Gastspiel von Karin Schmidt-Friderichs

Black Stories Matter

14. Oktober 2020
von Börsenblatt

Welches sind unsere Geschichten? Für Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs gehört zur Vielfalt auch die nicht-weiße Sicht derer, die Deutschland bunter und reicher machen. Gut, dass das Thema auf der Buchmesse eine Bühne hat!

Wir müssen reden!« – Das riefen wir, die zwischen 1960 und 1970 Geborenen unseren durch NS- und Nachkriegserfahrungen verstummten Eltern zu. Wir forderten das Gespräch, wir forderten die Aufarbeitung, wir forderten eine andere Weltordnung. In diese Zeit fällt nicht zufällig die Gründung progressiver Verlage und Buchhandlungen, das Erscheinen revolutionärer Titel und die Entstehung von Lehrstühlen sozialkritischer Studiengänge. Vielleicht hat 1968 
keine neue Weltordnung hervorgebracht; die Welt verändert haben diese Jahre schon, zumindest unsere westliche weiße Welt. Wir begannen, von den Grenzen des Wachstums zu sprechen, von Ökologie und Gleichberechtigung. 
Heute möchte ich meiner Generation empfehlen: Wir sollten zuhören.

Es gibt neben unserer Sicht, unserer Geschichte, unseren Geschichten andere Wahrnehmungen, andere Wahrheiten. Andere Geschichten – und ja, es gibt auch eine andere Geschich­te. Die kennen wir nicht, weil sie nicht in unseren 
Geschichtsbüchern steht. Wir kennen diese Geschichte nicht, obwohl andere sie erlebt und geschrieben haben, die genauso deutsch sind wie wir. Die hier leben und hier geboren sind, die hier arbeiten und sich hier hingehörig fühlen, beim Small Talk aber als Erstes gefragt werden, wo sie herkommen. Und wenn sie antworten, »aus Frankfurt«, dann insistiert das Gegenüber, »nein, ursprünglich«.
Ich spreche von Schwarzen und People of Color, BPoC, oder, ergänzt um Indigene, BIPoC. 

Seit einem knappen Jahr versuche ich zu verstehen, wie die Welt, in der ich lebe, von BPoC erlebt wird, und je mehr ich lese, desto unsicherer werde ich. Ich spreche oft von Vielfalt und meinte damit den Reichtum dieser Branche an großen und kleinen, eher am Mainstream orientierten und sehr spitz positionierten Buchhandlungen und Verlagen. 

Seit ich versuche zu verstehen, wie Schwarze und PoC Deutschland erleben, das Land, das sie bunter und reicher machen, glaube ich, zu Vielfalt gehört explizit auch die nicht-weiße Sicht. Zur Geschichte dieses Landes gehören auch die Geschichten schwarzer Menschen und PoC. Je mehr ich lese, desto größer scheinen mir nicht nur meine diesbezüglichen Bildungslücken. 
 

Heute möchte ich meiner Generation empfehlen: Wir sollten zuhören.

Karin Schmidt-Friderichs

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels setzt sich mit dem Friedenspreis sowie dem Engagement für die Freiheit des Wortes und die Meinungsfreiheit konsequent auch für gesellschaftliche Themen ein. Das ist gut. Denn der Börsenverein ist weit mehr als ein Wirtschaftsverband, der die Interessen von Unternehmen vertritt. Er ist integraler Bestandteil der Kultur dieses Landes. Einer Kultur der Vielfalt und des Miteinanders in Freiheit und Respekt. 

Deshalb freue ich mich, dass ins Programm der digitalen Frankfurter Buchmesse ein Thema Eingang gefunden hat, das mir – neben allem Corona-die-Stirn-Bieten – besonders am Herzen liegt: Black Stories Matter. Die Kunstwissenschaftlerin Mahret Kupka, Beiratsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), hat sich auf die Suche begeben. Sie versucht, Begriffe zu finden, wo wir noch keine haben. Sie traf Menschen, die Deutschland aus einem anderen Augenwinkel sehen. Sie stellt Fragen, auch wenn sie ahnt, wir haben die Antworten noch (!) nicht. Mit ihr zu sprechen hat die Unsicherheit, die ich empfinde, seit ich meine weißen Gewissheiten infrage stelle, nicht gemindert. Aber es hat mich darin bestärkt, mehr wissen zu wollen. Besser zuzuhören.
 

Mehr zu Signals of Hope