Ukraine-Krieg: Russische Bücher im Buchhandel

"Das hat schon etwas von einer Hexenjagd"

10. März 2022
von Börsenblatt

Anfeindungen gegen russische Menschen in Deutschland, Boykottaufrufe gegen russische Bücher: Wie gehen Buchhandlungen in dieser hochbrisanten Lage mit Literatur aus Russland um? Und wie reagieren Kunden? Fünf Antworten aus dem Sortiment.

Robert Duchstein

Wir sollten die Brücken in andere Kulturräume nicht einreißen.

Robert Duchstein, Buchhandlung Reuffel, Koblenz:

„Wir verfolgen den Krieg in der Ukraine mit sehr großer Sorge. Es geht um die Auswirkungen auf die Welt und unsere Gesellschaft, aber auch um den interkulturellen Austausch, der uns als Buchhandlung sehr wichtig ist. Dazu gab es von uns gleich zu Beginn des Krieges ein klares Statement auf unserem Instagram-Kanal, in dem ich den Angriffskrieg scharf verurteilt habe.

Kundenproteste wegen russischer Autorinnen in unserem Sortiment gab es bislang nicht. Wir werden unser Sortiment auch nicht ändern. Es ist eine absurde Forderung, jetzt die Bücher russischer Autoren aus dem Sortiment zu nehmen. Wir sollten nicht die Brücken in andere Kulturräume einreißen. Es gibt andere Wege, um sich gegen diesen Krieg zu engagieren.

Buchhandlungen sind auch nicht der Ort der Zensur, dafür sind die Gerichte zuständig. Wenn es Autoren gibt, die Putin und seinen Angriffskrieg verteidigen, würden wir diese zwar nicht in unserer Buchhandlung ausstellen. Aber wenn Kunden diese Titel nachfragen sollten, könnten sie diese weiter bei uns kaufen, solange sie nicht verboten sind. Aktuell gibt es bei uns on- und offline Zusammenstellungen zum Thema, wie zum Beispiel Büchertische.“

Wir haben in der Buchhandlung ein Fenster zum Thema Frieden gestaltet.

Joachim Wrensch, Buchhandlung Graff, Braunschweig:

„Es gibt bei uns keine Proteste von Kunden, weil wir Bücher von russischen Autoren in unserem Sortiment haben. Ich würde mich auch dagegen verwehren, dass wir solche Bücher nicht mehr verkaufen dürfen. Es ist nicht der Krieg der Russen gegen die Ukraine, sondern der Krieg Putins.

Die überwiegende Mehrheit der Menschen tritt für den Frieden ein, wenn man ihnen das erlaubt. Wir haben in der Buchhandlung ein Fenster zum Thema Frieden gestaltet und es gibt auch einen entsprechenden Büchertisch. Dazu kommt ein separater Tisch zu Russland. Wir sammeln mit den Mitarbeitern Spenden und jede dieser Spenden wird vom Unternehmen noch einmal verdoppelt.“

Es gibt auch Russen, die sich im Widerstand gegen Putin und den Krieg engagieren.

Ilse Wierny, Literarische Buchhandlung Ilse Wierny, Erlangen:

„Da gab es bei uns bislang überhaupt keine Probleme oder Beschwerden. Wir führen in unserem Sortiment russische Klassiker und moderne Klassiker aus Russland. Die haben doch nichts mit dem aktuellen Geschehen zu tun!

Man darf solche Autoren nicht rückwirkend bestrafen und man muss auch klar unterscheiden zwischen Putin und den Menschen, die sich zu ihm bekennen, und den Menschen, die auf Abstand zu ihm gehen. Es gibt auch Russen, die sich im Widerstand gegen Putin und den Krieg engagieren.

Auf spezielle Tische zum Ukraine-Krieg verzichte ich, weil mich das Thema persönlich sehr belastet und ich das nicht auch noch optisch verstärken möchte.“

Russische Bücher jetzt auszusortieren - das wäre der komplett falsche Weg.

Stefan Bellin, Das internationale Buch, Potsdam:

„Natürlich verkaufen wir auch weiter russische Autoren, die man doch nicht in Sippenhaft nehmen kann. Wir haben außerdem auch russische Kunden, die hier leben - ebenso wie Italiener, Spanier oder Franzosen.

Russische Bücher jetzt auszusortieren, wäre der komplett falsche Weg. Das, was in der Ukraine praktisch vor der Haustür passiert, hätte niemand von uns für möglich gehalten. Wir bekommen hier auch mit, wie Menschen, die ursprünglich aus der Ukraine oder Russland stammen, die Situation jetzt hier erleben - in der die Spannungen zunehmen.

Zu uns kommen zudem Deutsche, die geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufgenommen haben und nun gerade für Kinder und ältere Menschen Bücher in der Landessprache suchen - die aber leider hier nicht bestellbar sind.

Oft kann man mit russischsprachigen Büchern aushelfen und die Jüngeren können fast alle Englisch. Spezielle Büchertische und Spendenaktion zum Thema machen wir nicht, da wir die schlimmen Geschehnisse nicht für uns instrumentalisieren möchten."

Ute Hentschel

Es geht um das Buch selbst und um die Einstellung des Autors zu Krieg und Frieden.

Ute Hentschel, Buchhandlung Hentschel, Burscheid:

„Solche Forderungen gehen überhaupt nicht, ich kann doch jetzt nicht Autoren wie Dostojewski aus dem Regal werfen. Das sind doch Klassiker und russische Intellektuelle sind ja oft selbst gegen den Krieg. Das hat schon etwas von einer Hexenjagd.

Ich selbst achte auch nicht darauf, wo ein Autor herkommt. Das spielt bei einem literarischen Text keine Rolle. Es geht um das Buch selbst und um die Einstellung des Autors zu Krieg und Frieden. Wir haben Kinderbücher, die jungen Menschen Dinge wie Krieg und Armut erklären - und jetzt sehr gefragt sind. Eigene Büchertische zum Thema Ukraine haben wir nicht, aber ein gutes Sachbuchsortiment, in dem Menschen Antworten auf ihre Fragen finden können.“