BOOKBYTES re:publica 2021

Qualitätsmesslatte für digitale Veranstaltungen

26. Mai 2021
von Detlef Bluhm

Wie schon im vergangenen Jahr fand die re:publica auch diesmal als rein digitale Konferenz statt. Unter dem Motto IN THE MEAN TIME. Was war – im Unterschied zu ihren analogen Ausgaben – anders, was war neu? Und warum hat sie dennoch Spaß gemacht? Detlef Bluhm über "seine" re:publica. 

Nun muss ich vorausschicken, dass ich die erste digitale re:publica im vergangenen Jahr nicht besuchen konnte. Die diesjährige re:publica war für mich also die digitale Premiere der Konferenz. Dabei sind mir ein paar Dinge aufgefallen, die ich bemerkenswert finde.

 

Die Gesellschaftskonferenz

Dass sich die 2007 als Blogger-Konferenz gegründete re:publica in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem Treffen entwickelt hat, in dem faktisch alle gesellschaftspolitisch relevanten Fragen der Gegenwart thematisiert werden, ist schon oft angemerkt worden. Die Veranstalter sprechen heute ja selbst von einer »Gesellschaftskonferenz«.

Exemplarisch für diesen Anspruch stand das Gespräch, das Markus Beckedahl mit Bijan Moini (Vorstand der Stiftung Jeder Mensch e.V.) führte. Darin ging es um den von Ferdinand von Schirach angestoßenen Vorschlag, die am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Charta der Grundrechte der Europäischen Union um sechs Artikel zu ergänzen. Bijan Moini hat Beckedahls Fragen mit nahezu chirurgischer Präzision beantwortet und alle sechs vorgeschlagenen Artikel ausführlich nachvollziehbar begründet. Da hier der Platz zu näheren Erläuterungen nicht ausreicht, sei auf den Talk selbst verwiesen. Der wird in den kommenden Wochen (wie alle Sessions der re:publica 2021) auf dem YouTube-Kanal der re:publica abrufbar sein. 

Kurze Sessions, kompakte Präsentation

Im Unterschied zu den analogen Ausgaben der re:publica konnte man »nur« zwischen drei Bühnen (Kanälen) wählen, deren Sessions parallel abliefen. Vor allem aber: Die Sessions waren wesentlich kürzer, manche dauerten lediglich fünf oder zehn Minuten, wenige eine halbe Stunde. Die Sprecherinnen und Sprecher mussten deshalb ihre Inhalte sehr kompakt präsentieren. Den meisten ist das hervorragend gelungen. (Einige Sessions mussten aus coronabedingten Gründen vorproduziert werden.)

Brillant war beispielsweise die zehnminütige Video-Animation von Nushin Yazdani über das Diskriminierungspotential von Machine-Learning-Systemen. Beeindruckend auch, wie Michael Benjamin Strecker in nur zwölf Minuten erklärte wie Künstliche Intelligenz funktioniert und warum ihre Anwendungen reguliert werden müssen.

Zwischen den Sessions gab es kleine Einspielungen von Partnern wie Deutschlandradio Nova, der Berliner Stadtreinigung, der Lit.COLOGNE, Microsoft, SAP usw. usw. In der Summe entstand durch diesen Mix von kurzen Sessions und verschiedenen anderen Einspielungen auf drei Kanälen ein ungeheuer abwechslungsreiches und spannendes Gesamtprogramm, das Langeweile oder Erschöpfung nicht aufkommen ließ – auch wenn einem nach fast sechs Stunden am Rechner der Kopf ein wenig brummte.

Qualitätsmesslatte für digitale Events

So ist dem Mitbegründer der re:publica Johnny Häusler vorbehaltlos zuzustimmen, wenn er in einer Pressemitteilung erklärte: »Ich glaube, die re:publica hat mit der rp21 die Qualitätsmesslatte für digitale Events neu gesetzt. Und zwar sehr weit oben.«

Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeiten eigene Gesprächsrunden aufzumachen, sich zu vernetzen und die Bedienungsfreundlichkeit des Konferenz-Tools. Im Off Stage-Programm konnte man sich zahlreiche Angebote anschauen, die nicht von der re:publica kuratiert worden sind.

Irritierend fand ich allerdings Johnny Häuslers Bemerkung beim Opening Media Convention Berlin @ re:publica 2021 zum Beginn der Konferenz: »Wir haben uns Mühe gegeben, dass wir Euch so wenig Bücherregale wie möglich zeigen.« Was immer Johnny Häusler mit der jedenfalls für mich kryptischen Bemerkung zum Ausdruck bringen wollte wurde nicht klar. Vielleicht ist sich das Team der re:publica bei der Bewertung der Rolle des Buches für die Weiterentwicklung einer kritischen demokratischen Gesellschaft nicht einig. Trotzdem spielte das Buch auf dieser re:publica eine herausragende Rolle. Die Moderatorinnen Julia Kloiber und Geraldine de Bastion hatten einen beeindruckenden Bücherstapel hübsch auf dem Beistelltisch in Szene gesetzt und darauf verwiesen, dass auf dieser re:publica sehr viele Autorinnen und Autoren zu Gast sind. Tatsächlich bezogen sich viele Sessions auf die aktuellen Bücher der Vortragenden. Und in einigen Wohn- und Arbeitszimmern der Vortragenden waren schließlich doch teils imposante Bücherregale zu sehen.

Sascha Lobo beklagt digitales Defizit im Bildungsbereich

Schließlich sei noch auf den unverzichtbaren Vortrag von Sascha Lobo verwiesen, der sich ebenfalls auf 30 Minuten beschränkte: »Zur digitalen Lage der Nation. Die fünf Digitallehren aus Corona«. In seiner unnachahmlichen Bissigkeit demontierte er die digitalen Versprechungen der Bundesregierung und der Kulturministerkonferenz, beklagte das digitale Defizit im Bildungsbereich und viele andere Verirrungen und Versäumnisse, die (leider erst) durch die Pandemie einer breiteren Öffentlichkeit aufgestoßen sind. Zum Schluss setzte er sich in einem von ihm so genannten Bonus-Track so kämpferisch wie analytisch vehement gegen jede Art von Antisemitismus ein. Dieser Votrag ist schon jetzt hier auf YouTube zu sehen