Interview mit Juergen Boos

"Nein, es war kein Übermut"

16. September 2020
von Sabine van Endert

Vor gut einer Woche wurde die physische Buchmesse in den Messehallen abgesagt, jetzt gibt es Details zum digitalen Fachprogramm. Wie Interaktion digital gelingen kann, ob die Verlage mitziehen und ihre Inhalte einstellen und was der Messedirektor Juergen Boos sich von der FBM-Sonderausgabe erhofft, erklärt er im Interview. 

In der letzten Woche waren Sie in den Medien wie nie. Nicht alle konnten Ihr Konzept nachvollziehen. Wurden Sie missverstanden?
Wir haben bei der Planung der Frankfurter Buchmesse in der Corona-Zeit von Anfang an auf drei Säulen gesetzt: die virtuelle Messe, dezentrale Veranstaltungen im Rahmen des BOOKFEST city in der Stadt und, zusammen mit der ARD und mit vielen Medienpartnern, ein Programm in der Frankfurter Festhalle. Dieses Konzept haben wir mit zahlreichen Branchenteilnehmern diskutiert und nach dem Feedback der Börsenvereinsgremien, dem Vorstand und den Fachausschüssen, haben wir uns entschieden, in der Planung so fortzufahren. Dass uns nun in den letzten zwei Wochen die Reiserestriktionen einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, ist wahnsinnig enttäuschend. Aber mit unseren digitalen Angeboten und dem hervorragenden Programm in der Festhalle können wir in diesem Jahr für die Buchbranche durchaus etwas auf die Beine stellen.

Hat Sie auch etwas gefreut an der Berichterstattung? Von Ihrem Mut war die Rede, aber auch von Übermut.
Nein, es war kein Übermut. Es ist schließlich nicht so, dass die Frankfurter Buchmesse isoliert agiert, sondern mit vielen Ausstellern im Gespräch ist. Die Berichte waren auch durchaus differenziert. Ich erinnere mich an eine Stimme, die unseren Mut gelobt hat, eine physische Messe anzugehen, noch mutiger sei es gewesen, die Buchmesse aufgrund der Entwicklung der Pandemie jetzt auch abzusagen.

Das digitale Fachprogramm nimmt Gestalt an. 70 Stunden Online-Events sollen ab Ende September über die digitalen Bühnen gehen. Digital haben in den letzten Monaten schon viele ausprobiert. Welche neuen Formate sind geplant?
Wir alle haben im letzten halben Jahr vor allem gelernt, dass, je länger man vor dem Bildschirm sitzt, desto weniger Kreativität entsteht. Kreativität braucht Begegnung. Deshalb war es uns wichtig, bei den virtuellen Veranstaltungen auf Interaktion und auf Begegnung zu setzen. Mir ist aber klar, das Digitale wird die körperliche Präsenz nicht ersetzen.

70 Stunden ist ordentlich. Was empfehlen Sie?
Wir haben in diesem Jahr zum ersten Mal eine digitale Konferenzreihe im Angebot – Frankfurt Conference. Hier steht an vier Tagen der Buchmessewoche (12.-15. Oktober 2020) jeweils ein zentraler Bereich der Verlagsbranche im Mittelpunkt. Eine wichtige Veranstaltung ist für mich der Publishing Insights Track (Mittwoch, 14. Oktober 2020, 15.00 - 17.30 Uhr). Hier geht es darum zu ergründen, welche Prozesse in Krisenzeiten beschleunigt wurden, oder was Verlage auch in Zukunft widerstandsfähig machen wird. Mit dabei ist u.a. James Daunt, CEO von Barnes & Noble und Geschäftsführer von Waterstones (USA und UK), Ananth Padmanabhan, CEO von HarperCollins Publishers India und Jenny Fry, Commercial Director bei Canongate (UK) .   

Ganz konkret: Wie, mit welchen Tools, wollen Sie Interaktion digital bewerkstelligen?
Für uns ist es wichtig, dass wir viele relevante Kontakte ermöglichen. Das funktioniert zum Beispiel in kuratierten Networking-Sessions, die täglich stattfinden und die 30-50 Teilnehmer*innen die Möglichkeit bieten, innerhalb einer Stunde möglichst viele neue, relevante Geschäftskontakte zu knüpfen. Besonders das Matchmaking-Tool soll helfen, neue Kunden zu finden, die zum eigenen Profil passen.

Eine wichtige Nebenrolle im Messegeschehen hat bisher immer die Bar im Frankfurter Hof gespielt. Auch in diesem Jahr ist sie dabei. Wie das?
Unsere virtuelle Reihe „The Hof" ist der informelle Online-Treffpunkt der Messe. Hier finden virtuell einstündige Networking-Sitzungen mit Vorträgen statt und der Möglichkeit, sich mit anderen Buchmesse-Enthusiasten in einem ungezwungenen Rahmen auszutauschen. Jede Session beginnt mit Live-Musik von „Jazz and More", mit dem argentinischen Gitarristen Dario Acosta Teich und der Sängerin und Cellistin Eleanor Dubinsky.

Bis zum 30. September können Verlage ihre Veranstaltungen in den Veranstaltungskalender eintragen, sich im Ausstellerkatalog präsentieren und Titel die Rechtehandelsplattform Frankfurt Rights stellen. Müssen die Verlage alles selbst einstellen oder können sie ihre Daten einfach schicken?
Bei all diesen Formaten haben wir darauf Wert gelegt, dass sie eher robust als fancy sind. Die Einstellung der Inhalte liegt bei den Verlagen, aber natürlich  bieten wir Unterstützung an. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Kundenservices agieren wie Tutoren, denn für viele ist es das erste Mal.  

Gibt es schon einen Zwischenstand? Füllen sich die Seiten?
Erste Zahlen gibt es bei einer Pressekonferenz am nächsten Montag, dem 21. September. Mein Eindruck, den ich auch in Gesprächen mit Verlagen gewonnen habe, ist: Die Angebote werden gut angenommen. Und ich kann Ihnen sagen – meine Kolleginnen und Kollegen haben sehr viel zu tun.

Entwickeln Sie die virtuellen Formate mit Blick auf 2021 oder sind sie  Übergangslösungen?
Es geht in den nächsten Jahren darum, virtuelle und physische Angebote intelligent miteinander zu verzahnen. Wobei diese Sonderausgabe der Buchmesse auch ein Experiment ist. Wir müssen sehr genau hinschauen: Was hat funktioniert? Was können wir ausbauen, weiterentwickeln? Wie können wir das ganze Jahr über präsenter und im Austausch mit der Buchbranche sein?

In diesem Jahr ist alles kostenlos. Soll das so bleiben?
Wir haben das große Glück, das wir in diesem Jahr Unterstützung vom BKM für das Digitalkonzept bekommen haben, so dass das Angebot mindestens bis Mitte nächsten Jahres kostenlos bleiben wird. Für die Zeit danach könnte ich mir zum Beispiel Abo-Modelle vorstellen. Die Buchmesse wird 2021 nicht nur an wenigen Tagen stattfinden, sondern das ganze Jahr über. Und dafür wird es sicher auch ein Preismodell geben.

Ihr Arbeitszettel ist sicher randvoll. Was steht für diese Woche noch an? Worunter wollen Sie einen Haken bekommen?
Es wird keinen Haken geben, jeder Tag fängt mit neuen Überraschungen an. Die Reiserestriktionen etwa, die konnten wir im Mai nicht vorhersehen. Ich würde mir wünschen, dass in diesem Jahr alles so funktioniert, dass 2021 die beste Buchmesse aller Zeiten werden kann.