Interview mit dem Sprecherkreis der IG Digital | BOOKBYTES

"Kreativität und Phantasie sind Eigenschaften, die der KI fehlen"

8. Februar 2023
von Michael Roesler-Graichen

Wo ist die Anwendung von KI in der Buchbranche sinnvoll? Wie digital ist der Buchhandel aufgestellt? Was müssen Nachwuchskräfte können? Wie geht es mit dem Digitalen Wissens-Hub weiter? All dies sind Herausforderungen, denen sich die IG Digital in diesem Jahr stellen will. Und dann ist da noch das neue virtuelle Wunderkind Chat GPT.

Sprecherkreis der IG Digital: Hermann Eckel, Carmen Udina und Roland Große Holtforth (v.l.)

Neues Jahr, neue Themen – oder wie sieht es 2023 bei der IG Digital aus?

Carmen Udina: Wir fokussieren uns auf drei wichtige Themen: Künstliche Intelligenz und die Chancen ihrer Anwendung, Digitalisierung im Buchhandel – in Zusammenarbeit mit der IGUS – und Nachwuchsförderung, beispielsweise beim Karrieretag Buch und Medien auf der Leipziger Buchmesse. Dort werden wir einen Slot zum Thema Branchenzukunft bespielen, bei dem es um digitale Kompetenzen und Kenntnisse geht.

Hermann Eckel: Im Prinzip führen wir damit die Themen aus dem letzten Jahr fort, denn diese haben nicht an Bedeutung verloren. An der Nachwuchsförderung werden wir unbedingt dranbleiben, weil sie immer wichtiger wird. KI wird beispielsweise auch beim Digicamp eine große Rolle spielen. Und zum Thema Digitalisierung im Buchhandel haben wir zusammen mit der IGUS eine Webshop-Übersicht erstellt, anhand derer sich Buchhändler:innen über verschiedene Anbieter und Shopsysteme informieren können. Etwa über Webshops, über die man Tickets für Veranstaltungen verkaufen kann – oder Nonbooks wie Honig oder Wein. Kleiner Hinweis am Rande: Wer sein Wissen in diesem Bereich weiter vertiefen will, sollte sich mal die Fortbildung zum E-Commerce-Fachwirt anschauen, die man am mediacampus frankfurt belegen kann.

Die nächstgelegene Veranstaltung ist das eben erwähnte Digicamp – worum wird es dort gehen?

Udina: Da ist die Leitlinie "Verkaufen im Digitalen Zeitalter. Smart Cities, Smart Mobility, Smart Homes". Wir beschäftigen uns mit dem Handel der Zukunft und richten fünf Arbeitsstationen ein, an denen die Branche sich austauschen und neue Entwicklungen im Internet erkunden kann – darunter ChatGPT und andere KI-Anwendungen, interaktive Hörspielrätsel im smarten Auto oder standortbasiertes Storytelling. Die Karten stehen schon zum Verkauf, wer Lust hat, sollte sich also möglichst bald seine sichern.

Stichwort Chat GPT – Wird die KI-Software unser Leben revolutionieren?

Eckel: Es ist schon spannend zu sehen, welche Chancen diese KI bietet. In Zeitungsverlagen werden von der KI beispielsweise schon Pressemeldungen zu Artikeln überarbeitet. Mit Chat GPT kann man übrigens auch Programmcode generieren, auf einem Level, den ein Junior-Programmierer beherrscht.

Udina: Und es gibt natürlich auch in der Buchbranche zahlreiche Anwendungsfelder. Ich denke da etwa an die Zielgruppe Käufer. Da könnte man ChatGPT im Kundenservice einsetzen, zum Beispiel im Reklamationsmanagement. Der Kunde bekäme dann immer die passende Antwort auf seine Frage. Für Verlage wäre die KI in der Fan-Kommunikation interessant. So könnten Leser:innen sich zum Beispiel mit dem Lieblingscharakter eines Buches unterhalten. Ich sehe da ein großes Innovationspotenzial, wie generell in der gesamten Digitalisierung.

Wird man die Chat-KI auch für Buchempfehlungen und Kundenberatung einsetzen können?

Roland Große Holtforth: Ja, die Frage wird nur sein, in welchem Umfang und mit welcher Geschwindigkeit.

Eckel: Damit das funktioniert, kommt es sehr auf die Qualität der Metadaten an, auf die richtige Kategorisierung der Titel, auf aussagekräftige Beschreibungstexte. Auch die Angabe von Daten in der neuen Kategorie Lesemotive hilft da total. Damit die KI sinnvoll auswerten und Querverbindungen herstellen kann, muss alles gut gepflegt sein.

Große Holtforth: Ein Anwendungsbeispiel könnte sein: Wenn ein Kunde in der Buchhandlung nach einer Empfehlung fragt, ist qua Warenwirtschaft hinterlegt, dass er bereits die Titel X, Y und Z bestellt hat. Der oder die Buchhändler:in könnte dann über eine mit dem Warenwirtschaftssystem verbundene KI-Anwendung fünf Titelvorschläge abrufen, die zum Kunden passen, im Laden vorrätig sind und der Buchhandlung eine gute Marge versprechen. Welcher Titel dann tatsächlich empfohlen wird, bleibt natürlich eine buchhändlerische Entscheidung! In ähnlicher Weise könnten KI-Anwendungen auch den Einkaufsprozess von Buchhandlungen selbst unterstützen – auch hier auf der Basis gut gepflegter Kundendaten.

Es ist also ein Gebot der Wirtschaftlichkeit, weniger kreative Aufgaben zumindest in Teilen an Technologien zu delegieren, damit wir uns ums Entscheidende kümmern können: unsere Kundschaft, unsere Kommunikation und die Entwicklung unseres Unternehmens.

Roland Große Holtforth

Die KI könnte also dabei helfen, Zeit und Ressourcen zu sparen?

Große Holtforth: Absolut. Alle Unternehmen haben damit zu kämpfen, dass sie immer mehr und neue Aufgaben bewältigen müssen, dafür aber in der Regel nicht mehr und manchmal sogar weniger Personal zur Verfügung haben. Es ist also ein Gebot der Wirtschaftlichkeit, weniger kreative Aufgaben zumindest in Teilen an Technologien zu delegieren, damit wir uns ums Entscheidende kümmern können: unsere Kundschaft, unsere Kommunikation und die Entwicklung unseres Unternehmens. Ihr Kerngeschäft können KI-Anwendungen Buchhandlungen natürlich nicht abnehmen. Aber es lohnt sich zu überlegen, wobei sie entlasten können, damit das Kerngeschäft auch in Zukunft läuft.

Eckel: Wir müssen uns fragen, wo Wertschöpfung stattfindet, und möglichst viel automatisieren. KI- Anwendungen in der Branche könnten sein: die Kompilierung von Inhalten, die Suche passender Bilder zu Texten in Bildungsmedien – oder auch das Generieren von Romanen, bei dem der Autor die KI füttert und die Rohergebnisse überarbeitet. Ein solches Zusammenspiel von Mensch und Maschine könnte vor allem ein Szenario für Genreliteratur werden.

Udina: "Digitale Chancen in Zeiten knapper Ressourcen" – das sollten wir mehr in den Blick nehmen. Deshalb stellen wir auch die diesjährige IG Digital Jahrestagung am 15. und 16. Juni, die in Kooperation mit der IG Nachhaltigkeit stattfindet, unter dieses Motto. Ich bin gespannt, wie die Zukunft aussehen wird. Vielleicht erscheinen künftig Bücher mit dem Label "mit KI produziert" oder "ohne Verwendung von KI". Das heißt aber nicht, dass der Kreative obsolet ist. Denn Kreativität und Phantasie sind Eigenschaften, die künstlicher Intelligenz fehlen.

Und fließen alle diese Themen über die IG Digital auch in den Digitalen Wissens-Hub des Börsenvereins ein?

Eckel: Wir werden an den Inhalten des Digitalen Wissens-Hubs kontinuierlich mitwirken. Schon beim Hackathon am 9. November 2022 wurden unter Mitarbeit der IG Digital Formate, Themenschwerpunkte und Templates für den Wissens-Hub entwickelt. In den Hub fließen auch Materialien ein, die im vergangenen Jahr erstellt wurden, so unter anderem eine Übersicht zu wertschöpfenden Dienstleistungen im digitalen Zwischenbuchhandel von der Peergroup Digitale Distribution oder ein Tool zum Innovations-Check von der Peergroup Business Development. Über den aktuellen Stand kann man sich auf einer eigenen Webseite des Börsenvereins informieren (Digitaler Wissens-Hub).

Udina: Auch das Webshop-Projekt mit der IGUS wird dort einfließen – und ist ein guter Beleg dafür, dass wir zukünftig noch stärker anwendungsbezogen arbeiten werden. Es geht wirklich um aktive Hilfestellung, durchaus auch für Kolleg*innen ohne große Vorkenntnisse. Auch die Ergebnisse unseres Peergroup-Days am 23. März werden auf den digitalen Wissens-Hub einzahlen. Thematisch stehen beim Peergoup Day die Chancen und Perspektiven des digitalen Publizierens im Mittelpunkt, von Content-Entwicklung bis zu neuen Geschäftsmodellen.

Kommende Veranstaltungen der IG Digital

23. März, 10 Uhr – 17.30 Uhr: Peergroup-Day der IG Digital
Von Content-Entwicklung bis zu neuen Geschäftsmodellen – beim Peergroup-Day der IG Digital diskutiert die Buchbranche am 23. März 2023 Perspektiven und Möglichkeiten des digitalen Publizierens.
Ort: WERK 1, Am Kartoffelgarten 14, 81671 München
Teilnahme: kostenlos

24. März, 9 Uhr – 15 Uhr: DigiCamp der IG Digital
Unter dem Motto "Verkaufen im Digitalen Zeitalter: Smart Cities, Smart Mobility, Smart Homes" diskutieren wir auf dem diesjährigen DigiCamp Chancen für die Buchbranche.
Ort: WERK 1, Am Kartoffelgarten 14, 81671 München
Teilnahme: Reguläres Ticket 49€, Nachwuchsticket 24€ (Der Ticketverkauf läuft.)

15.–16. Juni: Jahrestagung der IG Digital in Zusammenarbeit mit der IG Nachhaltigkeit
Digitale Chancen in Zeiten knapper Ressourcen
Ort: Evangelische Akademie, Römerberg 9, 60311 Frankfurt a. M.
Nähere Informationen folgen.