Böv-Fokustage: Interview mit Nadja Kneissler

"Nachhaltigkeit nicht aus den Augen verlieren"

15. Mai 2024
von Michael Roesler-Graichen

Bei den Böv-Fokustagen am 6. und 7. Juni tun sich in diesem Jahr IG Digital, IG Nachhaltigkeit und IG Ratgeber zusammen. Nadja Kneissler von der IG Nachhaltigkeit wirft vorab einen Blick auf das Programm der Tagung und was Verlage in Sachen Nachhaltigkeit erwartet.

Nadja Kneissler, Vorsitzende des Ausschusses für Verlage (VA)

Welches Thema brennt der Buchbranche gerade besonders auf den Nägeln?

Da steht das Thema KI klar auf Platz 1  - weshalb ich mich sehr über unsere gemeinsame Jahrestagung freue. Wir dürfen das Thema Nachhaltigkeit  aber auf keinen Fall aus den Augen verlieren – auch wenn es momentan bei vielen gedanklich eher auf Platz 2 steht. Wenn wir als Buchbranche bis 2030 das Klimaziel 65% Reduktion der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 erreichen wollen, das Deutschland sich vorgenommen hat, müssen wir jetzt dringend handeln. Ein Meilenstein wird sein, dass große Unternehmen über das Jahr 2025 erstmals nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU berichten müssen – Nachhaltigkeit mit den drei Aspekten Ökologie, Soziales und Governance (ESG) wird damit Teil des Lageberichts. 

Die großen Unternehmen in der Branche sind da gut vorbereitet. Kleine Unternehmen werden vorerst nicht berichtspflichtig – aber sie sollten trotzdem unbedingt Daten zur Nachhaltigkeit ihres Unternehmens erfassen und dokumentieren und sich klare, kommunizierbare und überprüfbare Ziele setzen. Denn wer berichtspflichtige, große Buchhandelsketten und Onlineplattformen beliefert oder Ausschreibungen der öffentlichen Hand bedient, muss zukünftig mit detaillierten Nachfragen zu Nachhaltigkeits-KPIs rechnen – und die Antworten auf diese Fragen schüttelt man nicht einfach mal so aus dem Ärmel, wenn man nicht vorbereitet ist.

Die Nachhaltigkeitsthemen werden ja gerade in viele Gesetze und Verordnungen verpackt. Ein weiterer Punkt, den wir auch auf der Tagung besprechen werden, ist deshalb die Frage, was die neue Entwaldungverordnung der EU für uns bedeutet. Sie verlangt ab Dezember 2024 den Nachweis, dass für die Herstellung unserer Produkte kein Holz aus Abholzungsgebieten eingesetzt wurde, und sie droht mit Geldstrafen.

Gibt es weitere Schwerpunkte auf der Jahrestagung?

Nadja Kneissler: Wir haben zwei ganz besondere Impulsgeber eingeladen, die weit über den Tellerrand unserer Branche hinausblicken: zum einen Professor Günther Bachmann, der fast 20 Jahre Generalsekretär des Rats für Nachhaltige Entwicklung war – dieser berät die Bundesregierung in Nachhaltigkeitsfragen. Er wird über das Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeit und Kulturbetrieb sprechen – passend zu einer Branche mit großem Wirkungskreis. Zum anderen konnten wir Daniel Schmitz-Remberg gewinnen, der die These vertritt: „Der Klimawandel ist schon da – wir müssen uns jetzt an die neuen Bedingungen anpassen“. Ich bin gespannt, was er der Buchbranche empfehlen wird. Ein weiterer Vortrag der Tessloff-Verlegerin Katja Meinecke-Meurer beschäftigt sich mit der Frage, wie man die Aktivitäten des eigenen Unternehmens so bewerten und steuern kann, dass sie dem 1,5-Grad-Pfad der Pariser Klimakonvention entsprechen.

Wie weit ist die Zusammenarbeit zwischen dem Börsenverein und dem Projekt der Agentur ORCA vorangeschritten?

Nadja Kneissler: Wir haben über ein Thema, das ORCA geprüft hat, vor kurzem in unserem Format „Die IG Nachhaltigkeit fragt nach“ informiert, in dem wir regelmäßig Schwerpunktthemen beleuchten. Dabei ging es diesmal um die Frage, wie sich der CO2-Fußabdruck gedruckter und digitaler Vorschauen unterscheidet.  Wenn die Server mit erneuerbarer Energie betrieben werden und die Endgeräte der Nutzenden auch, gewinnt die digitale Vorschau deutlich.  Im Zuge der digitalen Transformation muss man sich  dennoch auch immer wieder fragen, wie groß der digitale Footprint jeweils ist. Denn für neue Technologien, etwa für das Training Künstlicher Intelligenzen, braucht man immer größere Serverkapazitäten. Zur Zeit verbrauchen Rechenzentren rund 5% des weltweiten Energieverbrauchs – das könnte aber noch deutlich ansteigen. -deshalb wird auch schon an energieeffizienteren KI-Modellen geforscht. Hier berühren sich das Thema KI und Nachhaltigkeit ganz direkt – genau wie auf unserer gemeinsamen Tagung.

Was halten Sie von dem kombinierten Format, mit den drei IGs gemeinsam die Böv-Fokustage gestalten?

Nadja Kneissler: Ich finde es spannend, weil die Teilnehmer:innen zwischen den Themenfeldern switchen können. Das ist für alle eine echte Bereicherung, und die Themen ergänzen sich sehr gut. Außerdem hoffe ich sehr, dass die Bandbreite von KI über Nachhaltigkeit bis zu Ratgebern so interessant ist, dass sich viele Mitglieder des Börsenvereins dafür auf den Weg nach Frankfurt machen oder nach der Fachausschuss-Tagung einfach noch dableiben.

Das Programm der Böv-Fokustage finden Sie hier: Böv-Fokustage