Reformmodell für den Börsenverein: Die Diskussion ist eröffnet

Mit welcher neuen Struktur soll der Verband in die Zukunft gehen?

3. März 2015
von Börsenblatt
Ein Börsenverein ohne Spartenteilung - ohne Sortimenter-Ausschuss, Verleger-Ausschuss, Zwischenbuchhandels-Ausschuss? Durchaus ungewohnt für die Mitglieder. Das zeigte die Diskussion über den geplanten Reformprozess an diesem Donnerstag im Branchenparlament. Ernsthaft und überlegt verlief die Debatte, die sich vor allem um eine Frage drehte: Wie kann die Willensbildung im Verband auch ohne Fachausschüsse demokratisch und fundiert organisiert werden?

Dass eine Reform notwendig ist, die den Verband wendiger, die ehrenamtliche Arbeit zeitgemäßer macht - daran gab es keine Zweifel bei der Parlamentssitzung im Frankfurter Haus des Buches. Diskutiert wurde deshalb nicht über das "Ob", sondern vor allem über das "Wie". Nach der ausgiebigen Debatte stimmte das Branchenparlament für die Weiterentwicklung des Modells (25 Ja-Stimmen, 4 Nein-Stimmen, 3 Enthaltungen). Die vorgetragenen Anregungen der Mitglieder sollen dabei einbezogen werden.

Vorher hatte Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis die Grundzüge der geplanten Strukturreform vorgestellt, die den Verband nicht nur für Buchhändler und Verleger, sondern auch für neue Marktakteure zur Heimat werden lassen soll. Kernpunkte (zur ausführlichen Präsentation mit Organigramm geht es hier):

  • So genannte Interessengruppen lösen die drei Fachausschüsse und die vielen Arbeitskreise unter dem Verbandsdach ab. Einige davon, etwa für unabhängige Sortimenter und Verleger, sind gesetzt, andere sollen sich aus eigener Initiative neu bilden. Die Entscheidung über Einrichtung und Fortführung von Interessengruppen trifft jährlich der Vorstand. Die Sprecher der Interessengruppen sollen ein Vortragsrecht im Vorstand bekommen.
  • Taskforces für die Themenarbeit: Stehen besondere Themen an, die für die Branche wichtig sind, dann ruft der Vorstand dazu spezielle Taskforces ins Leben, die mit den jeweiligen Experten aus den Mitgliedsunternehmen besetzt werden (etwa zur Metadatenbank oder zu Standardisierungs- und Mehrwertsteuerfragen).
  • Der auf drei Jahre gewählte Vorstand setzt sich künftig aus neun Mitgliedern plus dem Hauptgeschäftsführer zusammen, der die Kontinuität der Arbeit gewährleisten soll. Ein hauptamtliches Steuerungsteam begleitet die Willensbildung der Interessengruppen, sorgt für den Ausgleich von Interessen. Ist keine Einigung möglich, entscheidet der Vorstand.

Wie geschieht die übergreifende Willensbildung, der Ausgleich widerstreitender Interessen, wenn die Struktur im Verband durch die Interessengruppen granularer und kleinteiliger wird – so wie es ja das erklärte Ziel der Refom ist? Wie viel Mehrbelastung beim Interessenausgleich ruht künftig auf den Schultern des Vorstands? Und wie groß ist der Einsatz, den die Idee der sich selbständig organisierenden Interessengruppen von den Ehrenamtlichen einfordert? Vor allem diese Fragen trieben das Branchenparlament in der gut einstündigen Diskussion um.

Stimmen aus der Debatte:

Jan Orthey, Buchhandlung Lünebuch, Lüneburg:

"Wie verhindern wir, dass in den Interessengruppen noch mehr Sprengstoff innerhalb des Verbands entsteht  – und die Lagerbildung noch weiter forciert wird?"

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins:

"Es gibt zwei Möglichkeiten, mit Sprengstoff umzugehen. Wir können darüber reden oder ihn unter den Tisch kehren. Das Modell für eine Strukturreform ermöglicht das Reden. Genau das ist die Schwäche des derzeitigen Systems: Kleinere Gruppen können ihre Interessen bei uns nicht artikulieren und verlieren ihr Heimatgefühl im Verband. Nach dem neuen Modell  können alle Gruppen ihre Interessen artikulieren und der Vorstand muss dann im Zweifelsfall eine Entscheidung treffen – die vielleicht auch mal hart ausfallen kann."

Hartmut Falter, Mayersche Buchhandlung, Aachen: 

"Wir reden zu viel über das Wie und zu wenig über das Ob. Schaubilder führen dazu, dass man immer denkt, alles sei schon fertig. Ein Kompetenzgewinn durch die Integration der Sparten kann nur gut sein und ist für mich auch zeitgemäß."

Jürgen Horbach, Geschäftsführer des Kalenderverlags KV&H:

"Es gehört zur Wahrheit des Gesamtverbands, dass wir uns eines Tages auch mit der Frage nach der Arbeit in den Ländern befassen müssen."

Peter Kniep, Westermann Verlag:

"Es ist ehrenwert, dass der Vorschlag für eine grundlegende Reform so zügig eingebracht wird. Aber: Die Zersplitterung macht mir Sorge, weil der Verband dadurch an Schlagkraft verlieren könnte.  Ich habe die Befürchtung, dass der Börsenverein zum Labor wird  – vielleicht ja ein gutes, aber das weiß man eben nicht."

Thomas Bez, Umbreit:

"Das Modell hat den Charme der Basisdemokratie. Nur: Sind fünf Mitglieder auch schon eine Interessengruppe? Und: Welche Interessengruppe hat am Ende mehr Einfluss auf die Verbandspolitik – diejenige, die nur ein halbes Jahr besteht oder diejenige, die es fünf Jahre lang gibt?"

Thomas Lindemann, info Verlag:

"Basisdemokratischen Charme hat das Modell für mich nicht. Ich frage mich vielmehr, ob die Struktur nicht eher für Demokratur als für Demokratie sorgt, wenn der Vorstand über die Einrichtung oder Abberufung von Interessengruppen entscheiden kann. Mir fällt heute zu oft der Satz: Der Vorstand entscheidet. Und: Auch eine Verschlankung kann ich nicht erkennen. Wenn viele Interessengruppen zusammenkommen – wie wird das dann finanziert?"

Matthias Ulmer, Eugen Ulmer Verlag:

"Es dürfte keineswegs das Ziel sein, Interessengruppen abzuschaffen oder mundtot zu machen. Das gilt für den heutigen Vorstand wie für den künftigen. Nehmen Sie den äußerst aktiven Arbeitskreis für Elektronisches Publizieren im Börsenverein –  seine Arbeit würde künftig eher gestärkt, weil er ein Vortragsrecht im Vorstand bekommt."

Nadja Kneissler, Verlag Delius Klasing:

"Die Grundstruktur ist super und bildet ab, was in der Zukunftskonferenz gewünscht wurde. Aber am Feintuning müssen wir noch arbeiten. Ich habe nicht die Befürchtung, dass sich 3.000 Interessengruppen bilden werden, aber ich sehe eine gewisse Lücke zwischen der Arbeit in den Interessengruppen und dem Vorstand. Das hauptamtliche Steuerungsteam könnte die Interessengruppen im Konfliktfall ja auch an einen Tisch holen, um Interessen abzugleichen."

Vorsteher Heinrich Riethmüller, Osiander:

"Im Sortimenter-Ausschuss und im Verleger-Ausschuss passiert in dem halben Jahr zwischen den Sitzungen wenig. In den Interessengruppen können wir ohne lange Zeitverzögerungen diskutieren."

Karl-Peter Winters, Verleger:

"Wie wollen wir Verlegerinteressen in europäischen Verbänden wahrnehmen, wenn es keinen Verleger-Ausschuss mehr gibt, der diese Interessen formulieren kann?"

Dieter Dausien, Buchladen am Freiheitsplatz, Hanau:

"Dem Börsenverein wird öfter vorgeworfen, dass er verschlafen und unbeweglich sei. Die Reformbestrebungen sind das beste Gegenbeispiel dafür, aber ich warne davor, das Kind mit Bade auszuschütten und alles komplett anders zu machen. Ein Forum, in dem zum Beispiel kleinere Sortimente und Filialbuchhandlungen gemeinsam ihre Interessen abgleichen, fehlt mir in diesem Modell. Und ich weiß auch nicht, wie der Vorstand das aufwendige Interessenclearing in seiner personellen Besetzung leisten soll."

Franziska Bickel, Buchhandlung Vogel, Schweinfurt:

"Als Sprecherin der AG Pro melde ich hiermit schon mal die Umbenennung von AG in IG an. Aber als Vorsitzende des Wahlausschusses sehe mich nach diesem Modell außerstande, noch Kandidaten für die Vorstandsämter zu finden. Und: Zehn Mitglieder im Vorstand sind schlecht. Was machen wir bei Pattsituationen von fünf zu fünf?" (Zwischenruf Stefan Könemann: "Sich einigen").

Manfred Keiper, die andere buchhandlung, Rostock:

"Der Börsenverein war lange verlegerdominiert, auch wenn die Buchhändler den Verband zu 60 Prozent finanziert haben. Inzwischen hat sich die Arbeit im Sortimenter-Ausschuss hervorragend entwickelt - obwohl der Verband an dieser Stelle einen strukturellen Fehler hat.  Ich kann das vorgestellte Modell so nicht mittragen."

Albrecht Hauff, Thieme Verlag:

"Das Modell ist ein ausgesprochen mutiger Vorschlag. Wie sich die Bedürfnisse der Mitglieder verändert haben, wird von der Struktur sehr gut abgebildet. Was fehlt, ist eine Willensbildung, die weiterhin durchaus auch spartenorientiert greift."

Zwischenbuchhändler Stefan Könemann, Parlamentspräsident:

"Die Konstruktion muss so gewählt werden, dass die tragenden und zahlenden Säulen des Verbands, Buchhändler und Verleger, mit ihren ureigenen Iinteressen berücksichtigt werden. Was eine Interessengruppe der Unternehmensberater nicht ausschließt.  Klar ist: Jede Reform mit dieser Bedeutung muss von einer breiten Mehrheit im Verband getragen werden. Was Sie hier sehen, ist ein Denkmodell, das nicht in Stein gemeißelt ist, sondern dass wir zur Diskussion stellen, um es weiterzuentwickeln. Was Sie alle hier vortragen, sind ernstzunehmende Anregungen, die in den weiteren Reformprozess einfließen werden."

Was meinen Sie zur Strukturreform? Wie würden Sie sich und Ihre Interessen im Verband am besten vertreten fühlen? Diskutieren Sie mit - hier auf boersenblatt.net und auf der eigens eingerichteten Website des Börsenvereins, die alle Informationen rund um das diskutierte Modell bündelt.