Konzepte von Verlagshybriden

"Verlag mit Internet"

16. August 2018
von Nils Kahlefendt
Die unabhängigen Digitalverlage, die vor fünf Jahren starteten, sollten die Literaturlandschaft experimentierfreudiger machen. Das klappte nicht ganz, doch inzwischen erreichen agile Verlagshybride die Leser auf allen Kanälen – ob digital only oder gedruckt mit Lesebändchen. 

Als Zoë Beck und Jan Karsten für die Buchmesse 2015 den Roman "Das Zigarettenmädchen" der Autorin Ratih Kumala unter Vertrag nahmen und dem indonesischen Lizenzgeber erklärten, dass CulturBooks einer dieser neuen, coolen "E-only-Verlage" sei, die nur digital veröffentlichen, legte sich das Gesicht des Herrn aus Jakarta in besorgte Falten. "Oh", war dann in vollendeter asiatischer Höflichkeit zu hören: "Vielleicht doch drucken?" CulturBooks gehört, wie Frohmann oder Mikrotext, zu jenen, die vor rund fünf Jahren, in einer Zeit relativ hoher E-Book-Wachstumsraten, als reiner Digitalverlag starteten und damit eine gewisse Aufbruchstimmung erzeugten.

Die Medien, selbst auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen in Digitalien, berichteten nur zu gern über das neue Phänomen. Selbst eine digitale Buchmesse, die Electric Bookfair, wurde von den überwiegend Berliner Aktivistinnen aus der Taufe gehoben. War dies nicht ein wunderbarer Weg, ohne allzu großen Kapitaleinsatz in überschaubarer Zeit ein eigenes Profil zu entwickeln? Inzwischen firmiert CulturBooks als "Literaturverlag für Bücher und Digitaleditionen", mit der Bezeichnung "Hybrid-Verlag" tun sich die beiden Gründer schwer: "Wir sind ein moderner Literaturverlag, der sowohl das digitale Feld bespielt als auch Printbücher macht", sagt Jan Karsten.

Ein Stück Normalität, in die man langsam hineinwuchs, bis hin zu Vertretermannschaft und Auslieferung. Seit Herbst 2016 werden nun auch Print-Programme im traditionellen Halbjahres-Rhythmus konzipiert. Mit Amanda Lee Koe, Karan Mahajan oder, aktuell im Herbst 2018, Helen Oyeyemi hat CulturBooks Autoren im Köcher, die in ihren Heimatländern erste wichtige Preise gewonnen haben, als nachwachsende Stars gelten. "Um den Buchhandel, die Medien und letztlich möglichst viele Leserinnen und Leser mit diesen literarischen Stoffen zu erreichen", sagt Karsten, "brauchst du gedruckte Bücher. Das ist vollkommen klar." Und Zoë Beck ergänzt: "Als moderner Verlag musst du schauen, wo deine Texte am besten aufgehoben sind."

Noch vor fünf, sechs Jahren klang das anders. Da gab es die Hoffnung, dass die neuen Möglichkeiten des Digitalen die Literaturlandschaft insgesamt breiter, bunter, experimenteller machen könnten. Eingetreten ist eher das Gegenteil: die Zuspitzung auf Bestseller, die Fokussierung auf genregetriebene Umsätze. Digitale Experimente? Eher Fehlanzeige. Dass sich die Programmanteile also in Richtung Print verschoben haben, wundert nicht, auch wenn aktuelle, schnelle Titel noch immer "E-only" produziert werden. Beck und Karsten wollen keine Fronten zwischen Digital und Print aufbauen, die Begeisterung fürs gute, alte gedruckte Buch ist ihnen aber deutlich anzuhören – was qualitätsvolles Papier und Lesebändchen explizit einschließt: Im Printbereich gibt es bei CulturBooks nur Hardcover oder Klappenbroschuren – aber keine Taschenbücher.

Dass heute mit Christiane Frohmann auch eine der Vorreiterinnen der digitalen Verlagsszene schöne Printtitel produziert, sollte einen nicht überraschen. "Nicht vom Format her denken!", so lautete Frohmanns "geheimer Claim" schließlich von Anfang an. "Mir ging es nie ums Rechthaben, sondern darum, dass Texte gelesen werden! Ich will vorwärts, rückwärts, seitwärts gehen können, so, wie sich die Dinge entwickeln. Und dafür sorgen, dass interessante Literatur erscheint. Über E-Books als Format zu sprechen, war genau ein halbes Jahr interessant." Die von Frohmann entwickelte Reihe Kleine Formen ist, so gesehen, bereits im Postdigitalen angekommen – klassische, handwerklich gut gemachte Bücher, die bestimmte digitale Schreibweisen noch einmal in einen neuen Raum denken – so wie Frohmanns eigener Band "Präraffaelitische Girls erklären das Internet", der mit ebenso großem Schau- wie Erkenntniswert und obendrein mit Lesebändchen daherkommt.

Egal, ob die Texte, wie beim @MannvomBalkon, aus einem Twitter-Account stammen, oder, wie bei der Sammlung der "Tagesspiegel"-Kolumnen von Johannes Schneider ("Abgedichtet"), aus einer Tageszeitung: "Sie funktionieren anders, wenn ich sie in der Ruhe einer schön gestalteten Buchseite konsumiere", so Frohmanns Überzeugung. Ein Stück weit desillusioniert sieht die Verlegerin, lange eine gern gebuchte Rednerin auf den Zukunftspanels der Branche, heute ihre selbst verordnete Vermittlerrolle in Richtung des traditionellen Verlags- und Literaturbetriebs: "Immer, wenn ich versucht habe, mit meinen neuen Strukturen an die alten anzudocken, bin ich gegen eine Mauer geknallt."

Auch Nikola Richter, die ihren Verlag Mikrotext Anfang 2013 gründete und anderthalb Jahre später mit dem Young Excellence Award des Börsenblatts ausgezeichnet wurde, hat für den Herbst neben E-only-Titeln auch eine schicke Taschenbuchreihe (Ein Ort) und mit den von Robert Stripling herausgegebenen "Verpassten Hauptwerken" einen veritablen Makrotext in der Pipeline – ein HC-Geschenkbuch für den akademischen Nachwuchs mit, klar doch: Lesebändchen. Dennoch kann auch Richter der Rede von "hybrider" Verlegerei nicht viel abgewinnen: Sind nicht auch Hybridmotoren eine Übergangstechnologie, weder Fisch noch Fleisch? Und: Wollten wir nicht ganz weg vom Benziner? Nikola Richters aktueller Claim lautet dagegen – dezent provokativ: "Verlag mit Internet". Richter will deutlich machen, dass alles, was sie tut, "zunächst digital gedacht" ist; dass ihre Art des Publizierens von den Strukturen inspiriert ist, mit denen auch im Netz gearbeitet wird: agil, flexibel und ortsentbunden, statt Fünfjahresplänen gern auch mal Monatspläne. Ihren ersten Printtitel druckte Richter, als der Syrer Aboud Saeed ("Der klügste Mensch im Facebook") für eine Lesereise nach Deutschland kam; damals galten Lesungen vom Smartphone noch als exotisch. Das Buch ist mittlerweile in der dritten Auflage.

Mehr Sichtbarkeit für literarische Texte im digitalen Raum ist auch gut zwei Jahre, nachdem die vielversprechende E-Book-Boutique Minimore vom Netz gegangen ist, ein uneingelöstes Versprechen. Minimore, im März 2014 mit Digitaltiteln ausgewählter Indie-Verlage gestartet, scheiterte im Grunde am Anspruch, keine Plattform von der Stange sein zu wollen. "Wir haben sehr viel händisch aufbereitet und liefen am Ende im Hamsterrad", sagt Frank Maleu vom SuKuLTuR Verlag, einer der Gründer. Doch nun ist wieder Bewegung in die Idee eines unabhängigen, gemeinsam betriebenen Portals mit Shop und Rezensionsplattform gekommen. Zum harten Kern der Aktivisten um Frohmann, CulturBooks, Mikrotext oder SuKuLTuR stieß der Netzaktivist Stephan Urbach, der bis 2014 für die Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus saß und inzwischen nicht nur als Autor, sondern auch als Verleger unterwegs ist.

Eigentlich will Urbach, der glaubhaft versichert, in den vergangenen fünf Jahren drei gedruckte Bücher gekauft zu haben, mit seinem Ach je Verlag neue Formen des elektronischen Erzählens ausloten. Da man sich den Wünschen der Leser nicht verschließen sollte, startete Urbach mit einem Lyrikbändchen ("Liebe und andere Aggressionen") – als E-Book und in 100 gedruckten, handnummerierten Exemplaren. Und auch sonst erweist er sich im Gelände zwischen Print und Digital als Pragmatiker: Bei Urbach gibt es etwa E-Books im Umschlag – eine Karte aus Karton, auf der Cover, Titel und Downloadcode des jeweiligen E-Books abgedruckt sind. Ex Libris Card nennt Urbach sein Angebot, das künftig bei allen Neuveröffentlichungen optional zu wählen sein wird. Ein Nonkonformist wie Urbach dürfte die Plattform-Idee beleben, zumal der Mann nicht nur gelernter Bankkaufmann, sondern auch Programmierer ist.