Vorab-Pressekonferenz

Leipziger Buchmesse 2024: Mission possible

22. Februar 2024
von Nils Kahlefendt

Solange Corona nur eine Biermarke war, galt Leipzig bei vielen in der Branche – und beim Publikum sowieso – als Buchmesse der Herzen. Auf der Vorab-Pressekonferenz warb die neue Direktorin Astrid Böhmisch heute dafür, dass das so bleibt. Das Frühjahrs-Großereignis will in rauem Marktumfeld wieder auf Normalbetrieb schalten.   

Bei der Pressekonferenz 

Mit der Ortswahl für ihre Vorab-Pressekonferenz beweist die Leipziger Buchmesse Street-Credibility: Das Ost-Passage Theater, eine alternative Nachbarschaftsbühne im strukturschwachen Osten der Stadt, direkt an der multikulturellsten Einkaufsmeile Sachsens, ist ein Hingucker: Das Gründerzeit-Tonnengewölbe überspannte Anfang des letzten Jahrhunderts eine Markthalle, 1912 wurde der Bau in ein Kino umgewidmet, heute findet die Kultur direkt über einem Aldi-Markt statt. Wir sind zurück, soll der chabby chic wohl bedeuten, und: In Leipzig muss es nicht unbedingt die Komfort-Zone sein.

Es informieren über das Messeprogramm (von links): Kerstin Krämer, Projektdirektorin Bildung, Kinder+Jugend, Manga-Comic-Con, Buchmessedirektorin Astrid Böhmisch, Moderator Jörg SchiekeBettina Baltschev, Kuratorin Gastland Niederlande/Flandern, Margot Dijkgraaf, Kuratorin Gastland Niederlande/Flandern, Ole Liebl, Autor und Content Creator (TikTok & Instagram)
 

Die Dynamik echter Begegnungen gewährt uns kein Algorithmus.

Astrid Böhmisch, Buchmesse-Direktorin

Vorverkauf stimmt optimistisch

Wichtig ist auf’m Platz: Bevor sich in genau vier Wochen die Hallentore öffnen, sieht sich die neue Buchmesse-Direktorin Astrid Böhmisch bei den Ausstellerzahlen „leicht über Vorjahresniveau“ von den Zahlen aus dem April 2023 entfernt; damals profitierten 2082 Aussteller noch von der Corona-Förderung aus „Neustart Kultur“.

Der Vorverkauf ist inzwischen so gut angelaufen, dass man bei den Besucherzahlen die Vorjahreswerte überflügeln könnte: 274.000 Besucher (inklusive „Leipzig liest“) wurden 2023 gezählt, nur 12.000 weniger als vor der Pandemie. „Die Dynamik echter Begegnungen“, so Böhmisch, „gewährt uns kein Algorithmus“. Dass die „fetten Jahre“ vermutlich vorbei sind, merkt man daran, dass die Stände der großen Verlage, egal ob konzerngebunden oder unabhängig, eher bescheiden daherkommen – aber daran hat man sich auch in Frankfurt gewöhnt. Vielleicht kann ja der Leipziger Messebeirat Rüdiger Salat, inzwischen COO an der Seite von Philipp Keel bei Diogenes, den Lieblingsverlag der Buchhändlerinnen wieder an die Pleiße locken?

Indie-Verlage freuen sich auf Kontakt mit Publikum

Auch die Kleineren schauen auf den Euro, mancher hat den Stand erst kurz vor knapp gebucht, viele denken für die Zukunft über Standkooperationen nach. Manche bleiben fern, selbst Lokalmatadoren wie der Kinderbuchverlag LeiV oder Peter Hinkes Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Die wird zwar, wie gewohnt, mit schönen Veranstaltungen aufwarten (u. a. die Präsentation der Kurt-Wolff-Preisträger oder den S. Fischer Abend mit Stefan Wackwitz), nicht aber mit einem eigenen Messestand. Der Lehmstedt Verlag wird statt des Leipziger Heimspiels nach zwölfjähriger Abstinenz im Herbst nach Frankfurt fahren. „Ich verbinde damit keine Botschaft“, sagt Mark Lehmstedt, der für seine Messepräsenz bislang, mit allen Kosten, rund 8000 Euro berappt hat. „Zwei Messen sind für uns einfach zu teuer.“ Auf der anderen Seite gibt es, gerade im Kreis der Indie-Verlage, interessante Neuzugänge: Zu nennen sind hier etwa Kjona, &Töchter, Ankerwechsel oder der im letzten Herbst gegründete Phantastik-Verlag Carcosa, dessen Verleger Hannes Riffel bewusst das klassische Independent-Umfeld in Halle 5 gesucht – und last minute noch ein günstiges Airbnb-Zimmer gefunden hat.

Bewegte Zeiten - die politische Buchmesse

Der Ukraine-Krieg im dritten Jahr, das Pulverfass Naher Osten, ein Superwahljahr in den ostdeutschen Bundesländern mit der AfD im Aufwind – Leipzig verspricht eine eminent politische Messe zu werden. Das wird sich schon zur feierlichen Eröffnung im Gewandhaus zeigen, auf der – nimmt man die Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Omri Boehm hinzu – nicht weniger als acht Reden zu erwarten sind. Neben Mark Rutte, dem niederländischen Ministerpräsidenten, und Sachsens MP Michael Kretschmer ist auch Olaf Scholz angefragt.

Das Forum offene Gesellschaft (Halle 2, E 600) bietet eine Bühne für die Themen, die das Land gerade umtreiben: Demokratie und Rechtsruck, Krisen und Kriege, Fake News, Meinungsfreiheit und Menschenrechte. Beteiligt sind unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, der Verband deutscher Schriftsteller:innen sowie das Aktionsbündnis Verlage gegen Rechts, PEN Berlin und PEN Deutschland, das Recherche-Netzwerk Correctiv und die IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins. Unter dem Titel „Lesen, informieren, wählen – Demokratie und Parlamentarismus stärken“ diskutieren in einer vom Berliner Büro des Börsenvereins organisierten Runde Christiane Schenderlein (Sprecherin Kultur und Medien der CDU/CSU Bundestagsfraktion), Amy Kirchhoff (Vorsitzende Landesschülerrat Sachsen) und die Autorin Anne Rabe. Auf dem Messegelände und weiteren Orten in der Stadt (u. a. in der Kulturfabrik Werk 2, dem Institut für Meteorologie oder dem Botanischen Garten) wird von Messedonnerstag bis Samstag die Klimabuchmesse über die Bühne gehen. 

Netzwerkknoten und Veranstaltungsraum: Das Forum Die Unabhängigen der Kurt Wolff Stiftung bei der Leipziger Buchmesse

Independence Days

  • Zum siebten Mal organisieren die Kurt Wolff Stiftung und die Leipziger Buchmesse das Forum Die Unabhängigen (Halle 5, E 313). Im Halbstundentakt finden dort Lesungen zu Frühjahrs-Novitäten statt. Höhepunkt sind die Verleihung des Alfred-Kerr-Preises für Literaturkritik an Wolfgang Matz (21. März, 14 Uhr) und der Kurt-Wolff-Preise an AvivA und mikrotext (22. März, 13 Uhr).
  • Zur Aktion „Bücher, die wissen, wo sie stehen“ organisiert Verlage gegen Rechts hier ein Podium mit Buchhändlerinnen von Rotorbooks, drift (Leipzig) und Heiter bis wolkig (Halle/Saale) (23. März, 16 Uhr).
  • Über Literaturpodcasts spricht Carolin Callies mit Nefeli Kavouras/Anselm Neft (laxbrunch.de) und Ludwig Lohmann (blauschwarzberlin.de) am Messesonntag (24. März, 11 Uhr).
  • Zu einem Flashmob-Treffen mit der neuen Buchmesse-Direktorin könnte sich des traditionelle Meet & Greet von Buchhandelstreff entwickeln (22. März, 17 Uhr). Den von Verlegerinnen und Verlegern persönlich kuratierten Espresso gibt’s gegen Spende obendrauf.
  • Zum vierten Mal zieht das Forum wie weiland Erich Kästners fliegende Klassenzimmer ins summende, brummende Leipzig. Bei der Spätausgabe im Westflügel Leipzig lesen am Messesamstag 19 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das komplette Programm der Kurt Wolff Stiftung hier.

It’s Party Time

Vor die Welle setzt sich beim Partyreigen ein weiteres Mal Voland & Quist, die im GfZK-Café bereits vorglühen, während im Gewandhaus noch die Eröffnung läuft. Voland & Quist und Kanon laden dann am Buchmessefreitag in bewährter Weise zur popup-Party in den Felsenkeller – wer die Karaoke-Auftritte diverser Branchengrößen im letzten Jahr verpasst hat, bekommt heuer eine zweite Chance (22. März, ab 22 Uhr, Eintritt: 8 Euro).

In unruhigen Zeiten kann die ewige Wiederkehr des Gleichen extrem entspannend wirken, weshalb wir hier auf die Tropen-Party im GfZK-Café (21. März) und den etwas gesetzteren Suhrkamp/Insel-Empfang mit reichlich Autoren-Prominenz im Café Madrid (21. März, auf Einladung) hinweisen möchten. Die entscheidende Frage: Sitzen, Singen oder Tanzen?

Leipzig liest: Jana Crämer mit Batomae bei ihrer Lesung im Café Pushkin

Literatur-Flashmob – Leipzig liest:

„Leipzig liest“ zu preisen ist ein wenig wie Eulen nach Athen tragen. Oder Leipziger Lärchen ins Café Grundmann. Der wie das Doppel-M zum Markenzeichen der Messe gewordene Literatur-Flashmob präsentiert sich – in der Woche nach der lit.Cologne (5.-17. März) – mit rund 2.900 Mitwirkenden und 2.500 Veranstaltungen an 300 Orten fast so üppig wie vor Corona. Viele wichtige deutschsprachige Frühjahrsnovitäten bekommen hier ihre Bühne, darunter ehemalige Nominierte für den Preis der Leipziger Buchmesse wie Anne Weber („Bannmeilen“, MSB) oder Ulrich Peltzer („Der Ernst des Lebens“, S. Fischer). Mit Spannung schaut die Literaturwelt auf den 29. Februar, dann gibt die Jury die Nominierten des aktuellen Preises in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung bekannt. Am Messedonnerstag, 16 Uhr, wird der Preis dann zum 20. Mal vergeben. Wie immer freuen sich die Messe-Macher auch über klangvolle internationale Namen: Das Spektrum reicht von Christopher Clark („Frühling der Revolution“, DVA) über Didier Eribon („Eine Arbeiterin“, Suhrkamp, für die Lesung des deutschen Texts konnte Sandra Hüller verpflichtet werden, in Leipzig schon jetzt Oscar-Gewinnerin der Herzen) bis zu Jussi Adler Olsen (Verraten“, dtv).

Die Gastland-Delegation aus den Niederlanden und Flandern (Motto: „Alles außer flach“) ist mit 41 Autorinnen und Autoren und rund 100 Veranstaltungen kleiner und jünger als zum Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse 2016 – verheißt aber vielleicht gerade deshalb spannende Entdeckungen - hoch gehandelt etwa die flämische Autorin Gaea Schoeters, deren radikaler Roman „Trophäe“ (Zsolnay“) derzeit für Furore sorgt. Weil die Buchmesse, so Astrid Böhmisch, auf „Nachhaltigkeit“ setzt, sind das gewesene Gastland Österreich und die 2025 kommenden Norweger ebenfalls mit starken Ständen vertreten.

Bertelsmann zieht mit seinem Blauen Sofa in eine neue Location, das Kaiserbad in Plagwitz.

Messe goes Pop: Dass auf dem Podium auch der Influencer und „Content Creator“ Ole Liebl ausführlich zu Wort kam, dessen niederschwellige Buchempfehlungen auf Tik Tok und Instagram viral gehen, zeigt, dass die Buchmesse in Zeiten von Pisa-Schock und Leserschwund künftig wohl noch stärker auf populäre Angebote setzen will.

Nach langer Abstinenz kehrt am Messefreitag das Format LitPop zurück – bis 2008 fand das Kooperationsprojekt mit dem MDR im Neuen Rathaus statt. Dafür haben sich MDR Sputnik, MDR Kultur, ARD Kultur, ZDF und 3sat mit der Buchmesse zusammengetan; auf vier Bühnen der Leipziger Kongresshalle werden 24 Autorinnen und Autoren von DJ-Sets und Live-Musik begleitet. Der bewusst wilde Genre-Mix aus Wissenschaft, Zeitgeist, Politik, Livestyle und Pop-Kultur scheint derzeit trendy zu sein – die lit.Cologne präsentiert am 8./9. März unter fast identischen Namen ein ähnliches, inhaltlich etwas konturierteres Event im Kölner Stadtgarten, das bereits ausverkauft ist.

Zurück in Halle 5 – die Leipziger Antiquariatsmesse ist wieder auf dem Messegelände

Während die Manga Comic Con (MCC) ihr zehnjähriges Jubiläum feiert, darf die Leipziger Antiquariatsmesse auf bereits 30 Jahre anstoßen. Organisiert wird sie von Stefan Lenzen und Marianne Fleischer-Bartsch, die Ende 2022 die Firma abooks.de des 2021 verstorbenen Detlef Thursch übernommen haben. Thursch war bis zum coronabedingten Ausfall der Leipziger Buchmesse der Kopf hinter der Antiquariatsmesse.

Im letzten April konnte abooks.de die Antiquariatsmesse in der Innenstadt, in den Salles de Pologne erfolgreich wiederbeleben, zum 30. Jubiläum ist sie zurück auf dem Messegelände – in Halle 5. Beteiligt sind 44 Antiquariate aus Österreich, der Tschechischen Republik, der Slowakei, aus den Niederlanden und Deutschland. Vorab erscheint ein Printkatalog, online sind die Katalogbeiträge auf www.abooks.de einsehbar. Zurück in Halle 5 ist auch die Literaturmeile der Antiquariatsmesse, knapp 100 Meter Regale mit Lesestoff aller Couleur zu erschwinglichen Preisen.

Programm in der Buchmesse-App und online

Das detaillierte Programm von Leipzig liest mit allen Veranstaltungen finden Sie in der Buchmesse-App oder hier