Jahrestagung IG Digital: Interview mit Martin Frommhold

"Bei Otto kam alles auf den Prüfstand"

24. Mai 2022
von Michael Roesler-Graichen

Digitale Transformation setzt auch einen Kulturwandel im Unternehmen voraus. Kommunikation, Organisation und Arbeitswelten müssen sich ändern, um den Prozess voranzutreiben. Einsichten von Otto-Kommunikationschef Martin Frommhold, Keynote-Sprecher auf der Jahrestagung der IG Digital am 20. Juni in Frankfurt.

Martin Frommhold

"Sich nicht verändern, ist keine Alternative" ist der Titel Ihrer Keynote auf der kommenden Jahrestagung der IG Digital. Wer und was muss sich alles in einem Unternehmen wie Otto verändern?
Viel. Wobei wir uns nicht allein verändern, sondern gemeinsam mit vielen Schwesterunternehmen innerhalb der Otto Group, die insgesamt rund 50.000 Mitarbeiter*innen beschäftigt und mit rund 30 Firmengruppen in 30 Ländern der Welt tätig ist. Angesichts der zunehmenden Digitalisierung begleiten wir in der Otto-Unternehmenskommunikation unsere Transformation und den damit verbundenen Kulturwandel selbstverständlich eng, auch weil Kommunikation Veränderung erst möglich macht. Wobei für deren erste Initialisierung auch Symbole und Signale sinnstiftend sind. Bei uns im Konzern kamen diese von den Vorständ*innen, die der Belegschaft das Du angeboten haben. Ein klares Zeichen für den Willen, neue Wege zu gehen. Und für ein traditionelles Haus wie das unsere 2015 ein mutiger Schritt.

Aber vermutlich erst ein Anfang …
Ja, das war der Anstoß dafür, das Verhalten untereinander zu thematisieren, die Angst vor Veränderung anzusprechen und sich mit den hierarchischen Strukturen im Unternehmen auseinanderzusetzen. Wo brauchen wir mehr Transparenz, Ehrlichkeit oder Mut für Diskurse? Wie können wir Verantwortung breiter organisieren? Wo braucht es Modernisierung und Automatisierung? Und wie schaffen wir es, uns nicht trotz, sondern im Einklang mit der Digitalisierung erfolgreich weiterzuentwickeln. Ziel war es, dass alle Mitarbeiter*innen die Transformation als Chance begreifen und ergreifen. Dass sie verstehen, warum wir unser Unternehmen in großen Teilen neu erfinden und zusätzliche Geschäftsfelder erschließen müssen, um eine relevante Einkaufstätte am Markt zu bleiben.

Um Neues anzugehen, müssen Mitarbeiter*innen auch eigene Ideen umsetzen können und bereit sein, Risiken einzugehen.

Martin Frommhold

Wie vollzieht sich der Wandel in der digitalen Transformation konkret?
Es braucht zunächst die Analyse des IST und ein klar formuliertes Ziel. Und dann wird der Weg dahin geplant, kommunikativ eng begleitet, immer wieder erklärt und umgesetzt. Bei uns wurden dafür Kulturwandel-Teams eingerichtet, die über alle Hierarchieebenen wirksam wurden und halfen, kulturelle Defizite und tradierte Denk- sowie Verhaltensweisen transparent zu machen. Das ist für eine harmonieorientierte Belegschaft nicht einfach. Aber um Neues anzugehen, müssen Mitarbeiter*innen auch eigene Ideen umsetzen können und bereit sein, Risiken einzugehen. Um dahin zu kommen, braucht man viel Austausch und Kommunikation. Schöner Nebeneffekt: Man stößt auch auf viele zu erhaltende Werte und Stärken.  

Wie hat sich das Geschäftsmodell von Otto in den vergangenen Jahren verändert?
Wir waren Jahrzehnte als führendes Handelsunternehmen der Katalog-Ära bekannt, haben uns aber – anders als nicht mehr existente Wettbewerber – ab 1995 auf das E-Commerce Geschäft fokussiert. 2018 verabschiedeten wir uns vom Katalog, der von Kund*innen immer weniger genutzt wurde. Das war folgerichtig, aber auch ein emotionaler Moment, obwohl wir bereits begonnen hatten, unser Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. Konkret haben wir unsere Fähigkeiten als Händler um einen Marktplatz für Drittanbieter erweitert. So haben wir das Produktangebot auf otto.de massiv ausgebaut und sind für Kund*innen noch attraktiver geworden. Parallel bieten wir exklusive Services für Partner und Marken an – eine weitere wichtige Säule unseres Plattform-Geschäftsmodells. Dafür wurden nicht nur Investitionen und Fachleute – vor allem für IT und E-Commerce – gebraucht. Sondern für viele Mitarbeiter*innen bedeutete dies, ihre eigene Rolle neu zu definieren. Das war mit viel Erklärungs- und Überzeugungsarbeit verbunden, wirklich alles kam auf den Prüfstand – bis selbstverständlich hin zur Frage, wie Vorgesetzte ihre Rollen neu verstehen lernen.

Gibt es Erfahrungen aus Ihrem Unternehmen, die auf die Buchbranche übertragbar wären?
Vorsicht, Kulturen sind divers. Am ehesten wären unsere Erfahrungen vielleicht auf Verlage übertragbar, also größere Einheiten, die klassisch agieren, in denen Verantwortung ungern geteilt und hierarchisch interpretiert wird. Aber grundsätzlich sollte man primär auf die eigene Organisation schauen und hinterfragen, wie offen wird bei uns eigentlich kommuniziert, wie durchlässig sind Strukturen, welche Austauschformate gibt es.    

Otto Campus: Sessel für Vieraugengespräche

Wie wirkt sich der Kulturwandel im Unternehmen auf die Arbeitsmodelle aus?
Wir haben uns dezidiert mit New Work befasst. Die kulturelle Veränderung im Haus wirkt sich auch auf das Design unserer Arbeitsflächen aus. Viele Großraumbüros auf dem Otto-Campus haben wir neugestaltet und mit Social Spaces und Sofaecken versehen, dafür Einzelbüros weitgehend abgeschafft. Was die Präsenz im Büro angeht, können die Mitarbeitenden zwischen Campus und "flexible Office" wählen, also auch zu Hause oder im Café arbeiten. Wir verfolgen einen "activity based working"-Ansatz, der es den Mitarbeitenden ermöglicht, den für die jeweilige Tätigkeit optimalen Arbeitsplatz flexibel zu wählen.

Hat sich das Recruiting neuer Mitarbeiter grundlegend verändert bei Otto?
Wir finden auch über die klassischen Wege nach wie vor neue Kolleg*innen, aber unsere Human-Ressource-Spezialist*innen schaffen immer wieder zusätzliche Touchpoints, um den Personalbedarf insbesondere im IT-Bereich zu decken.  So nutzen wir jetzt auch die eigenen Mitarbeitenden – derzeit rund 150 – als freiwillige "Jobbotschafter*innen", die in den sozialen Medien und in ihren Communitys über die Arbeit bei Otto berichten und auf freie Stellen hinweisen. Wir haben so in den vergangenen Jahren viele Fachkräfte für uns gewinnen können, denn wer kommuniziert schon glaubwürdiger als die eigenen Mitarbeitenden? Ich könnte mir vorstellen, dass Unternehmen der Buchbranche diesen Ansatz auf Buch-Communitys übertragen könnten. Aber: das muss immer auf freiwilliger Basis geschehen sowie ohne Vorgaben oder Kontrolle.

Zur Person

Martin Frommhold startete seine PR-Laufbahn 1998 im Bank- und Versicherungsbereich inklusive eines Ausflugs in den Berliner Vereinssport. Ab 2002 verantwortete er bei T-Online die Produktkommunikation, später auch die externe Kommunikation. Mitte 2007 wechselte er als Sprecher und Leiter Presse & PR zum Logistikdienstleister Hermes (Otto Group) und baute dort den Kommunikationsbereich neu auf. Seit Mai 2017 leitet er bei OTTO (GmbH & Co KG) die Unternehmenskommunikation. Und sonst so? Vor 53 Jahren in Hannover geboren, Wahl-Hamburger, Fan der eigenen zwei Kinder sowie von Literatur, Kulinarik und automobilen Klassikern.  

Jahrestagung IG Digital

Die Jahrestagung der IG Digital findet dieses Jahr als Auftaktveranstaltung der Buchtage Special Edition im Literaturhaus Frankfurt statt. Der Titel der Veranstaltung lautet: "Fit für 2030: Veränderung erfolgreich gestalten". 

Das Programm

10:00 Uhr

Einlass und Netzwerken

Foyer

10:30 Uhr

Eröffnung durch Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

Lesesaal

10:45 Uhr

Keynote: Sich nicht verändern ist keine Alternative, Martin Frommhold (Leiter Unternehmenskommunikation, Otto)

Lesesaal

11:15 Uhr

Peter Kraus vom Cleff mit einem Update aus dem Verband

Lesesaal

11:30 Uhr

Podiumsdiskussion: Raum für Innovation: So gelingt der Wandel in Ihrem Unternehmen! Best Practices aus der Branche mit Anuschka Albertz (Ravensburger Verlag), Philipp Lindinger (Herder Verlag) und Nadja Mortensen-Lenz (Nextory)

Lesesaal / parallele Session

11:30 Uhr

Impulsvortrag: Gemeinschaftlich durch die digitale Transformation (PG Produktion), Carsten Schwab (Edupartner)

Lesekabinett / parallele Session

12:20 Uhr

Podiumsdiskussion: Die Buchbranche als attraktiver Arbeitgeber: Mit dem Nachwuchs im Gespräch,
mit Annekathrin Müller (Nachwuchs-AG Taskforce Speaker´s Corner), Lisa Eckstein (Vorsitzende JVM) und Tobias Groß (Nachwuchssprecher)

Lesesaal / parallele Session

12:20 Uhr

Impulsvortrag: Eine Lebensversicherung für die Zukunft: der Quick-Check für Innovationsideen (PG Business Development), Eric Bartoletti (Bookwire) und Okke Schlüter (Hochschule der Medien)

Lesekabinett / parallele Session

13:00 Uhr

Mittagspause

Foyer

13:30 Uhr

Podiumsdiskussion: Neue Chancen im Audiomarkt: Paid Podcasts, (Musik-)Plattformen und Audiobites (PG Marktentwicklung und Marketing) mit Tina Jürgens (zebra-audio.net) und Matthias Mundt (Lübbe Audio) zusammen mit Moderator und Podcaster Wolfgang Tischer

Lesesaal / parallele Session

13:30 Uhr

Podiumsdiskussion: Der Buchhandel 2030 – wie werden wir arbeiten? mit Daniel Hagemann (Bücherstuben Hamburg), Manfred Keiper (andere Buchhandlung) und Anja Urbschat (localbook.shop)

Lesekabinett / parallele Session

14:20 Uhr

Kreativitätsbooster: Was können wir tun, um die Buchbranche bis 2030 so richtig an die Wand zu fahren?

Lesesaal

15:00 Uhr

Ende der Veranstaltung