Sortiment steigert seinen Marktanteil

Die offiziellen Zahlen für den Buchmarkt 2022 sind da

5. Juli 2023
von Christina Schulte

Auch im vergangenen Jahr ist die Branche nicht zur Ruhe gekommen. Bei seiner Wirtschaftspressekonferenz am 5. Juli präsentierte der Börsenverein detaillierte Zahlen zum Buchmarkt 2022 – und zog eine Halbjahresbilanz für 2023.

Journalist:innen bei der Wirtschafts-PK des Börsenvereins am 5. Juli 2023

Inflation, Kostensteigerungen, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, Energiekrise, Fachkräftemangel, Kaufzurückhaltung: Diese und weitere Zutaten der Polykrise können die meisten schon fast im Schlaf aufsagen. Keine leichten Zeiten, in denen sich auch die Buchbranche immer wieder aufs Neue bewähren muss. Ob sie das 2022 geschafft hat und wie es um die Entwicklung im ersten Halbjahr 2023 bestellt ist – das hat der Börsenverein am 5. Juli im Haus des Buches in Frankfurt bei seiner Wirtschaftspressekonferenz erläutert.

Laut Verband haben die Folgen der allgemeinen Kaufzurückhaltung den Buchmarkt beeinflusst: Der Gesamt­umsatz der Branche ist im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 1,9 Prozent zurückgegangen. »Wir leben in herausfordernden Zeiten – gesellschaftlich wie wirtschaftlich. Auch die Buchbranche bekommt die Auswirkungen der globalen Krisen zu spüren, behauptet sich aber engagiert«, konstatierte Börsen­vereins-Vorsteherin Karin Schmidt-­Friderichs. 

Karin Schmidt-Friderichs 

Es stimmt uns optimistisch, dass junge Menschen engagierte Buchkäufer:innen sind und sich intensiv mit Buchthemen auseinandersetzen, etwa auf TikTok.

Karin Schmidt-Friderichs

Schließlich böten gerade Bücher in komplexen Zeiten Orientierung, verlässliche Informationen und inspirierende Geschichten. »Die Pandemie, in der sich Verlage, Buchhandlungen und ­Buchlogistiker als ver­lässliche Lieferan­ten von Büchern erwiesen haben, hat sich auf Kaufverhalten und Marktstrukturen ausgewirkt«, bilanzierte Schmidt-­Friderichs in Frankfurt.
 

Sortiment legt zu

Der Gesamtumsatz der Branche bewegte sich 2022 bei 9,44 Milliarden Euro (2021: 9,63 Mil­liarden Euro). Erstmals seit vielen Jahren ist es dem stationären Buchhandel (ohne E-Commerce) gelungen, seinen Marktanteil wieder zu steigern. Dieser kletterte um zwei Prozentpunkte auf 41,9 Prozent. Damit bleibt der Buchhandel vor Ort der größte und wichtigste Vertriebsweg für Bücher und erwirtschaftet einen Umsatz in Höhe von 3,95 Milliarden Euro (plus fünf Prozent im Vergleich zu 2021). Allerdings klafft noch eine deutliche Lücke von 7,9 Prozent zur Vor-Corona-Zeit 2019.

Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, führt das unter anderem darauf zurück, »dass die Pandemie den Prozess der Verödung der Innenstädte beschleunigt hat. Die Lage erholt sich nur langsam oder kaum«, so seine Einschätzung. Die Branche benötige daher tragfähige Konzepte und Initiativen zur Belebung der Frequenz in Städten und Gemeinden.

Der Internetbuchhandel, der während der Pandemie starken Aufwind erfahren hatte, musste im Jahr 2022 Einbußen von 12,6 Prozent hinnehmen. Per Webshops wurden 2,28 Milliarden Euro eingespielt – der Marktanteil des Onlinegeschäfts reduzierte sich um drei Prozentpunkte auf jetzt 24,1 Prozent. Die Marktstuktur entwickelt sich offenbar wieder in Richtung Vor-Corona-­Niveau. Aber: Der Internetbuchhandel profitiert langfristig von der Pandemie, wie der Vergleich zwischen 2022 und 2019 zeigt. In diesem Zeitraum kommt der Onlinehandel auf ein Plus von 22,8  Prozent.

Eine erfreuliche Nachricht: Die Hälfte der Internetumsätze entfällt auf die Shops der Buchhandlungen, die während der Pandemie mehr als doppelt so stark gewachsen sind wie Amazon. Insofern hat auch das Onlinegeschäft im Buchhandel nachhaltig an Bedeutung gewonnen.

Belletristik gefragt

Das Minus im Gesamtmarkt spiegelt sich bei der Entwicklung der Warengruppen wider. Lediglich drei Warengruppen schnitten besser ab als 2021: die Belletristik mit plus 4,4 Prozent, Schule und Lernen mit einem Zuwachs von 2,5 Prozent – und an der Spitze die Reiseliteratur mit plus 16,5 Prozent, die nach der Corona-­Flaute einen besonders hohen Nachholbedarf hatte. Im Dreijahresvergleich zwischen 2022 und 2019 performt die Belletristik mit einem Plus von 8,6 Prozent am besten, gefolgt von Kinder- und Jugendbüchern (plus sechs Prozent).

Auf der Stelle traten im vergangenen Jahr die E-Books auf dem Publikumsmarkt (ohne Schul- und Fachbücher), bei denen der Corona-Effekt wieder abgeklungen ist. Während die Nachfrage 2020 und 2021 vorübergehend gestiegen ist, hat sich 2022 ein leichtes Minus von 0,2 Prozent ergeben – bei einem Umsatzanteil am Gesamtmarkt von sechs Prozent. Unterm Strich haben sich die digitalen Bücher als feste Editionsform ­etabliert, die sich auf niedrigem Niveau eingependelt hat. 

Auch beim Blick auf die Käufer:innen von E-Books zeigt sich ein Rückgang. 2022 kauften drei Millionen Menschen digitale Bücher, im Jahr zuvor waren es noch 3,4 Millionen. Allerdings erwarben die E-Book-Käufer mehr und teurere ­E-Books, sodass der Markt weitgehend stabil geblieben ist. Kaufintensität und Ausgaben pro Käufer:in haben zwischen 2019 und 2022 jeweils um rund 40 Prozent zugenommen.

Mehr Spannung und Bewegung herrscht auf dem Markt für Audiobooks. Der Hörbuchumsatz ist 2022 im Vergleich zum Vorpandemiejahr 2019 um stolze 35,2 Prozent nach oben geklettert, zuletzt zwischen 2021 auf 2022 um 6,6 Prozent. Höhere Einnahmen bleiben den Hörbuchverlagen damit auch nach Corona erhalten. Wachstumstreiber sind ganz klar die digitalen Absatzwege. Via Downloads wurden 2022 im Vergleich zu 2019 61,1 Prozent mehr Erlöse generiert, per Streaming waren es sogar 154,9 Prozent mehr. Audiobooks auf CDs stoßen dagegen auf immer geringeres Interesse: Ihr Umsatz brach im Vorpandemie­vergleich um 53,8 Prozent ein. Somit dominieren die digitalen Kanäle inzwischen das Hörbuchgeschäft: Downloads spielten im vergangenen Jahr 49,3 Prozent des Hörbuchumsatzes ein, Streaming­angebote 37,5 Prozent und CDs 13,3 Prozent der Einnahmen.

Die Anzahl der Käuferinnen und Käufer digitaler Hörbücher hat sich 2022 ebenfalls erhöht: Über Download und Abos wurden 3,4 Millionen Käufer:innen registriert – etwa 200 000 Personen mehr als 2021.
 

Weniger Buchkäufer

In die andere Richtung wies die Entwicklung bei den Buchkäufer:innen insgesamt, deren Zahl weiter gesunken ist. Rund 25,8 Millionen Menschen erwarben im vergangenen Jahr Bücher, das sind ca. 1,4 Millionen weniger als 2021. Die Reichweite von Büchern liegt bei 39 Prozent (2021: 41 Prozent). Auch bei der jungen Zielgruppe, den 16- bis 29-Jährigen, reduziert sich die Zahl der Käufer:innen – allerdings steigen in dieser Altersgruppe die Ausgaben für Bücher sowie die Kauf­intensität kontinuierlich an. Pro Käu­fer:in erwarben die 16- bis 29-Jährigen 2022 durchschnittlich 11,7 Bücher, das sind rund 24 Prozent mehr als 2017. 

Die Ausgaben der 16- bis 29-Jährigen für Lektüre in Buchform stiegen zwischen 2017 und 2022 um etwa acht ­Prozent von 392 Millionen Euro auf 425 Mil­lionen Euro. Anregungen für den Buchkauf findet die junge Zielgruppe beispielsweise in sozialen Medien, die eine wachsende Bedeutung als Impuls­geber haben. Mehr als jeder vierte Euro, der für Bücher ausgegeben wird, ist bei den 16- bis 19-Jährigen von Social ­Media inspiriert (28 Prozent der Aus­gaben). Auch bei den 20- bis 29-Jährigen ist der Einfluss noch groß. 

»Es stimmt uns optimistisch, dass junge Menschen engagierte Buchkäufer:in­nen sind und sich intensiv mit Buch­themen auseinandersetzen, zum Beispiel auf TikTok«, meint Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs. Die Branche sei aktiv dabei, diese Zielgruppe anzusprechen, ­indem sie eine Verbindung zwischen digitalen Formaten und dem Handel vor Ort schaffe. Auch der KulturPass für 18-Jährige biete große Chancen, um junge Menschen für Bücher und Kultur zu be­geistern. Viele Hundert Buchhandlungen seien bereits registriert.

Lesekompetenz stärken

Während ein Teil der jungen Menschen den Buchkonsum intensiviert, nimmt die Zahl der Buchkäufer:innen insgesamt weiter ab, auch bei der jungen Zielgruppe. Dazu meint Peter Kraus vom Cleff: »Beim Buchkauf lässt sich ein Prozess ablesen, den wir auch im Bereich Lesekompetenz deutlich sehen. Diejenigen, die in einem bildungsstarken Umfeld aufwachsen, werden zu Intensivleser:innen; die anderen verfügen über große Lesedefizite und greifen somit seltener oder gar nicht zu Büchern – und die Schere geht immer weiter auf.« 

Kraus vom Cleff fordert, dass Lesekompetenz systematischer und länder­übergreifend gefördert werden muss, »Bildung und Leseförderung gehören an erste Stelle in Deutschland! Daher arbeiten wir zusammen mit der Stiftung ­Lesen, dem Bundesbildungsministerium und weiteren Partnern an einem Nationalen Leseplan.«

Peter Kraus vom Cleff

Lesekompetenz muss systematischer und länderübergreifend gefördert werden, Bildung und Leseförderung gehören an erste Stelle in Deutschland!

Peter Kraus vom Cleff

Erstauflagen konstant

Bei den Erstauflagen hat sich 2022 wenig getan, es kamen 64 278 Erstauflagen auf den Markt (plus 0,4 Prozent), im Jahr zuvor waren es 63 992. Die Verlage hatten zwar unter hohen Papier- und Energiepreisen zu leiden, was jedoch nicht zu Titelreduktionen, sondern zu einer genaueren Auflagenplanung geführt hat. 2021 hatten die Verlage noch auf die Produktionsbremse getreten und die Erstauflagen wurden um 7,5 Prozent reduziert.

Mehr Übersetzungen

Die Anzahl der Übersetzungen an den Erstauflagen hat nach zwei Jahren mit abgeschwächter Tendenz wieder zugenommen: Im Jahr 2022 erschienen insgesamt 9 403 Titel aus anderen Sprachen (2021: 8 703) neu auf dem deutschen Buchmarkt. Der Anteil übersetzter Titel an allen Neuerscheinungen betrug 2022 14,6 Prozent (2021: 13,6 Prozent) und lag höher als in den vergangenen zehn Jahren. Die wichtigste Herkunftssprache war Englisch, gefolgt von Japanisch, das sich aufgrund des Comic- und Mangabooms so gut geschlagen hat. An dritter Stelle lag Französisch.

Lizenzverkauf im Minus

Der Lizenzverkauf ist 2022 spürbar eingeknickt: Deutsche Verlage verkauften mit 6 655 Lizenzen 14,4 Prozent weniger Buchrechte ins Ausland als 2021. Darin sind sehr deutlich die wirtschaftlichen Konsequenzen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu erkennen. 2021 kamen 676 Lizenzabschlüsse deutscher Verlage mit Russland zustande, 2022 ­waren es nur noch 236. Damit rutschte Russ­land, bislang großer Abnehmer – gerade von Kinder- und Jugendbuch­titeln –, von Platz 2 der Lizenznehmer auf Rang 10 ab. Infolge der Null-Covid-Strategie Chinas war auch das Lizenz­geschäft mit diesem Land 2022 noch großen Einschränkungen unterworfen. Die Zahl der Lizenzabschlüsse mit China ging von 1 318 in 2021 auf 825 in 2022 zurück. Damit bleibt China jedoch immer noch auf Platz 1 der wichtigsten Lizenznehmer, gefolgt von ­Italien und Tschechien. 
 

Halbjahresbilanz

Auf der Pressekonferenz wurde auch ein Blick auf die ersten sechs Monate dieses Jahres geworfen. Über alle Absatzwege hinweg hat der Buchhandel von Januar bis Juni 4,1 Prozent mehr eingenommen als in den Vergleichsmonaten 2021. Im Mehrjahresvergleich bewegt sich der Umsatz mit plus einem Prozent knapp über dem ­Niveau von 2019. Deutlich rückläufig ist hingegen der Absatz mit minus 7,9 Prozent. Dafür stieg der von den Käufer:innen für ein Buch bezahlte Durchschnittspreis seit 2019 um rund 9,7 Prozent. 

Im Rückstand gegenüber dem Vorpandemieniveau befindet sich der Buchhandel vor Ort: Hier klafft in den ersten sechs Monaten 2023 eine Lücke von 5,2 Prozent gegenüber demselben Zeitraum 2019. Der Absatz knickte um 14 Prozent ein, die Preise legten um 10,2 Prozent zu.

Verglichen mit dem Vorjahr konnten die Buchhändler:innen vor Ort einen um 6,5 Prozent höheren Umsatz verzeichnen. Die Preise gewannen 4,7 Prozent hinzu, die verkauften Mengen erhöhten sich um 1,8 Prozent. Die zweite Jahreshälfte ist erst wenige Tage alt – und es wird spannend, zu beobachten, was die nächsten Monate für den Buchhandel wohl bringen werden.

Noch mehr Marktdaten finden Sie unter boersenblatt.net, boersenverein.de/buchmarkt sowie ab August in der neuen Ausgabe von »Buch und Buchhandel in Zahlen«.