Standortporträt Oldenburg

Die Furcht vor der Fläche

31. März 2016
von Gerd Schild

Oldenburg hat einen lebendigen Buchhandel – und doch fürchten Sortimenter ein zunehmendes Ladensterben. Ein Rundgang durch die Buchgeschäfte der drittgrößten Stadt Niedersachsens. 

Wie in so vielen Städten wurde auch in Oldenburgs Buchhandel einiges anders, als die großen Filialisten kamen. Im Jahr 2000 eröffnete Thalia seinen Laden in der ehemaligen Residenzstadt – in der zentralen Achternstraße. Manche Buchhandlungen in ­Oldenburg haben seitdem ihren Geschäftsbetrieb eingestellt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Verdrängungswettbewerb, Digitalisierung, Änderung des Leseverhaltens, Abwärtsspirale durch allgemeines Ladensterben oder einfach nur schlechtes Wirtschaften – was jeweils den Ausschlag gab, lässt sich nicht genau ermitteln. 

Die ­Situation für den Einzelhandel in ­Oldenburg ist nicht leicht. Die Unternehmen würden sich mit großem Einsatz gegen das »Monster Online« wehren, sagt Axel Berger vom Dachverband Oldenburger Werbegemeinschaften. Berger schaut mit Sorge auf die Pläne des Internetriesen Amazon, auch stationären Buchhandel zu betreiben. »Das dürfte dann der Todesstoß für viele ­eigenständige Buchhändler werden«, vermutet er. Die Händlergemeinschaft wünscht sich insbesondere eine »bessere, frühzeitige Kommunikation und wirkliche Teilhabe an den Planungsprozessen der Stadt«. Hier gebe es eindeutig Verbesserungsbedarf, meint Berger. Die Vielfalt werde in den nächsten Jahren weiter leiden, das Ladensterben sei »langfristig sicher nicht aufzuhalten«. Aktuell zeichnet der Händlervertreter aber noch ein »leicht positives« Bild.

Bei Bültmann & Gerriets hat man die Ladenfläche in den vergangenen Jahrzehnten sukzessive vergrößert. Das zentral in der Einkaufsmeile Lange Straße gelegene Traditionsgeschäft war bis zur Thalia-Eröffnung die größte Buchhandlung der Stadt. »Wir haben die Eröffnung von Thalia schon gemerkt«, blickt Geschäftsführer Ulrich Bosselmann ­zurück. Er sitzt an einem großen Schreibtisch in der 2. Etage des Hauses, dort, wo die Fachbücher aufgereiht in Regalen stehen. Der große Mann mit dem Rollkragenpullover unter dem ­Jackett neigt nicht zur Hektik. Auch mit dem neuen Mitbewerber auf dem Markt, der nach Ansicht Bosselmanns Anfang des Jahrtausends schon ge­sättigt war, konzentrierte man sich auf  die »Stärken des Alltags«: gute Beratung, Service – wie das persönliche Ausliefern von Büchern etwa an Schulen oder Kanzleien –, Ausbau der Geschäftsräume.
Die Inhaberfamilie Wenner aus Osnabrück hatte den Betrieb 1989 übernommen – und ließ das Geschäft zuletzt im Jahr 2009 sanieren und in rund einem Jahr Bauzeit auf drei Häuser erweitern. Das Unternehmen vergrößerte so die Verkaufsfläche von 700 auf mehr als 1 200 Quadratmeter. »Wir haben mit dieser Investition von knapp zwei Millionen Euro ein Zeichen gesetzt«, so lautete damals die Kampf­ansage an den großen Filialisten.

Im vergangenen Jahr legte Deutschlands größte Buchhandelskette Thalia ihr 1 400 Quadratmeter großes Ladengeschäft in der ­Achternstraße still. »Die Umsatzentwicklung der Buchhandlung in der Achternstraße war seit längerer Zeit rückläufig«, sagt Unternehmenssprecherin Julia Hattrup. Als einziger Standort verblieben ist die 2011 eröffnete zweite ­Filiale in den Schlosshöfen, dem großen Einkaufszentrum mitten in der Stadt. Sie beschäftigt elf Mitarbeiter auf 600 Quadratmetern. Beim Umbau im Frühjahr 2015 wurde die Jugendbuchabteilung vergrößert und der Bereich Belletristik ausgebaut. Weitere Veränderungen seien derzeit am Standort Oldenburg nicht geplant, so Hattrup. 
Die ehemalige Filiale in der Achternstraße steht seit der Schließung leer. Nach Angaben des Vermieters sollte ein »Unternehmen mit hochwertiger Bekleidung« die Räume beziehen – passiert ist aber bislang nichts. Und so bildet die Achternstraße 16 einen von mittlerweile einigen Leerständen im Stadtgebiet.

Florian Isensee schaut aus unterschiedlichen Blickrichtungen auf Thalia. Denn sein gleichnamiges Unternehmen ist nicht nur als Sortiment, sondern auch als Verlag aktiv. Isensee legt heute zwischen 80 und 90 Titel pro Jahr auf – die auch in der Thalia-Filiale verkauft wurden. »Wir müssen die Menschen aktiv ansprechen«, weiß Isensee.
Sein Geschäft befindet sich zwar in guter Lage, aber wer etwa vom Bahnhof kommt und durch die Innenstadt flaniert, der passiert erst Bültmann & Gerriets und Buch-Brader, bevor er vor der breiten Front der Buchhandlung Isensee steht. Das Geschäft in der Haarenstraße ist zweigeteilt. Links stehen Bücher in den braunen Holzregalen, die bis zur Decke reichen. Auf der rechten Seite finden sich die »Lieblingsstücke«, wie es bei Isensee heißt. Klassische Non-Books gibt es hier genauso wie ein wechselndes Sortiment, zu dem auch mal ein Baby­strampler gehören kann. Im Erd­geschoss, nur durch eine Tür von der Buchhandlung getrennt, haben auch die Druckmaschinen ihren Platz, mit denen Isensee Bücher über Regionalgeschichte, Plattdeutsch und viele andere Themen drucken lässt. Diese können Besucher von Lesungen auch aus der Nähe betrachten – ein effektives Mittel zur Kundenbindung von Lesefreunden. Es sind also einige Synergien, die Florian Isensee mit seinen Mitarbeitern nutzen kann. Denn die verlagseigenen Autoren bekommen in der Buchhandlung auch die Gelegenheit, aus ihren ­Büchern zu lesen. Neben diesem eigenen Programm ist Isensee mit zwei weiteren Lesereihen aktiv. Anfang Februar erst kamen rund 450 Zuschauer zur ­Lesung von Rafik Schami in die Kultur­etage.

Zwischen den Geschäften von Bültmann & Gerriets und Isensee liegt die Buchhandlung Buch-Brader – das dritte Traditionsunternehmen binnen weniger Meter. Inhaber Jörg Barfknecht verkauft hier auf zwei Etagen ein Vollsortiment und hat als einen Schwerpunkt eine große Religionsabteilung, in der es neben Bibeln, Gesangbüchern und anderen Büchern zum Thema auch christliche Karten und Geschenkartikel gibt. Die Buchhandlung mit der geschwungenen Leuchtschrift an der Fassade wurde im Jahr 2000 umgebaut und ­dabei auch vergrößert.
Eine weitere Traditionsbuchhandlung findet sich am nahen Schlossplatz. Die Schweitzer Gruppe hat hier Anfang 2007 die Buchhandlung Anna Thye übernommen. Inhaberin Gerda Fritz wollte mit diesem Schritt die Zukunft des Traditionsgeschäft sichern, das vor mehr als 200 Jahren in Oldenburg gegründet wurde.

Eine Reihe alteingesessener stationärer Buchhandlungen ist in Oldenburg zwar immer noch aktiv – doch für einige bleibt nur noch der Ausweg Onlinehandel. So hat Esoterik-Buchhändler Karl-Heinz Plaggenborg sein gut 40 Quadratmeter großes Ladengeschäft in der Bergstraße geschlossen, nachdem die Umsätze in den Jahren zuvor stetig gesunken waren. Kunden können heute bestellte Bücher und andere Medien in der Lindenstraße im Norden der Stadt abholen.
Ute Pukropski eröffnete Anfang 2001 die unabhängige Buchhandlung Libretto. Sie hatte damals die Buchhandlung Edo Dieckmann von Inhaber Paul Meskemper in der Bergstraße übernommen und zog 2009 mit ihrem Sortiment an den Theaterwall.
Während die Buchhandelsdichte im Zentrum Oldenburgs noch vergleichsweise hoch ist, sieht es in den Stadt­teilen schlechter aus: Außer Sortimenten im Uni-Viertel (im Westen der Stadt) und der Buchhandlung Hemmieoltmanns im Famila Center gibt es kaum noch Buchhandlungen. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche inhabergeführte Geschäfte geschlossen.

Zwan­tine Lübbers fürchtet, dass diese Entwicklung weitergehen wird. Sie ist mit ihrem Büchergilde-Sortiment im Jahr 2007 auf die Rückseite der damals noch bestehenden Thalia-Filiale gezogen, verkauft dort auf 135 Quadratmetern. »Die Hälfte würde auch reichen«, sagt Lübbers und lacht. Auf der einen Seite befindet sich das Angebot der Büchergilde, gegenüber das sonstige Sortiment. Im hinteren Teil lässt sie Künstler ihre Werke ausstellen. Dafür ist genügend Platz vorhanden.
2007 gab es so gut wie keine freien Geschäftsflächen in der Oldenburger City. Das ist heute anders. »Wir können hier ein Ladensterben beobachten«, sagt Lübbers. Ihre Buchhandlung hat zwar Parkmöglichkeiten vor der Tür, liegt zwischen zwei Bushaltestellen 
und auch viele Radfahrer kommen vorbei. Doch trotz der guten Anbindung und der Büchergilde-Stammkunden gehen die Einnahmen zurück. Vor drei Jahren nahm die Buchhändlerin deshalb ein Angebot der DHL an – ihr Laden ist seitdem Annahmestelle für Päckchen und Pakete. Lübbers wird bald 62 Jahre alt. Bis zur Rente will sie die Buchhandlung auf jeden Fall noch weiterführen, zumindest mit der Büchergilde im Rücken.