IG Leseförderung

Irmgard Clausen ist tot

10. Februar 2021
von Stefan Hauck

Die Coburger Buchhändlerin Irmgard Clausen (67), seit 2007 Vorsitzende der IG Leseförderung, ist am 9. Februar gestorben. Ein Nachruf auf die kämpferische Sortimenterin.

Wenn man mit ihr durch die Coburger Innenstadt ging, wurde sie oft als »Frau Riemann« angesprochen – und die Inhaberin der Riemannschen Hofbuchhandlung reagierte auch darauf. Irmgard war eine begnadete Netzwerkerin und Gastgeberin, mit feinem Gespür für ihr Gegenüber, und sie kannte immer jemanden, der jemanden kannte und brachte sie uneigennützig gerne zusammen: »Wer weiß, wozu’s gut ist.«  

Sich in andere hineinzuversetzen, war ihr Credo; ihr Ziel: den anderen wirklich zu erreichen. »Einfach zu sagen: ›Kauft eure Bücher bei Riemann‹, ist plump. Wir müssen immer überlegen: Was können wir anbieten?« Begeisterungsfähig und andere begeisternd, dabei zielstrebig – diese Talente setzte Irmgard mit Charme ein, verfolgte mit zäher Vehemenz Ziele und konnte mit ihrer oft überbordenden Energie bei anderen auch Skepsis und Unsicherheit hervorrufen. Sie war ein Magnet – wann immer ich sie als Podiumsgast auf Buchmessen einlud, blieben vorbeieilende Messebesuchter plötzlich fasziniert im Gang hinter der letzten Stuhlreihe stehen und lauschten ihrer empathischen Mimik, Gestik und Stimme, bis am Ende der Messegang restlos verstopft war. 

Die Aufforderung »lächeln« stand an der Tür

Kommunizieren lag der 1953 in Kronach geborenen Irmgard Clausen; schon als Mädchen verkaufte sie liebend gern im elterlichen Lederwarengeschäft. Nach einer Lehre in der Kulmbacher Bücherstube Paul Friedrich von 1969 bis 1972 arbeitete sie schon 1972/73 bei Riemann in Coburg. Mit ihrem späteren Mann Claus Clausen zog sie nach Kiel, war in seiner Ladenbau-Firma Inbau kaufmännisch tätig und gründete 1975 in Nortorf die Bücherstube Irmgard Clausen. Als ihr Mann 1984 tödlich verunglückte, verkaufte sie ihre Buchhandlung, zog wieder nach Coburg und pachtete 1986 die Riemann’sche Hofbuchhandlung, verdoppelte die Verkaufsfläche durch Umbauten. Ihr Stolz war der Raum im ersten Stock mit Blick auf den Marktplatz und der anheimelnde Roten Salon, in dem Stammkunden samstags mit ihrem liebsten Menschen frühstücken durften. Typisch für Irmgard: Kaufen konnte man sich das Frühstück nicht – es war eine der Prämien im Riemann’schen Bonusprogramm, die Samstage waren durchgängig ausgebucht. Ebenso typisch: Wer bei Riemann das Büro verließ, wurde an der Tür zum Verkaufsraum an etwas Essenzielles erinnert: »lächeln« stand in roten Lettern an der Tür.

Ihre Spezialität: dicke Bretter bohren

Buchhändlerin war Irmgard mit Leib und Seele, 11 Jahre in Nortorf und 28 Jahre in Coburg, bis sie die Riemannsche verkaufte. Ihre Herzensangelegenheit aber war die Leseförderung. Für sie setzte sie sich in ihrer Gremienarbeit (von 1994 – 1997 und 2006 – 2015 in der Abgeordnetenversammlung / Branchenparlament, von 1994 – 1997 und 2006 – 2015 im Sortimenter-Ausschuss) immer wieder ein; nur folgerichtig, dass sie seit 2007 mit großem Engagement das Amt der Sprecherin der AG/IG Leseförderung ausübte. Der Börsenverein ehrte sie 2018 mit der Goldenen Nadel. Ihr hartnäckiges Bemühen und das der IG-Mitglieder trug viele Früchte mit Aktionen wie der Lesetüte für das Sortiment, die Wahl zum Lesekünstler des Jahres oder dem Gütesiegel Buchkindergarten. Irmgard konnte sich empören, besorgt sein und mit strahlenden Augen freuen, fast immer gelang es ihr dabei, ihr Umfeld anzustecken. Ihre Spezialität: mit Ausdauer dicke Bretter bohren; ihre Motivation: »Ich mach’s ja nicht für mich, sondern damit in der nächsten und übernächsten Generation auch noch gelesen wird – viele Leute wissen ja überhaupt nicht mehr, was Bücher für ein großer Schatz sein können!« In der Leseförderung war die 1,53 Meter kleine Frau eine wahrlich Große. 

Ende Februar vergangenen Jahres erhielt sie überraschend eine Diagnose, mit der sie nicht im entferntesten gerechnet hatte. Behandlungen brachten letztlich keine wirklichen Erfolge, und im Sommer fand sie sich mit dem Unausweichlichen ab. Sehr gefasst setzte sie sich mit dem Ende auseinander, bestimmte aber auch: »Ich will mich nicht nur von der Krankheit dominieren lassen.« So betrieb sie noch die Verleihung der Lesekünstler-Auszeichnung an Martin Muser im September in der Mainzer Kinderbuchhandlung Nimmerland, zu der sie, liebevoll begleitet von ihrem Mann Carl, eigens aus ihrer Reha in der Nähe kam und die Laudatio hielt. Vor drei Wochen noch hatten wir abends lange telefoniert, Irmgard machte sich schon Gedanken um die nächste Preisverleihung, wetterte über Politik, setzte sich mit hochspannenden Themen auseinander; es waren in den vergangenen Monaten sehr tiefgehende, gute Gespräche. Am kommenden Freitag hätte sie die virtuelle Sitzung der IG Leseförderung ein letztes Mal leiten sollen, sie hatte sie schon vorbereitet. Auch wenn es nun anders gekommen ist: Sie hätte uns noch viel zu geben gehabt.