Frankfurter Buchmesse

Eklat bei Eröffnung: Žižek provoziert

18. Oktober 2023
von Nils Kahlefendt

Die Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse endete nach der Rede des Philosophen Slavoj Žižek mit Protesten. 

Slavoj Žižek

Warten Sie mal mit dem Applaus.

Slavoj Žižek

Zunächst begann diese Buchmesse-Eröffnung heiter, fast kuschlig und ein wenig unverbindlich, im Stil einer Talkrunde des frühen Markus Lanz, als der ZDF-Moderator seine Gäste noch nicht grillte, sondern liebhatte. Der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef (SPD), die hessische Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne), Buchmesse-Direktor Juergen Boos und Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs wurden nach ihren aktuellen Lektüren im Besonderen und der Macht der Bücher im Allgemeinen befragt. „Das Leben schreibt die schönsten, aber auch die dramatischsten Geschichten“, zog sich der OBM aus der Affäre, Juergen Boos gestand, dass der slowenische Philosoph Slavoj Žižek auf seinem Nachttisch liege, „ein Mann, der schneller schreibt als ich lesen und denken kann“. Abgesehen davon, dass die Frage nach der Nachttisch-Lektüre von Prominenten künftig mit empfindlichen Bußgeld-Zahlungen ins Phrasen-Schwein bewehrt werden muss, sorgte ein slowenischer Virtuose auf der Nachbildung der berühmten Neandertal-Flöte (das Original hat angeblich 50.000 bis 60.000 Jahre auf dem Buckel und gilt als eines der ältesten Musikinstrumente der Welt) für retardierende Momente. So schnell wie verständlich drehten dann alle Statements aus dem leichten Fach ins Feld des Politischen, speziell zur Situation im Nahen Osten. Wobei sich alle einig waren: Der Terror-Angriff der Hamas auf Israel lasse keine zwei Meinungen zu. In den Worten von Mike Josef, der OBM mit der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands: „Nie wieder heißt nicht: schon wieder!“

Die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die slowenische Staatspräsidentin Nataša Pirc Musar

Kulturstaatsministerin Claudia Roth, für den nach Israel gereisten Bundeskanzler eingesprungen, solidarisierte sich mit Israel („Nie wieder ist jetzt!“), ließ Übersetzerinnen und Übersetzer hochleben, die im letzten Jahr 9.400 Bücher ins Deutsche transferierten – „9.400 Welten, die sonst unentdeckt geblieben wären“ – und feierte den von ihrem Haus aufgelegten Kulturpass. Die slowenische Staatspräsidentin Nataša Pirc Musar pries zurecht die Tatsache, dass mit dem großen europäischen Romantiker France Preseren ein Dichter auf dem zentralen Platz von Ljubljana thront; die Lyrikerin Miljana Cunta verwies mit Hilde Domin auf das stille, aber beständige Wirken der Poesie: „Alle Vögel schweigen. / Man hört nur den eigenen Schritt / und den Schritt, den der Fuß / noch nicht gegangen ist, aber gehen wird. / Stehenbleiben und sich Umdrehn / hilft nicht. Es muss / gegangen sein.“ („Die schwersten Wege“)

Zitat-Tourette

„Warten Sie mal mit dem Applaus“, meinte der vorab als Philosophie-Superstar eingeführte Slavoj Žižek, nachdem er unter aufbrandendem Jubel auf die Bühne geklettert war. Auch der Schlussredner der Feier verdammte den Angriff der Hamas entschieden und bekräftigte das Recht Israels auf Selbstverteidigung. In der Folge brachte Žižek allerdings mehr gängige Topoi der Israel-Kritik unter, als ein Teil des Publikums derzeit zu ertragen bereit ist. Nachdem Uwe Becker (CDU), Antisemitismusbeauftragter des Landes Hessen, in Richtung Bühne geeilt war und Žižek Relativismus vorwarf, drohte dessen Rede als wildes Zitat-Tourette mit O-Tönen von Reinhard Heydrich, dem norwegischen Attentäter Breivik bis zum Widerstandskämpfer Marek Edelmann oder Walter Benjamin zu entgleisen.

Wir sind uns alle einig, in der Verurteilung der Unmenschlichkeit, in der Verurteilung des Terrors. Und ich bin froh, dass wir das hier so aussprechen können, auch froh, wenn eine Rede unterbrochen wird. Das muss möglich sein. Ich bin froh, dass wir die Rede zu Ende gehört haben, auch wenn sie uns nicht gefallen mag, auch wenn wir sie vielleicht sogar verurteilen. Es ist wichtig, dass wir uns zuhören.

Juergen Boos

Becker, Josef und Dorn hatten zwischenzeitlich schon einmal den Saal verlassen, kamen zurück, berieten mit Juergen Boos, der dann, als Žižek geendet hatte, noch einmal die Bühne betrat und zu einem bewegten Statement ansetzte: „Ich glaube, ich kann für diese Gemeinde, und ich möchte es als eine Gemeinde bezeichnen, hier sprechen: Wir verurteilen den Terror! Wir sind Menschen, und wir denken menschlich. Menschlich auf palästinischer Seite, auf israelischer Seite. Slavoij, du hast uns die Abgründe aufgezeigt, und die stecken in uns allen. Für diesen Spiegel, den du uns vorhältst, bin ich dir dankbar. Für die Worte, die du sprechen musstest, im Namen der Menschlichkeit, um die trauere ich. Und es ist mir sehr wichtig, dass wir uns alle einig sind, in der Verurteilung der Unmenschlichkeit, in der Verurteilung des Terrors. Und ich bin froh, dass wir das hier so aussprechen können, auch froh, wenn eine Rede unterbrochen wird. Das muss möglich sein. Ich bin froh, dass wir die Rede zu ende gehört haben, auch wenn sie uns nicht gefallen mag, auch wenn wir sie vielleicht sogar verurteilen. Es ist wichtig, dass wir uns zuhören. Ich danke Ihnen allen, ich danke der Buchwelt.“

Der traditionelle Hammerschlag, ausgeführt von Karin Schmidt-Friderichs, wird die große Debatte wohl nur temporär verstummen lassen: „Mit einer Ablehnung des Wortes ‚aber’ eröffne ich die 75. Frankfurter Buchmesse.“

Mit einer Ablehnung des Wortes ‚aber’ eröffne ich die 75. Frankfurter Buchmesse.

Karin Schmidt-Friderichs