Panel zur kulturellen Autonomie

Erleben wir ein Roll-back der „Leitkultur“?

9. Juni 2025
Nils Kahlefendt

Eine mit Antje Flemming, Chefin des Hamburger Literaturhauses, Julia Wissert, Intendantin am Schauspiel Dortmund, und dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann kulturpolitisch spannend besetzte Runde fragte nach Abhängigkeiten im Kulturbereich, finanziellen und politischen.

Olaf Zimmermann (Deutscher Kulturrat) spricht auf der Bühne in einer Diskussionsgruppe

Olaf Zimmermann (Deutscher Kulturrat) beim Panel Kulturelle Autonomie 

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann ist bei Journalisten für seine kantigen, so gar nicht weichgespülten Beiträge geschätzt. Jüngst, angesichts des Arbeitsantritts des siebten Kulturstaatsministers Wolfram Weimer – bald dreißig Jahre nachdem die erste rotgrüne Bundesregierung dieses Amt 1998 geschaffen hatte – machte er wieder einmal eine Ansage: „Die Bundeskulturpolitik befindet sich seit einiger Zeit im strukturellen Dornröschenschlaf. Was wir jetzt brauchen, ist ein Kulturstaatsminister, der den Bereich wach küsst, also seine Relevanz innerhalb der Bundesregierung stärkt. Schauen wir mal, was uns diese Legislaturperiode so bringt.“

Für Shila Behjat, Moderatorin eines Panels zur kulturellen Autonomie („Wie unabhängig sind unsere Kulturinstitutionen“) war der Satz eine Steilvorlage. Ob denn die Lobbyarbeit des Kulturrats, zu dessen 285 Kulturverbänden auch der Börsenverein gehört, also eher nicht so erfolgreich gewesen sei, wollte sie vom Kulturmanager wissen. Die alten Kämpfe zwischen Bund und Ländern, ob es eine sichtbare Kulturpolitik des Bundes überhaupt geben darf, meinte Zimmermann, gehören glücklicherweise längst der Vergangenheit an. Trotz der fast drei Jahrzehnte sei das Amt aber immer noch nicht wirklich gesichert. „Der Staatsminister darf als Staatssekretär zwar am Kabinettstisch sitzen, spricht aber nicht auf Augenhöhe“, so Zimmermann. Die kulturpolitisch spannende, im Vergleich zu anderen Panels aber eher schwach besuchte Runde am frühen Freitagnachmittag fragte nach Abhängigkeiten im Kulturbereich, finanziellen und politischen.

Antje Flemming, Leiterin Literaturhaus Hamburg

Antje Flemming, frisch gekürte Chefin des Literaturhauses Hamburg, brachte hier eine interessante Perspektive ein – war sie doch ab 2016 als Literaturreferentin der Behörde für Kultur und Medien Hamburgs unter Carsten Brosda auch für das Literaturhaus zuständig. Inhaltliche Vorgaben habe es nie gegeben, Flemming habe sich immer als „Mittlerin zwischen Regierung und Szene“ gesehen, mit der klaren Aufgabe, „Gelder zu beschaffen“. (Apropos Geld: Ab 2026, so verriet Flemming, werde Hamburg, das seinen Kulturetat gerade um elf Prozent erhöht hat, als erstes Bundesland eine strukturelle Verlagsförderung auf den Weg bringe – ein kleiner Gruß aus der Hansestadt an Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck, der den Segnungen der Staatsknete, wenigstens in diesem Feld, eher skeptisch gegenübersteht.) Sind gut gemeinte Maßnahmen wie eine Antisemitismusklausel als Voraussetzung für öffentliche Förderung bereits politische Einflussnahme? „Wir haben ausweislich des Grundgesetzes eine große Freiheit“, ist sich Olaf Zimmermann sicher, „aber innerhalb dieser Freiheit auch große Verantwortung“. Gerade hat der Deutsche Kulturrat dank einer Förderung durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) eine kultursparten- und bereichsübergreifende Arbeitsstelle gegen Antisemitismus eingerichtet. Schließlich thematisierte die Runde auch die Auswirkungen politischer Verschiebungen auf die künstlerische Freiheit. 

Julia Wissert, Intendantin am Schauspiel Dortmund 

Bühnenadaption des Debütromans "Vatermal" - von der AfD unter Beschuss

Das kulturpolitische „Roll-back“, das mit dem Erstarken der AfD Begriffe wie „Leitkultur“ wieder in Stellung bringt, bekommt auch eine Theaterfrau wie Julia Wissert zu spüren, seit 2020/21 Intendantin des Schauspiels Dortmund. Wenn Wissert für ihre Bühnenadaption des Debütromans „Vatermal“ des in Datteln geborenen Necati Öziri (der auch auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand) einen Chor des Migrantinnenvereins Dortmund einbindet, wird sie dafür von der AfD hart unter Beschuss genommen: Dafür ist Geld da, während unsere Schulen verfallen, tönt es – was dazu führt, dass sich die Unterstützung aus der Zivilgesellschaft verändert. Kann die AfD die Kultur „auf Linie“ bringen, so wie Trump eben das Kennedy Center kaperte? „Man kann Politik auch verändern, wenn man nicht die Regierung stellt“, ist Olaf Zimmermann überzeugt. Die AfD sei schon lange dabei, ihre kulturpolitische Agenda voranzutreiben, auf lokaler Ebene wie über Anfragen im Kulturausschuss des Bundestages, in dem sie die zweitmeisten Mitglieder stellt. „Wir werden antworten müssen.“