzustellen. Wenn kein Interesse besteht, dann ist das auch in Ordnung. Wir freuen uns andererseits aber auch, wenn uns Interesse signalisiert wird, und sind offen für Gesprä­che. Wichtig ist uns, gemeinsam mit den Inhabern auszuloten, wie die ideale Lösung für einen einzelnen Standort aussehen kann. Hier gibt es eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten, wie die Zusammenarbeit ausgestaltet werden kann. Es ist übrigens schön zu sehen, dass uns schon jetzt von vielen Seiten das Vertrauen für einen solchen Austausch entgegengebracht wird und Buchhändler auf uns zukommen.

Kann es sinnvoll sein, lokal ­eingeführte Buchhandelsmarken nach Übernahme zu erhalten – so wie das in England Waterstones erfolgreich vormacht?
Busch: Auf Thalia als Namen im Einzelfall zu verzichten, ist für uns bei der Weiterführung einer Buchhandlung, bei der der Inhaber sein Geschäft an Thalia übergibt, in der Regel nicht sinnvoll. Unser Weg ist ein anderer: Wie gesagt, geht es uns darum, lokale buchhändlerische Kompetenz mit unserem starken Markennamen zu kombinieren. Dafür spricht auch deshalb viel, weil wir eine Omni­channel-Strategie verfolgen, also eine möglichst barrierefreie Verknüpfung aller Vertriebskanäle für den der Wiedererkennungswert der Marke über alle Kanäle hinweg entscheidend ist.
Kretzschmar: In einzelnen Fällen, wo wir wissen, da gibt es eine wirklich starke, lokal verwurzelte Marke, kann es für eine Übergangsphase sinnvoll sein, den alten Namen in Kombination mit Thalia als Doppelnamen stehen zu lassen. Bei der Nachfolge der Buchhandlung Gillmeister in Peine etwa war das genau die richtige Lösung.

Michael Busch ist Geschäftsführer und seit 2016 auch Anteilseigner bei Thalia. Geschäftsführer Ingo Kretzschmar ist bundesweit für den stationären Buchhandel des Unternehmens verantwortlich.

Derzeit betreibt der Hagener Filialist 219 Buchhandlungen in Deutschland, ab dem 13. April sind es 220. Dann wird eine zweite Filiale in Lübeck eröffnet.