Reaktionen auf die erste rein digitale Hauptversammlung

Es fehlt das gesprochene Wort

19. November 2020
von Börsenblatt

Die Mitglieder des Börsenvereins trafen sich zur Hauptversammlung. Aber dieses Jahr nicht im Saal, sondern virtuell mithilfe einer Software. Wie war das Erlebnis?

Der 17. November 2020 brachte dem Börsenverein eine Premiere. Im 196. Jahr seines Bestehens führte der Verband erstmals eine Hauptversammlung durch, die rein digital stattfinden musste. Wie nach Premieren üblich, blüht in den Tagen danach das Rezensionswesen: Was ist gut gelungen, was hätte besser laufen können? Dabei zeigt sich ein heterogenes Stimmungsbild, wie eine kleine Umfrage von Börsenblatt online belegt. Inhaltlich gibt es Beifall, technisch eher Buhs.

Ein Punkt, der mehrfach beklagt wird: die fehlende Möglichkeit für Mitglieder, Fragen, Anmerkungen und Kritik mündlich vorzutragen. Der Kasseler Buchhändler Jörg Robbert (Brencher Buchhandlung) sagt: "Für mich war es deprimierend, dass ich mich noch nicht einmal zu Wort melden konnte." Stattdessen waren die Mitglieder gehalten, in einem Chat ihre Diskussionsbeiträge schriftlich zu formulieren. "Das ist unangemessen", findet Robbert.

Für Jürgen Horbach, den früheren Schatzmeister des Verbands, steht fest, dass eine Veranstaltungssoftware – in diesem Fall war die Wahl auf Trippus gefallen – "für Debatten, wie wir sie im Verband zu führen haben, extrem ungeeignet ist". Der Kalenderverleger (Athesia) musste selbst eine unbefriedigende Erfahrung machen: Seine Vorbehalte zum Budget 2021 ("nicht abstimmungsfähig!") seien quasi im digitalen Raum verhallt. Eine kurze Replik, das war’s. "Es kommt einfach kein Gespräch zustande", sagt Horbach. "Noch bevor ich meine Widerrede überhaupt geschrieben hatte, war man schon bei einem anderen Punkt."

Der Stuttgarter Fachverleger Matthias Ulmer (Verlag Eugen Ulmer) erkennt in dem Debattenproblem nicht zuletzt ein satzungsrechtliches Thema. "Das Rederecht der Mitglieder ist in unserer Satzung verankert. Das müssen wir garantieren", fordert Ulmer. Mit der gewählten Technik sei aber die Diskussion im Plenum nicht möglich gewesen. "Ist für dieses Mal noch nicht schlimm, aber das müssen wir für die nächste Versammlung lösen." Dass die Kritik aus der Mitgliedschaft sich "entladen" könne, sei eine für das Vereinsleben besonders wichtige Funktion einer Hauptversammlung.

Inhaltlich hingegen fand Ulmer die Veranstaltung "sehr gelungen". Das Nachwuchsparlament habe ihm besonders gut gefallen: "eine frische Präsentation, auch weil da Dialogelemente spürbar waren – und eine prominente Positionierung auf der Tagesordnung".

Lob kommt ebenfalls von dem Hanauer Buchhändler Dieter Dausien (Buchladen am Freiheitsplatz). Für ihn war die erste digitale Hauptversammlung des Verbands "eine gute Form, die es den Mitgliedern leichter gemacht hat, dabei zu sein und sich zu beteiligen". In der technischen Umsetzung sieht aber auch Dausien noch "Verbesserungsbedarf". Ihm sei lange unklar gewesen, "wie ich mich zu Wort melden kann". Die Reaktion auf Chat-Beiträge habe zu lange gedauert, und überhaupt: "Ich fand es problematisch, wenn man nur schreiben kann und ein Moderator den eigenen Beitrag dann einbringt. Wer sich beteiligen will, muss persönlich sprechen dürfen."

So sieht es auch Jörg Robbert: "Ich finde es immer leichter, etwas zu sagen als etwas zu schreiben. Und wenn schon eine Hauptversammlung stattfindet, dann muss man sich so äußern können, wie man will."