Anke Precht über Resilienz-Ratgeber

"Ich hoffe, dass meine Bücher Anstupser sind"

8. Juli 2020
von Sabine Schmidt

Resilienz für Corona und darüber hinaus: Psychologin Anke Precht berichtet davon, wie tief die aktuelle Krise geht – und dass sie der Anstoß für positive Umbrüche sein kann.

Wie sehen Sie die Corona-Krise: Ist sie eine unter anderen Herausforderungen, die nun mal zum Leben gehören?
Nein, sie ist außergewöhnlich, weil viele Lebensbereiche insbesondere in der Anfangszeit gleichzeitig betroffen waren, sehr viel mehr als zum Beispiel während der Weltwirtschaftskrise von 2008. Frauen waren plötzlich wieder Vollzeitmütter, weil sie ihre Kinder betreuen mussten. Manche verloren ihren Job, andere haben Angst davor. Fernbeziehungen lagen auf Eis. Langjährige Beziehungen gingen durch das erzwungene enge Zusammensein in die Brüche. Nahe Angehörige starben, aber manche konnten nicht einmal Abschied nehmen. Oder bei vielen kommen durch die Krise auch lang verschüttete, verdrängte Traumata wieder ins Bewusstsein.

Wie ist es Ihnen selbst während des Lockdowns ergangen?
Meine Familie hat es ebenfalls getroffen, innerhalb von drei, vier Wochen war unser Leben komplett auf den Kopf gestellt. Unsere drei Kinder konnten nicht zur Schule gehen. Ich hatte vorher viel im Bereich des Profisports gearbeitet, unter anderem mit einem Bundesliga-Volleyball-Club. Dann fand Sport nicht mehr statt, nichts war sicher, weder für die Sportler noch für mich, zudem wurden meine Vorträge abgesagt. Mein Mann arbeitet ebenfalls selbstständig, auch bei ihm fiel vieles weg. Und dann schrieb ich innerhalb von vier Wochen einen Ratgeber zur Corona-Krise. Damit ich zu Hause arbeiten konnte, mussten wir aber erst einmal umräumen.

Inzwischen ist der Lockdown vorbei, wir sind jetzt in der so genannten neuen Normalität. Was heißt das für die Psyche?
Einige Komfortzonen können wieder aktiviert werden, das ist gut. Corona wird uns aber noch lange begleiten. Zum Beispiel: die Angst vor Ansteckung; Auszubildende und Schüler werden nicht mehr wie gewohnt betreut, ihre berufliche Zukunft ist sehr unsicher; ganze Wirtschafts- und Arbeitsbereiche sind im Umbruch; Unternehmen kämpfen ums Überleben.

Was ist in solchen Situationen am wichtigsten?
Unbedingt Angst reduzieren, durch Entspannung, Achtsamkeit, Atemübungen, Bewegung. Sehr wichtig ist es, in Kontakt zu gehen, sich mit anderen zusammenzuschließen. Und: offen zu sein. Ob man einen neuen Job sucht oder die Möglichkeit, Kinder zu betreuen – man sollte mit vielen Leuten sprechen, Ideen einholen, sich inspirieren lassen.

Resilienz gilt als einer der Schlüssel für ein gelingendes Leben, nicht nur, aber insbesondere in Krisenzeiten. Kann man sich Resilienz erarbeiten, etwa durch Yoga?
Erarbeiten kann – und muss – man sich Resilienz tatsächlich. Yoga oder Atemübungen können auf diesem Weg auch sehr wichtig sein. Aber nur weil man Yoga macht, wird die Seele nicht stark. Widerstandskraft erhält man, wenn man durch Stürme geht, wenn man sie übersteht und sich mit ihnen auseinandersetzt. Corona ist übrigens solch ein Sturm.

Mancher Ratgeber vermittelt den Eindruck, man müsse nur den Tipps des Autors, der Autorin folgen, und alles wird für immer gut. Was können Bücher tatsächlich?
Ich hoffe, dass meine Bücher Anstupser oder vielleicht sogar ein Tritt in den Hintern sind, um sich in Bewegung zu setzen. Die gute Nachricht ist: Man kann sich vieles erarbeiten, man hat vieles in der Hand – man muss es aber auch tun. Die Bücher sollen Tipps für diesen Weg geben, der tatsächlich aber nicht endet, so lange wir leben. Resilienz heißt gerade: offen sein, improvisieren, sich Problemen stellen, immer wieder neue Wege gehen.

Es gibt das abgenudelte Wort von der Krise als Chance – wie sehen Sie das?
So abgenudelt es ist, kann es trotzdem wahr werden! In Normalzeiten ist unsere Psyche faul. In Krisenzeiten muss sie aber etwas tun, und dann kann Neues, Positives entstehen. Zum Beispiel eine Klientin von mir aus dem Schwarzwald, Ende 60 und in einer unglücklichen Beziehung: Als ihr Mann während des Lockdowns immer zu Hause war, konnte sie das nicht mehr aushalten und trennte sich von ihm. Ihre Rente reicht aber nicht, sie muss sich etwas dazuverdienen. Wir haben überlegt, was das sein könnte, und es entwickelte sich eine wunderbare Idee: Sie backt hervorragende Schwarzwälder Kirschtorten, will sich damit jetzt ein Zubrot verdienen und geht sozusagen in die Selbstständigkeit.

Anke Precht:

Jetzt stark werden! Wie die Corona-Krise zur Chance für unser inneres Kind wird. ePub, GU, 160 S., 13,99 Euro

Wie strick ich mir ein dickes Fell. Das Workbook für Frauen. Trias, 156 S., 17,99 Euro

MEHR ZUM THEMA Novitäten zum Thema Resilienz, Minimalismus, Heilen mit Pflanzen und vielen weiteren Themen lesen Sie im Börsenblatt Spezial Gesundheit & Bewusstes Leben, das am 9. Juli erscheint.