London Book Fair 2017

Britische Branche trotzt Brexit

14. März 2017
von Nicola Bardola
Auch wenn Großbritanniens EU-Austritt näher rückt: Die Stimmung im Londoner "Olympia" war in diesem Jahr gut. Das Agentenzentrum brummte, Übersetzungen waren gefragter denn je, der deutsche Gemeinschaftsstand stieß auf große Resonanz. Abschlussbericht von der London Book Fair 2017.

Zur Eröffnung der London Book Fair (LBF) freute sich die Messedirektorin Jacks Thomas besonders über Bücherfreunde aus über 130 Ländern in den traditionsreichen Olympia-Messehallen. "Britische Verlage übersetzen immer mehr Bücher ins Englische. Es gibt nichts Besseres, als gute Übersetzungen zu lesen, um die Welt anderer Menschen zu verstehen", so Thomas, die damit auf eine Hauptsorge der Branche verwies, den wachsenden Populismus und Rassismus.

Wie wichtig das Thema Brexit in diesem Zusammenhang auf der diesjährigen LBF war, zeigte die Auftaktveranstaltung "Brexit: Good News or Bad News for the Publishing Industry?", die unmittelbar nach der Eröffnungspressekonferenz stattfand. Auf dem Podium diskutierten Rosa Wilkinson vom britischen Außenhandelsdepartement, Stephen Lotinga, Vorsitzender der Publishers Association und Ian Hudson, CEO von Dorling Kindersley (DK).

Niemand sieht Chancen im Brexit

Von den rund 500 DK-Mitarbeitern in Großbritannien haben 81 Mitarbeiter keinen britischen Pass, sondern sind Staatsangehörige anderer europäischer Länder. Hudson bezeichnete die Weigerung der Premierministerin Theresa May, den europäischen Mitarbeitern ein Bleiberecht zu garantieren als unmenschlich: "Ich will das Recht, qualifizierten Kollegen einen Arbeitsstelle in britischen Verlagen anzubieten, egal woher sie kommen", so Hudson, dessen engagierter Beitrag deutlich machte, wie bedrohlich die Lage durch den Verlust der EU-Mitgliedschaft für britische Verlage bei der langfristigen Planung von aufwendigen Buchprojekten, aber auch bei Themen wie Copyright oder Piraterie ist. Lotinga betonte, dass rund 30.000 Arbeitsstellen im britischen Buchhandel und Verlagswesen vom Brexit tangiert werden. Aus dem Publikum meldete sich Charlie Redmayne, CEO von HarperCollins und berichtete von Zeitarbeitern aus Polen in der schottischen HarperCollins Auslieferung, die aufgrund des schwächeren Pfunds und der Brexit-Unsicherheiten den Verlag bereits verlassen hätten. Niemand der Anwesenden sah Chancen im Brexit, aber alle die drohenden Gefahren.

Den Wechselkurs im Blick

Monika Schlitzer, Programmleiterin bei DK Deutschland, befürchtet, dass der internationale Austausch für ihren Verlag mit Hauptsitz in London schwieriger wird. Weltweit erscheinen DK-Bücher in über 60 Sprachen und in mehr als 85 Ländern: "Die künftigen gesetzlichen Regelungen in UK sind ungewiss, aber auch die Offenheit in den Köpfen könnte bedroht sein. Alle meine Kollegen bei DK waren gegen den Brexit." Schlitzer hofft, dass sich die Branche solidarisch eint und sich für möglichst offene Grenzen und Toleranz engagiert. "Sollte Großbritannien aus dem EU-Markt austreten, verteuert sich der Export unserer Bücher aus dem britischen Stammhaus. Der schlechtere Pfundkurs wirkt sich beim Druck in Fernost jetzt schon negativ aus", so Schlitzer. Bei DK-Koproduktionen mit vielen europäischen und außereuropäischen Partnern wird in US-Dollar bezahlt, weshalb der Wechselkurs zwischen britischem Pfund und US-Dollar für DK besonders wichtig ist.

Übersetzungen gewinnen an Bedeutung

Auch außerhalb der Messehallen ist Brexit Thema: "Wir hören hier ganz neue Töne", sagt Steffi Stiebeiner vom European Bookshop in der Gloucester Road. "Da heißt es plötzlich von der Laufkundschaft: ‘Nach dem Brexit können Sie ja hier dann dicht machen‘, oder ‚Warum haben Sie hier nur fremdsprachige, aber keine englischen Bücher?‘. Das gab es früher nie. Das kommt  von Leuten, die es leid sind, dass hier Ausländer im Land sind", sagt Stiebeiner. Die Sorge bei den drei Millionen EU-Bürgern in Großbritannien sei jetzt groß, aber all diese Menschen auszuweisen wohl unmöglich. "Wie sich der Brexit auf das Sprachenlernen und unsere fremdsprachigen Titel auswirken wird, wissen wir noch nicht", so Stiebeiner.

Auch die Botschafterin Frankreichs in London Sylvie Bermann wies beim Empfang für französische und deutsche Verlage im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse auf die Bedeutung interkultureller Aktivitäten hin: "Frankreich war zuletzt 1994 Ehrengast in Frankfurt. 28 Jahre später sind Übersetzungen wichtiger als je zuvor." Bermann nannte 19 bedeutende Autoren aus Frankreich, deren neue Werke noch keine deutschen Verlage gefunden hätten. "Das möge sich bald ändern: Auf der LBF oder gleich hier in der Botschaft", forderte Bermann die Anwesenden zum Netzwerken auf.

Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, bedankte sich für die Ehre, erstmals Gast in der französischen Botschaft in London zu sein und wies auf die Besonderheiten des Jahres 2017 mit Wahlen in Frankreich und Deutschland hin. "Wir freuen uns, nicht nur französische Autoren, sondern auch die vielen französisch schreibenden Autoren in Frankfurt begrüßen zu dürfen", so Boos.

Den Nerv der Zeit treffen

Trotz aller Brexit- und Trump-Sorgen war die Stimmung in den Messehallen und insbesondere im Agentenzentrum sehr gut. Auch wenn nach der Obama-Auktion der große Titel fehlte, bei dem sich Konzernverlage gegenseitig überbieten, kam es zu hochpreisigen Angeboten vor allem im Bereich Thriller. Die New Yorker Agentin Jenny Meyer sorgte mit "The Perfect Mother" von Aimee Molloy für Aufsehen, ebenso wie Rudi Urban Rasmussen aus Kopenhagen mit dem "Arctic Crime" von Mads Peder Nordbo "The Girl Without Skin". Ungewohnt im Rechtehandel war die starke Präsenz politischer und wissenschaftlicher Titel. David Runciman, Professor für Politik an der Cambridge University, trifft mit dem Buch "How Democray Ends" den Nerv der Zeit.

Bärbel Becker von der Frankfurter Buchmesse war sehr zufrieden mit dem Gemeinschaftstand und der Resonanz der Verlage. Für die 25 Aussteller (2016 waren es 20) ergaben sich dank der guten Lage auch Zufallskontakte. Die Resonanz auf die Initiative "Go Global!" war positiv. Eine neue zwölfseitige Broschüre gibt Auskunft über die weltweiten Aktivitäten der Frankfurter Buchmesse.

Gastland Polen

Was für viele deutsche Messegäste wenig attraktiv klang, Polen als Schwerpunktthema, das stieß beim britischen Publikum auf große Resonanz. Nur bei den Veranstaltungen von Kinderbuchverlagen und von Selfpublishern wurde ebenso heftig debattiert wie bei Podiumsgesprächen zur Literatur aus Polen. Es leben derzeit etwa 850.000 polnische Staatsbürger in Großbritannien. Sie beobachten oft mit Sorge sowohl die Veränderungen in der fernen Heimat als auch in ihrer Wahlheimat. Und sie sehen mit Stolz, wie sich polnische Autoren international durchsetzen. Dazu gehören allen voran das Ehepaar Aleksandra und Daniel Mizieliński ("Maps") oder Olga Tokarczuk ("Der Gesang der Fledermäuse"). Ihr neues Werk "Jakobs Bücher" wird im britischen Feuilleton gefeiert, wurde aber bislang noch nicht ins Deutsche übersetzt. Gut möglich, dass dies nun dank der London Book Fair bald geschehen wird.

Zahl der unabhängigen Buchhändler schrumpft

Einen Wermutstropfen zur generell guten Stimmung in Großbritannien gab es von der Booksellers Association (BA). Die Zahl der unabhängigen Buchhandlungen schrumpfte 2016 erneut. Heute zählt die BA noch 867 Indie Bookshops. Im vergangenen Jahr mussten 32 Läden schließen, und 16 erneuerten nicht ihre Mitgliedschaft. Das kontinuierliche Schwinden der unabhängigen Buchhändler dauert seit 2005. Damals gab es noch 1.535 Indies. Trotzdem tröstet sich die BA damit, dass sich der Schrumpfungsprozess deutlich verlangsamt hat. Zudem hat die Zahl der BA-Mitglieder 2016 um 248 Filialen zugenommen. Die Zahl der BA-Mitglieder wuchs das vierte Jahr in Folge: Heute sind es insgesamt 4.729, 2012 waren es nur 3.580 Mitglieder.

Die LBF 2018 wird vom 10. bis 12. April stattfinden und einen Schwerpunkt auf Autoren, Illustratoren und Verlage aus dem Baltikum setzen.