Exklusives Interview mit Thalia-Chef Michael Busch

„Eine Diskussion über Rabatte zu führen ist absurd“

20. Oktober 2021
von Christina Schulte und Torsten Casimir

Thalia-Chef Michael Busch über die Konditionendebatte, einen „Offenbarungseid der Branchenlogistik“, die zu niedrigen Buchpreise – und einen stationären Handel, der niemals stirbt.

Zurzeit führen die Buchhändler wieder Jahresgespräche mit den Verlagen. Für Ihre hohen Konditionenforderungen ernten Sie viel Kritik aus der Branche …
Busch: Es ist eine absurde Debatte, die hier geführt wird. Das Preisbindungsgesetz setzt keine Obergrenze bei Konditionen. Wer etwas anderes behauptet, lügt. Es gibt keine 50-Prozent-Grenze und auch keine andere Obergrenze. Das Preisbindungsgesetz hat den Endpreis fixiert, das war das, was uns allen als Branche wichtig war. Das ist eine gute Sache, dazu stehen wir auch.

Würden Sie, mit anderen Worten, den Paragrafen 6.3. am liebsten streichen?
Busch: Der ganze Paragraf 6 ist, denke ich, überholt. Das Preisbindungsgesetz kommt ohne den Paragrafen 6 aus – schauen Sie doch einmal nach Österreich. Es steht im Übrigen im Preisbindungsgesetz auch nicht drin, wie groß die Spanne zwischen kleinen und großen Buchhändlern sein darf. Eine Diskussion über Rabatte zu führen, ist unsinnig. Wir sind in einer Marktwirtschaft tätig.

Wie beurteilen Sie die Aktivitäten, die der sogenannte Runde Tisch in der Frage der Rabattspreizung gestartet hat?
Busch: Was uns bei Thalia sehr beschäftigt, ist die Rolle und Positionierung des Börsenvereins. Wir vermissen eine neutrale Position und sehen zunehmend unsere Interessen und die unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vital bedroht. Das ist eine ähnliche Situation, wie wir sie zu Beginn des Jahres bei den Corona-Hilfen hatten.

Ihre Konditionenerfolge, die Sie heraushandeln, zahlen im Endeffekt andere. Das ist eben auch Teil der Konditionendebatte.
Busch: Jeder Buchhändler hätte die Möglichkeit, sich zum Beispiel einer Genossenschaft wie eBuch anzuschließen, um Konditionenvorteile, bessere Logistik, bessere IT zu haben. Diesen Weg gehen viele nicht. Aber wenn man bewusst darauf verzichtet, dann muss sich doch nicht der dafür entschuldigen, der aktiv wird.

Es steht im Übrigen im Preisbindungsgesetz auch nicht drin, wie groß die Spanne zwischen kleinen und großen Buchhändlern sein darf. Wir sind in einer Marktwirtschaft tätig.

Michael Busch

Die Logistikkosten in der Branche steigen, der Zwischenbuchhandel erhöht die Preise. Hier und da hakt es in der Lieferkette. Inwiefern ist Thalia davon betroffen?
Busch: Im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft leistet die Branchenlogistik gerade einen Offenbarungseid. Es wird von Kontingentierungen bei den Barsortimenten für Weihnachten gesprochen. Es wird darüber gesprochen, dass die Transportpreise massiv nach oben gehen und wir beobachten, wie im Moment die Qualität der Anlieferungen über die Bücherwagendienste in unseren Buchhandlungen ist. Das ist eine schwierige Situation, wenn die Logistiker einerseits eine besondere Rolle in der Branche für sich beanspruchen und sie dann andererseits nicht mehr in der Lage sind, sie auszufüllen.

Es kommen einige Faktoren zusammen wie gestiegene Energiekosten oder Personalmangel. Können Sie die Schwierigkeiten nicht nachvollziehen?
Busch: Nein, ich mache ja auch meine Läden nicht zu wegen Personalmangel oder Sonstigem. Es gibt in der Regel Lösungen für etwas, wenn man sich früh genug Gedanken darüber macht. Und dass es zu gewissen Engpässen kommt, das ist nicht erst seit heute klar. Wir haben beispielsweise unsere Non-Books in Asien viel früher bestellt als sonst, sodass sie pünktlich zum Weihnachtsgeschäft in den Buchhandlungen sind.

Inwiefern ist Thalia von logistischen Unsicherheiten betroffen?
Busch: Erst einmal können wir auf unsere eigene große Logistik vertrauen. Trotzdem müssen wir uns intensiv damit beschäftigen, weitere eigene Logistikmöglichkeiten auszuloten. Zum Beispiel konnte unsere Lagerkapazitäten in Hörselgau erhöht werden, indem wir in der Nähe ein weiteres großes Lager angemietet haben, oder wir haben die Remissionen ausgelagert. Was unsere hauseigene Logistik im Moment leistet, ist atemberaubend, sonst hätten wir auch unser großes E-Commerce-Wachstum nicht stemmen können.

Machen Sie bezüglich des Offenbarungseids der Branchenlogistiker Unterschiede?
Busch: Nein, hier geht es nicht um einzelnen Namen. Die Details müssen immer zwischen den Beteiligten besprochen werden. In den letzten Monaten erleben wir in unserer Branche eine Kultur, bei der eher über jemanden als mit jemandem gesprochen wird. Diese Kultur möchte ich nicht pflegen. Wir reden also mit unseren Geschäftspartnern und versuchen, eine Lösung für die Probleme zu finden. Aber: Der Zustand, der im Moment herrscht, ist nicht gut.

Im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft leistet die Branchenlogistik gerade einen Offenbarungseid.

Michael Busch

Um Luft in die enge Kostenstruktur zu bringen, sind höhere Bücherpreise der beste Weg. Warum schaffen Sie es nicht, die Verlage in großem Stil zur Festlegung höherer Preise zu bewegen?
Busch: In der Wohlfahrtstheorie gibt es den Begriff des wohlwollenden Diktators. So sehr man sich diesen manchmal wünschen würde – diese Zustände haben wir hier bei uns glücklicherweise nicht. Das heißt: Am Ende müssen die Verlage die Preisentscheidungen treffen. Natürlich reagieren wir bei der Sortimentsauswahl, wenn wir Substitutionsmöglichkeiten haben, und nehmen die Titel, die ein höheres Preisniveau oder höhere Margen haben, damit unser Rohertrag nachher besser ist. Das sollten alle Buchhändler machen, dann wäre mehr Spannung auf dem Seil. Ich unterstelle mal, dass die meisten Verlage auch Geld verdienen möchten. Aber da gibt es die First Mover, die voran gehen mit höheren Preisen. Und es gibt die Trittbrettfahrer, die vermeintlich profitieren, wenn sie niedrigere Preise haben.

Ihr E-Commerce-Anteil am Umsatz stieg – über alle Länder hinweg -  im abgelaufenen Geschäftsjahr corona-bedingt auf rund 40 Prozent. Gibt es einen Punkt, an dem Sie das stationäre Geschäft zurückfahren würden, weil der Onlinehandel für Sie kostengünstiger, attraktiver ist?
Busch: Nein, jetzt nach dem Lockdown werden sich alle Buchhandlungen wieder erholen und stationäre Läden sind integraler Bestandteil unseres Geschäftsmodells. Beide Kanäle für sich arbeiten sehr gut und rentabel.

Und es wird keinen Zeitpunkt geben, zu dem das stationäre Geschäft unrentabel wird?
Busch: Ich bin davon überzeugt, dass es niemals dazu kommt. Wenn die Rentabilität sinkt, was meinen Sie, wie die nächsten Mietverhandlungen ablaufen? Nicht nur bei uns. Dann sinkt das Mietniveau oder wir haben kleinere Läden, weniger Mitarbeitende, denken über den Ladenbau nach. Es gibt seit Jahrtausenden stationären Handel − dass wird sich auch in meinen verbleibenden Jahren im Buchhandel nicht mehr ändern.

Sie wollen Ihr stationäres Netz bis Ende 2022 auf mehr als 500 Läden ausbauen. Gleichzeitig konstatieren Sie, dass die Innenstädte durch Corona geblutet haben und einen Frischzellenkur brauchen. Wie passt das für Sie strategisch zusammen?
Busch: Die Revitalisierung der Innenstädte wird eine sehr große Herausforderung. Um sie zu bewältigen, braucht es den Schulterschluss zwischen Immobilienwirtschaft, Kommunen, Einzelhandel, Kultur und Logistik. Das sind die fünf wichtigen Player. Für eine Revitalisierung spielt Omnichannel eine sehr wichtige Rolle: Die Kunden müssen online recherchieren können, die Abholung ihrer Produkte muss gesichert sein, gute Erreichbarkeit, Parkplätze für Autos und Fahrräder müssen vorhanden sein. Seit Juli leite ich den Handelsausschuss im ZIA – Zentraler Immobilienausschuss -, das eröffnet einen leichten Zugang zu den 12.000 Bürgermeistern und ermöglicht eine gute inhaltliche Diskussion. Wir arbeiten derzeit an einer Pilotstadt, an der wir zeigen wollen, was zur Wiederbelebung der Innenstädte getan werden muss. Ergebnisse dazu werden wir im ersten Quartal 2022 präsentieren können. Wir bauen jetzt den Leuchtturm, so wie wir das bei tolino auch gemacht haben, rollen das Konzept anschließend aus und versuchen, möglichste viele andere davon zu überzeugen.

Es gibt seit Jahrtausenden stationären Handel − dass wird sich auch in meinen verbleibenden Jahren im Buchhandel nicht mehr ändern.

Michael Busch