Suhrkamp Letterpress

Das Beste beider Welten

18. August 2017
von Nils Kahlefendt
Mit Suhrkamp Letterpress trifft große Literatur auf große Gestalter der Gegenwart. Die neue, von Erik Spiekermann betreute Edition feiert den Buchdruck als Handwerk, das auch in digitalen Zeiten besteht.

Sollten wir tatsächlich ein libidinöses Verhältnis zum Buch unterhalten, dann ist Erik Spiekermanns Druckwerkstatt p98a in der Potsdamer Straße eine Art Viagra-Labor. Wenn der elder statesman des deutschen Grafikdesigns vom Buchdruck schwärmt, während im Hintergrund ein Original Heidelberger Tiegel schnauft, ist es um einen geschehen: Das satte, "richtige Schwarz", die leichte, kaum wahrnehmbare "Lichtkante" am Rand der ins Papier gedrückten Buchstaben, die die Sonne einfängt und "unserem Auge wie Wolle der Haut schmeichelt". Herrgott, mehr davon! Doch: Wer außer ein paar Hundert Hipstern und Hobbydruckern will heute noch kiloschwere Druckschriften aus Blei in die Maschine heben? "Der Buchdruck", meint Spiekermann nüchtern, "ist am Bleisatz gestorben". Für das Projekt Suhrkamp Letterpress will er nun das Beste aus analoger und digitaler Welt zusammenbringen: Sieben herausragende Werke des 20. Jahrhunderts aus dem Suhrkamp-Programm, von Thomas Bernhards "Watten" bis Raymond Queneaus "Stilübungen", werden für diese Kooperation neu gestaltet, gesetzt und von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem original Heidelberger Zylinder gedruckt. "Post-Digital-Publishing", sagt der Typograf, listig lächelnd.

Post-Digital-Publishing

"Die Arbeit am Computer ermöglicht uns typografische Finessen und eine riesige Schriftauswahl, die früher unvorstellbar waren", erläutert Spiekermann. "Die fertig ausgeschossenen Seiten schicken wir vom Computer an den Belichter, der mit Laserstahlen die Polymerplatten bebildert. Ein Magnetfundament fixiert sie dann in der Druckmaschine." Die Farben werden eigens angemischt; handelsübliche Offsetfarben wären, so erklärt Spiekermann, "zu flüssig, zu wabberig". Für den Buchdruck zu adaptieren, was im Offset als Computer to plate üblich ist, war ein durchaus schmerzlicher Lernprozess. "Wir haben anderthalb Jahre gebraucht, um das hinzubekommen. Es hatte ja noch niemand gemacht! Eine kleine Schrauberbude aus Hannover brachte uns dann schließlich den Durchbruch." Der betagte Heidelberger Zylinder in der Adlershofer Werkstatt druckt zwar nicht, wie eine moderne Offsetmaschine, mit 20.000 Touren die Stunde. "Aber wer will und kann Bücher in Auflagen drucken, die solche Geschwindigkeiten rechtfertigen?"

Die Süpergrüp ist mit im Boot

Suhrkamp-Geschäftsführer Jonathan Landgrebe hat Spiekermann kennengelernt, als dieser im Sommer 2014 seine Werkstatt einrichtete. Die Begeisterung war nachhaltig; bald darauf stand Lutz Seiler ("Kruso") an der Kurbel einer der alten Maschinen und druckte Texte und Gedichte von Hand. "Ich glaube, es gibt eine natürliche Nähe von dem, was Erik tut, und dem, worum wir uns als Verlag bemühen. Uns eint der Wunsch nach Qualität – ohne deswegen altertümlich oder bibliophil im herkömmlichen Sinn sein zu wollen." Eine wunderbare Fügung, dass es gelang, die Süpergrüp ins Boot zu holen – ein Kollektiv von sieben herausragenden deutschen Grafik-Designern wie Mirko Borsche, Johannes Erler, Mario Lombardo oder Sarah Illenberger, die weltweit für Industrie-Kunden und Zeitungshäuser arbeiten, sich hier jedoch mit Neugier und großer Lust auf die Gestaltung des alten Leitmediums geworfen haben. "In einer Zeit, wo Texte beliebig reproduziert werden, wo im Internet alles auf Knopfdruck verfügbar scheint", sagt Landgrebe, "ist es wichtig zu verstehen, wie aufwändig und kompliziert es ist, ein gutes Buch zu machen – vom Schreibprozess des Autors bis zur Bindung."

Werbe-Botschaft für das Buch

Den langen Weg zum fertigen Band zeigt Suhrkamp Letterpress in einem kleinen, liebevoll gestalteten Leporello, das jedem der auf 1.000 Exemplare limitierten Bände beiliegt. Sein Motto "Ein Buch ist erst ein Buch, wenn es ein Buch geworden ist" zitiert den Titel eines Aufsatzes des Holländers Hulb van Krimpen. "Angeblich ist heute jeder sein eigener Verleger", knurrt Spiekermann. "Wer aber mal mit 'nem richtigen Lektor oder Gestalter gearbeitet hat, weiß, was für wahnsinnige Qualitätsunterschiede es gibt."

Gerade setzt der Unruheständler in freien Minuten den neuen Krimi von Suhrkamp-Autor Andreas Pflüger ("Endgültig"). "Andreas legt enormen Wert auf den Rhythmus seines Texts – wir gehen jede Zeile durch." Erik Spiekermann ist weder Bilderstürmer noch Sozialromantiker. Aber er will das Wissen um die vielen Gewerke und Kompetenzen, die es zur Herstellung von Büchern braucht, nicht in Vergessenheit geraten lassen. Im Land Gutenbergs eigentlich eine kulturelle Aufgabe. 

"Die Maschinen stehen alle im Museum, geschützt von einer roten Kordel. Bitte nicht berühren! Aber genau das soll man bei uns!" Eine Gelegenheit, die auch von vielen "Digital-Kollegen" gern genutzt wird. Momentan sucht Spiekermann jedoch händeringend einen gelernten Buchdrucker; die letzten ihrer Art wurden in der DDR Ende der 80er ausgebildet, im Westen war schon weit früher Schluss. Vielleicht macht sein Post-Digital-Publishing ja Schule? "Wenn unsere Botschaft für das Buch durchdringt", sagt Jonathan Landgrebe, "wäre das ein toller Erfolg".

Suhrkamp Letterpress

ET 8. September:

  • Walter Benjamin: Berliner Kindheit um neunzehnhundert
  • Thomas Bernhard: Watten: Ein Nachlaß
  • Sylvia Plath: Der Koloss. Gedichte

ET März 2018:

  • Bertolt Brecht: Leben des Galilei. Schauspiel
  • Max Frisch: Montauk. Eine Erzählung
  • Raymond Queneau: Stilübungen
  • Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus

Sonderwebsite zum Projekt: www.suhrkamp.de/letterpress (wird laut Verlag voraussichtlich Ende nächster Woche freigeschaltet)