Kolumne von Martina Bergmann

Dann mach doch, was Du willst

10. Februar 2022
von Börsenblatt

Martina Bergmann hat ihrer Mitarbeiterin freie Bahn gelassen - woraufhin ihre Buchhandlung in Borgholzhausen nun weniger in Rot und mehr in pudrigen Pastellfarben gehalten ist, umgezogene Tische und Warengruppen inklusive. Was passiert, wenn man andere mal machen lässt. 

Junge Erwachsene haben, finde ich, das Recht ein bisschen zu spinnen. Einfach mal was zu riskieren, vielleicht auch vor die Wand zu laufen. Ich bin zwischen 20 und 30 sechsmal umgezogen, habe in drei Ländern studiert und gefühlt 28 Jobs gehabt. No regrets. Zwei wahnsinnig öde Corona-Jahre sind vielleicht auch deshalb emotional einigermaßen schadensfrei an mir vorbeigegangen, weil ich nicht den Eindruck hatte, ich verpasse etwas. Ich nehme im Notfall vom Vorrat der Erinnerungen, was ich gerade brauche. 

Ich schenke meiner Mitarbeiterin diesen herrlichen Satz von meinem ehemaligen Ausbilder. Ich holte also Luft und sagte: "Mach doch mit dem Laden, was Du willst." Dann verzog ich mich ins Büro.

Aber ich habe hier junge Erwachsene um mich herum, die kommen nicht vom Fleck. Die sitzen in ihren Kinderzimmern in Ostwestfalen, denn wohin sollten sie umziehen? Welche Reisen könnten sie unternehmen, welche Praktika absolvieren, wo wäre der Ort, sich auszuprobieren? Ein Studium in Zoom ist nicht dasselbe wie in echt, mit komischem Essen in der Mensa und Automatenkaffee, der den Magen verätzt. Was tun mit dieser Generation, der nun schon zwei Jahre Jugendlichkeit vorenthalten worden sind? Die das vielleicht in einem erschöpften und weniger friedlichen Europa auch nicht werden nachholen können?

Mein Ausbilder fiel mir ein, Eckhard Kloos bei Rowohlt. Ich bewundere für immer seine tief innerliche Ruhe. Das Grundvergnügen an der Welt, am Essen, die Amüsiertheit über verrückte junge Erwachsene. Er sagte einmal, der Zusammenhang ist mir entfallen: "Dann mach doch einfach, was Du willst." Ich dachte, bestimmt werde ich niemals so gelassen; im Leben nicht. Ich kann auch nicht alle Kommiliton:innen vor der Tristesse in Zoom bewahren. Aber ich schenke meiner Mitarbeiterin diesen herrlichen Satz von Eckhard. Ich holte also Luft und sagte: "Mach doch mit dem Laden, was Du willst." Dann verzog ich mich ins Büro.

Wenn die Mitarbeiterin den Laden umräumt

Sie freute sich, begann zu räumen und zu schieben. Tische wechselten den Ort, Warengruppen zogen auch um. Einige Bücher, mit denen ich mich sehr wohl fühle, fuhren zu mir nach Hause. Andere, die stiefmütterlich in Ecken geschoben worden waren, sahen auf einmal das Licht. Sie stellte zu den Kochbüchern Servietten, baute kleine Geschenk-Arrangements; sie tat alles Mögliche, was ihr theoretisch ein Seminar hätte vermitteln können. Sie tat das aber nach eigener Überlegung und nicht zum Schaden der Kasse.

Ich saß im Hintergrund und dachte darüber nach, ob ich vielleicht schon bei fünfzig 50 der herrlichen Gelassenheit des Ausbilders angekommen wäre. Dann die Nagelprobe. Es ist ja gar kein Geheimnis, dass ich Rot für die wichtigste aller Farben halte. Wir haben einen maßgefertigten Tresen in Rot, auch Fensterbänke, und in den Tischdecken ist zumindest nie nicht Rot enthalten. Ich bin eher tolerant, alle anderen kräftigen Farben betreffend. Leuchtendes Gelb, Tintenblau, Grün wie Gras im ersten Frühling.

Hier hinten, bei mir im Büro, leuchten weiter die Grundfarben, als hätte ich sie mit Wachsmalkreiden eigens aufgetragen. Die Mitarbeiterin leuchtet aber auch, und das ist wichtiger als ein paar alte Gewohnheiten von mir.

Aber diese Generation, die ich ja gerne unterstützen möchte, diese Generation liebt Pastell. Pudertöne und Halbfarben, die auf mich, wenn überhaupt, sedierend wirken. Puschelige Schleifen, sanft irisierende Stoffe, gern auch leichtes Grau und sanftes Beige. Es gibt Geschenkartikel sonder Zahl, die so beschaffen sind, Bücher mit Covern, die das ergänzen. Wenn ich überlege, fällt mir sicher ein pastellgemäßer Romaninhalt ein. Bei den Kochbüchern: Bowls, Häppchen, lauter Kleinigkeiten. In einem Wort: Schauderhaft!

Die Mitarbeiterin, Sie ahnen es, liebt natürlich genau all das. Und sie hatte von mir nun mal den Zaubersatz erhalten, der lautet: "Dann mach doch, was Du willst." Es war eine Herausforderung; ich gebe es zu. Wir konnten uns dann einigen, dass sie den halben Laden entfärbt, meinetwegen auch fensterseitig. Hier hinten, bei mir im Büro, leuchten weiter die Grundfarben, als hätte ich sie mit Wachsmalkreiden eigens aufgetragen. Die Mitarbeiterin leuchtet aber auch, und das ist wichtiger als ein paar alte Gewohnheiten von mir.